Arbeitsmarktberichte der BA
Blinde und sehbehinderte Menschen überproportional arbeitslos

Belastbare Zahlen zur Beschäftigungssituation blinder und sehbehinderter Menschen gibt es nicht.

Wer die monatlichen Arbeitsmarktberichte der Bundesagentur für Arbeit liest, sucht sie vergeblich: Zahlen zur Beschäftigungssituation blinder und sehbehinderter Menschen sind darin nicht zu finden. Ein Grund dafür ist die Weigerung der Bun-desagentur für Arbeit, Daten zu Beeinträchtigungen ihrer Kunden zu erheben. Dar-über hinaus werden die vorhandenen Daten schwerbehinderter Kunden nicht ein-mal nach Geschlechtern getrennt ausgewiesen. Die Planung einer gezielten Förde-rung ist so nicht möglich. Die Selbsthilfebewegung und ihr Dach in Westfalen – der Blinden- und Sehbehindertenverein Westfalen – kritisiert das immer wieder und fordert Abhilfe. Denn nur, wenn die Fakten bekannt sind, können Veränderungen mit Nachdruck eingefordert werden.
Rückschlüsse auf den dringenden Handlungsbedarf, um den es dabei geht, lassen sich aus anderen Zahlen ziehen. Michael Große-Drenkpohl vom Inklusionsamt Ar-beit beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe verweist auf die konkreten Bezugs-zahlen beim Landesblindengeld am Beispiel Westfalen-Lippe: 14.500 Menschen beziehen hier Blindengeld, davon sind 28 Prozent im Alter zwischen 18 und 64 Jahren – also immerhin 4150. Hiervon steht eine unbekannte Zahl dem Arbeits-markt nicht zur Verfügung - zum Beispiel Studierende oder Menschen mit einer vol-len Erwerbsminderungsrente. Schätzungsweise 400 bis 500 Menschen stehen im Berufsleben – das sind nur 10 Prozent.
Die letzte so genannte „Verbleibstudie“ zur beruflichen Situation blinder und seh-behinderter Menschen veröffentlichte der Landschaftsverband Rheinland Anfang der 1990er Jahre. Nur eine neue Studie könnte den Handlungsbedarf mit harten Zahlen belegen.
Qualifizierte Arbeitsplätze für blinde und sehbehinderte Menschen zu sichern und zu schaffen, das war das Hauptmotiv der Vereinsgründer des BSVW 1921. Ein wei-teres gilt bis heute: den Neuerungen nicht hinterherlaufen. Männer und Frauen sind als Pionierinnen, Tester und Einsteiger/-innen in neue Berufsfelder gegangen, um nicht beruflich abgehängt zu werden - dazu gehören nicht nur die bekannten Berufe wie Masseurin oder Physiotherapeut. Hilfsmittel und technische Entwick-lungen wurden in Eigenregie erprobt und im engagierten Austausch bewertet. Das betraf den ersten Ultraschall-Blindenstock ebenso wie später die ersten Computer und aktuell die Aneignung digitaler Tools für die Kommunikation im Homeoffice in der Pandemie.
Aber die Dynamik des Arbeitsmarktes, das Wegfallen von Tätigkeiten, die Verände-rungen der Strukturen braucht valide Daten und beständige Wachsamkeit. Das be-tont auch Erwin Denninghaus, langjähriger Leiter des LWL-Berufsbildungswerkes Soest: „Wir befinden uns aktuell in einer Phase, in der blinde und sehbehinderte Menschen noch nie so viele Rechte auf Gleichbehandlung und Teilhabe an unse-rer Gesellschaft gehabt haben, in der sie jedoch die geringsten Chancen auf einen Arbeitsplatz seit 50 Jahren haben. Hatten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen früher noch realistische Chancen, Arbeit zu bekommen, so haben sie heute zwar das Recht, Arbeit zu bekommen, aber es wird immer schwieriger, geeig-nete Arbeitsplätze zu finden.“ Ein Beispiel: Zwar hat die Bundesregierung in diesem Jahr das Teilhabestärkungsgesetz verabschiedet, gleichzeitig werden aber die Ein-gliederungsmittel der Jobcenter für 2022 um fünf Prozent gekürzt.

Ein wenig Hoffnung macht das Barrierefreiheits-Stärkungsgesetz, das ab 2025 auch Anbieter von Kommunikationstechniken verpflichtet, ihre Technik barrierefrei anzubieten. „Das ist heute eine unserer Hauptaufgaben“, so Michael Große-Drenkpohl, „wir unterstützen Arbeitgeber/-innen und betroffene Menschen bei der Umsetzung inklusiver Arbeitsplätze in barrierebelasteten Umgebungen – auf vielen Ebenen mit Rat und finanziellen Leistungen. So ist z.B. die Übernahme der Ar-beitsassistenz ein wesentlicher Faktor im Förderkatalog.“

NACHHÖREN

„Es geht darum, in einer inklusiven Gesellschaft Arbeitsplätze so zu gestalten, dass es den Menschen - egal ob mit oder ohne Handycap - die dort arbeiten wollen, möglich gemacht wird.“ Ein Gespräch über Hilfsmittel und Strategien Richtung Inklusion mit Michael Große-Drenkpohl, beim LWL Inklusionsamt Arbeit im Referat „Teilhabe, Arbeit, fachliche Angebote“ tätig im Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung im Berufsleben und im Übergang Schule/Beruf in Westfalen-Lippe. Mehr dazu im Podcast mit Michael Große-Drenkpohl

Autor:

Blinden- und Sehbehindertenverein Westfalen e. V. aus Dortmund

Märkische Str. 61-63, 44141 Dortmund
+49 231 5575900
info@bsvw.de
Webseite von Blinden- und Sehbehindertenverein Westfalen e. V.
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