Geschichten und Geschichte aus Bochum-Nord
Pittelkau – Unser Gerther Schuhbetrieb schließt nach über 60 Jahren für immer
Welche Bürgerinnen und Bürger aus Gerthe und der weiteren Umgebung kennt und nutzt ihn nicht, Schuhbetrieb PITTELKAU ist seit vielen Jahrzehnten wie immer selbstverständlich für uns da und hilft, wenn immer es möglich ist.
Mitte September gehen Schuhmachermeister Burkhard Pittelkau und seine Frau Martina in den verdienten Ruhestand. Es hat sich kein Nachfolger gefunden. Somit gibt es keinen weiteren Betrieb in der näheren Umgebung.
Bis in die 60er Jahre war das ganz anders. Da war ein Schuh noch ein Wertgegenstand und wurde so lange wie möglich gepflegt und repariert. Wir hatten auf der Lothringer Straße zwei Schuhgeschäfte, Netter (Salamander) und Greimers. Beide hatten auch Schuhmacher und konnten selbst Reparaturen ausführen.
Mein Lieblingsschuster in den 50er Jahren wirkte an der Hans-Sachs-Straße 8. Es war schon ein älterer Herr, dessen Namen ich nicht mehr weiß. Das Spannende an dem Laden war ein freifliegender und sprechender Rabe, den ich immer wieder gern besuchte.
Selbst auf der Schwerinstraße gab es einen Schuster, neben dem Frisör Wittenfeld. Auch auf der Frauenlobstraße und bestimmt weitere in Hiltrop und Harpen.
Ab September wird Nachhaltigkeit in Gerthe kleingeschrieben, kaufen und wegschmeißen gilt dann für alle, auch diejenigen, die das sich eigentlich nicht leisten wollen oder können.
Zurück zu unserem Familienbetrieb Pittelkau:
Gerhard Pittelkau wurde 1933 in Netzfeld Westpreußen/Pommern geboren.
Er arbeitete als Angestellter im Schuhbetrieb Völker, Lothringer Straße 20. 1959 übernahm er den Betrieb von seinem Vorgänger Völker, 1960 bekam er den Meisterbrief für das Schuhmacher-Handwerk.
Sein Sohn Burkhard wurde 1957 in Herne geboren. Die Familie Pittelkau zogen zwei Jahre später in die freiwerdende Wohnung an der Lothringer Straße 20, dort erlebte Burkhard seine Kindheit bis zum 16. Lebensjahr. Ein echter Gerther Junge also.
Anfangs war die obere Wohnung noch sehr klein, die Küche war unten neben der Werkstatt. Diese bestand damals nur aus der rechten Seite des jetzigen Ladens. Auf der linken Seite war anfangs das vergitterte Ladenlokal vom Juwelier Schweers, bis dieses zum Castroper Hellweg umzog. Der Schuhbetrieb wurde um einen Verkaufsraum erweitert und auch die obere Wohnung konnte durch einen Todesfall vergrößert werden. Die Gebäude Lothringer Straße 20 und 22 gehörten der Familie Häuser, die im Ladenlokal 22 Lebensmittel verkauften, heute die Volksbank.
Meine Oma schickte mich immer, wenn sie sich etwas Besonderes gönnen konnte zum Kolonialwaren-Geschäft „Franz Couturier“, Lothringer Straße 24, heute die Kindertagespflege „Schneckenhaus“. Dort gab es anscheinend Spezialitäten, die es sonst nirgends gab.
Vor dem Krieg gab es in diesen Verkaufsräumen auf der Lothringer Straße 20-26 noch ganz andere Anbieter. Das zeigen alte Werbeanzeigen und Postkarten.
Anscheinend gab es ganz viele sogenannte Schuhhäuser.
In Gerthe gab es in meiner Kindheit sowieso fast alles, was wir für das Leben brauchten. Nur Hühner-Kücken und Kaninchen für unsere Ställe kauften wir auf dem Herner Viehmarkt. Obst und Gemüse hatten wir in unseren Gärten.
Durch die Erweiterung des Schuhbetriebes wurde auch das Angebot erweitert, so wie es bis vor kurzem noch bestand. Mehr als 60 Jahre sorgte der Lederwaren- und Schuhbetrieb dafür, dass viele Kunden aus dem Bochumer Norden keine weiten Wege in Kauf nehmen müssen. An der Lothringer Straße 20 wurde weit mehr geboten, als die „reine Grundversorgung" in puncto Verkauf und Reparatur.
