Gregor Gysi: "Das Grundgesetz braucht auch 2019 den Grundrechte-Report"
Grundrechte-Report 2019: Grundrechte unter Druck

"Wir brauchen im Grundgesetz und in Europa einklagbare soziale Grundrechte", erklärt Dr. Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken zur Vorstellung des Grundrechte-Report 2019, der von neun Bürgerrechtsorganisationen vorgelegt wurde.
  • "Wir brauchen im Grundgesetz und in Europa einklagbare soziale Grundrechte", erklärt Dr. Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken zur Vorstellung des Grundrechte-Report 2019, der von neun Bürgerrechtsorganisationen vorgelegt wurde.
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Am Donnerstag, den 23. Mai 2019 – genau am 70. Jahrestag des Grundgesetzes – stellten in Karlsruhe neun deutsche Bürger- und Menschenrechtsorganisationen den neuen Grundrechte-Report vor. In 35 Beiträgen weisen verschiedene Autor*innen auf Beispiele für die Einschränkung von Grundrechten, von Ungleichbehandlung sowie der Überschreitung institutioneller Kompetenzen in den verschiedensten Bereichen der vergangenen zwölf Monate hin.

Den diesjährigen Grundrechte-Report stellt der Rechtsanwalt und Politiker Dr. Gregor Gysi vor. Er ist zugleich Autor des Einleitungsartikels zu „70 Jahre Grundgesetz“. Er resümiert: "Das Grundgesetz braucht auch 2019 den Grundrechte-Report, der mit einer Vielzahl von Beispielen, wie in unserem Land verfassungsmäßige Grundrechte missachtet und eingeschränkt werden, mahnt, nicht nachzulassen im Einsatz für deren Schutz und Verteidigung". Hinzufügend kommentiert er: "70 Jahre Grundgesetzpraxis zeigen, dass wir die Grundrechte in ihrer Substanz nur bewahren können, wenn wir sie auch ausbauen. Wir brauchen im Grundgesetz und in Europa einklagbare soziale Grundrechte, weil heute die immer tiefere soziale Spaltung in Deutschland, Europa und weltweit für immer größere Bevölkerungsgruppen Grundrechte beschneidet, zum Teil sogar ausschließt".

Wie jedes Jahr nehmen an der Präsentation des Grundrechte-Reports Menschen teil, deren Fälle der aktuelle Grundrechte-Report behandelt:

Vera Egenberger klagte erfolgreich gegen die Praxis der Kirchen, Arbeitsstellen für Kirchenmitglieder zu reservieren: In ihrem Klageverfahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuletzt die Möglichkeiten kirchlicher Arbeitgeber deutlich begrenzt und damit der langjährigen Praxis des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) widersprochen, den Kirchen vielfach arbeitsrechtliche Diskriminierungen aus religiösen Gründen zu ermöglichen. Vera Egenberger erklärt dazu: "Diskriminierungsschutz beim Zugang zu Beschäftigung ist ein durch die Europäische Union verbrieftes Recht. In Deutschland wiederum stellt man das Recht der Kirchen, sich selbst zu ordnen, über das Recht auf die individuelle Diskriminierungsfreiheit. Das war und bleibt weiterhin problematisch, wenn konfessionellen Arbeitgebern nicht durch die Gerichte verdeutlicht wird, wo die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verlaufen".

Der Rechtsanwalt Engin Sanli setzte sich als Anwalt für einen Mann aus Togo ein, der nach einem ersten, gescheiterten Versuch mit massivem Polizeieinsatz aus der Aufnahmeeinrichtung Ellwangen abgeschoben wurde. Daraufhin erhielt Sanli Hass-Mails und Drohbriefe und wurde von führenden Politiker*innen gar als Teil einer "Anti-Abschiebe-Industrie" diffamiert. Mit dieser Erfahrung ist er nicht allein, aktuell geraten Beratungsstellen und Rechtsanwält*innen wegen ihres Einsatzes für einen rechtsstaatlichen Umgang mit Geflüchteten mehr und mehr unter Druck. Engin Sanli kommentiert: "Das Grundrecht auf ein faires Verfahren gilt für alle Menschen gleich. Dies sollte von Politiker*innen öffentlich verteidigt werden. Stimmen sie stattdessen in den Chor der Hetzenden und Menschenverachtenden ein und führen ihn gar an, stellen sie damit die Demokratie in diesem Lande in ihren Grundfesten in Frage".

Moderiert wurde die Präsentation von Iris Burdinski. Sie ist im Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen (BAKJ) aktiv und Mitherausgeberin des Grundrechte-Reports 2019.

Inhalt des aktuellen Grundrechte-Reports
Soziale und ökologische Themen erhalten im aktuellen Grundrechte-Report einen breiten Platz: Die rechtlich verfügten Fahrverbote von Dieselfahrzeugen zur Einhaltung von Grenzwerten für den Ausstoß von Stickstoffdioxid wurden von der Landesregierung Bayern beispielsweise schlicht ignoriert. Katrin Brockmann erklärt die Rolle des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im „Glyphosat-Skandal“. Finanzielle Interessen gehen über den Klima-Schutz, dies macht Inken Behrmann an der Diskussion um den Kohleausstieg Deutschlands deutlich. Frank Wilde beschäftigt sich mit der Verbindung von Armut und Ersatzfreiheitsstrafe: Die Anordnung von Haft bei Nichtbegleichung einer Geldstrafe für geringe Vergehen betrifft in hohem Maße Menschen am Rande des Existenzminimums.

Michèle Winkler betrachtet die Gefahren der neuen Polizeigesetze der verschiedenen Bundesländer, weiterhin nimmt der aktuelle Band die Einschränkungen der Pressefreiheit sowie die Ausweitung polizeilicher Zugriffsmöglichkeiten auf persönliche digitale Daten in den Fokus. Anlässlich des 100jährigen Jubiläums des Frauenwahlrechts im vergangenen Jahr weist Cara Röhner auf die geringen parlamentarischen Repräsentation von Frauen hin, und Sophie Rotino stellt die bisher unbefriedigenden rechtlichen Bemühungen um eine geschlechtergerechte Sprache auf dem Prüfstand.

Inhaltsverzeichnis: http://www.grundrechte-report.de/2019/inhalt/
Grundrechte-Report 2019 - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland.

Herausgeber: Bellinda Bartolucci, Iris Burdinski, Marie Diekmann, Rolf Gössner, Julia Heesen, Martin Heiming, Hans-Jörg Kreowski, Britta Rabe und Rosemarie Will. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M., Mai 2019, ISBN 978-3-596-70434-7, 208 Seiten, 12.00 Euro.

Trägerkreis: Der Grundrechte-Report 2019 wird gemeinschaftlich herausgegeben von der Humanistischen Union, dem Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, der Internationalen Liga für Menschenrechte, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Neuen Richtervereinigung, von Pro Asyl, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung.

Autor:

Carsten Klink aus Dortmund-Ost

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