Burkhard Pittelkau machte 1983 die Prüfung zum Schuhmachermeister und übernahm 1996 den Betrieb von seinem Vater Gerhard, der allerdings noch bis zu seinem 80sten Lebensjahr gerne in der Werkstatt mitarbeitete.
„Wir waren im näheren Umfeld so ziemlich der einzige Betrieb dieser Art". Der Laden bot von Handtaschen, Taschen und Koffern über weitere Reiseartikel bis hin zu Schuhen alles, was vom treuen Kundenstamm geschätzt und benötigt wurde. Zum Service gehörte die Werkstatt, in der nicht nur Schuhe repariert, sondern auch Sättel oder Reitstiefel bearbeitet wurden.
Ein Stammkunde seit 35 Jahren ist der Starlight Express Bochum. Auch zurzeit liegen noch einige letzte Reparaturen vor.
Ob mit dem Schließen des Betriebes auch die Existenz vom Starlight Express bedroht ist, ist noch nicht bekannt. Aber barfuß auf Rollen, ist das möglich?
Seit 2001 hat der Betrieb Pittelkau überdies die Zulassung für orthopädische Schuhzurichtungen. Und diese Möglichkeit wurde von den Kunden sehr gut angenommen.
Integriert war außerdem ein Schlüsseldienst, in dem man diverse Schlüsselkopien anfertigen lassen konnte. Und mehr als einen kurzen Moment brauchte Burkhard Pittelkau nicht, um dem Käufer das Original und die Nachbildung auszuhändigen.
Ein weiterer Service ist und war das Kopieren von Dokumenten und Unterlagen.
Also ganz viele Dienstleistungen die wir Gerther demnächst nicht mehr oder nur aufwendig bekommen können.
Werfen wir einen letzten Blick in die Werkstatt und in den Verkaufsraum. Einiges wurde schon verkauft oder entfernt, manches kann noch bis Mitte September gekauft werden. Guckt doch mal rein!
Und noch ein letzter Blick in den Verkaufsraum und die Auftragsannahme:
Einer der großen Vorteile des Geschäftes an der Lothringer Straße 20 war die direkte Erreichbarkeit mit dem PKW und ein Kundenstamm, den man noch persönlich kannte. Entweder privat aus dem Stadtteil von Veranstaltungen oder eben aus der Nachbarschaft, die meisten sogar mit Namen. Eine treue und langjährige Stammkundschaft ist wohl die schönste Auszeichnung für die geleistete Arbeit.
Und die Lothringer Straße hat sich im Umfeld in den letzten 100 Jahren kaum verändert. Der Hausbestand ist geblieben, nur die Bewohner, die Geschäfte und das Angebot hat oft gewechselt. Der Familienbetrieb Pittelkau war 65 Jahre ein fester Bestandteil.
Und wir Stammkunden danken der Familie Pittelkau für die nette und schnelle Bedienung und die Versorgung über viele Jahrzehnte. Wir vermissen Euch schon jetzt.
Alles Gute für euren verdienten Ruhestand. Danke!
Falls Sie Interesse haben, auch Ihre Geschichten zu erzählen oder
einfach nur zuhören wollen, gibt es die Gelegenheit einmal im Monat im
Gesprächskreis „Geschichten und Geschichte aus Bochum-Nord“
Jeden letzten Donnerstag im Monat 17:00-19:00
bei Gerthi-Cool, Turnstraße 3, direkt am Markt
oder bei Bedarf in der
Christopherus Schule, Gerther Straße 31, 44805 Bochum-Gerthe
Der Gerther Treff sucht auch weiterhin alte Fotos und Zeitdokumente aus Gerthe und Umgebung.
Auch alte Fotos aus der Familie und Arbeitswelt. Wir möchten unseren Kindern zeigen, wie wir einst aufgewachsen sind und gelebt haben und uns selbst daran erinnern.
Bitte die Fotos von den Eltern und Großeltern nicht einfach wegwerfen und entsorgen.
Wir machen daraus Geschichten; und erzählen und bewahren unsere Geschichte.
Autor:Klaus Gesk aus Bochum |
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