Geschichten und Geschichte aus Bochum-Nord
Ludwig Fischer – Der letzte Bochumer Post- und Personenkutscher

Postkutsche Symbolbild | Foto: infranken.de
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Walter Fischer aus Hiltrop erzählt an Hand von Zeitungsartikeln und aus seinen Erinnerungen die Geschichte von seinem Opa Ludwig, dem letzten Bochumer Post- und Personenkutscher.

Walter ist ständiger Gast im Gesprächskreis „Geschichten und Geschichte aus Bochum-Nord“, der sich nach der Gerther Zeitreise gebildet hat. In dieser sogenannten Quasselstunde treffen sich viele ältere Bürger und Bürgerinnen und plaudern über ihre Kindheit, alte Zeiten und das Leben.

Ab und zu fallen auch mal erzählenswerte Geschichten ab. Falls Sie oder Ihr auch eine Geschichte und Fotos aus alten Zeiten habt, helfen wir, diese zu veröffentlichen oder zu erzählen.

Wir treffen uns jeden letzten Donnerstag im Monat 17:00-19:00
bei Gerthi-Cool, Turnstraße 3, direkt am Markt
oder bei Bedarf in der
Christopherus Schule, Gerther Straße 31, 44805 Bochum-Gerthe

Der Gerther Treff sucht weiterhin alte Fotos und Zeitdokumente aus Gerthe und Umgebung.

Mehr Informationen über gerthertreff@gmail.com oder Tel. 0176 – 31597844

Jetzt aber zu Ludwig Fischer und seiner Geschichte aus lang vergessener Zeit:

Anmerkung vorab: Ein Teil der Texte wurde aus historischen Gründen original aus Artikeln vom Stadtanzeiger der WAZ von 1958, 1966 und 1971 übernommen. Die dort genannten Orte gibt es teilweise nicht mehr oder haben andere Bezeichnungen!

Am 8. Oktober 1876 wurde Ludwig Fischer im Griesenbruch am Moltkeplatz geboren. Sein Vater, Waffenschmied, Gastwirt und Kaufmann in einer Person, zählte zu den prominentesten Bürgern. Durch Spekulationen und persönliche Umstände ging das gesamte Vermögen seiner Eltern verloren. Nach deren nachfolgend schnellem Tod blieb dem Jungen das Waisenhaus nicht erspart.
Aus der grauen Anstalt erlöste ihn ein Herr von Stockhausen, seines Zeichens Gastwirt und Fuhrunternehmer in Bruckhausen. Hier wurde Fischer mit Pferden vertraut, hier fand er auch seinen ersten Platz, auf dem Kutschbock.

Um die Jahrhundertwende kehrte der junge Mann nach Bochum zurück.
24 Jahre war er im Jahre 1900, als er, wohlbestallter Kutscher, die Strecke Bochum – Gerthe übernahm. Für 90 Mark im Monat wurde er von der Firma Gummert als Postkutscher engagiert. Diese betrieb auf dem Gummertshof - auf dem heute die Jacob-Mayer-Schule steht - ein großes Transportunternehmen und verlieh auch Pferde an Zechen, an die Feuerwehr und an die Polizei.

Fortan rollte er täglich zweimal mit einem geräumigen Wagen von der Stadtmitte über Harpen nach Gerthe. Bis zu 20 Fahrgäste konnte er mitnehmen.

Postkutsche Symbolbild | Foto: infranken.de
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Früh um 8 Uhr fuhr Fischer von Erlenkämper an der Beckstraße ab. Er nahm außer den Passagieren Postsäcke und Pakete mit. In dem. 25 Zentner schweren Wagen - im Winter von drei, sonst von zwei Pferden gezogen - hatten 18 Passagiere Platz, vier davon auf dem zweiten Bock. Auf dem ersten saß natürlich der Kutscher selber, doch konnten hier, wenn es nötig war, auch noch zwei Reisende untergebracht werden.

Die erste Haltestelle war bei Zimmermann, am heutigen Abzweig Harpen, dort wurde Post abgeladen, und weiter ging’s über Kornharpen, Harpen nach Gerthe. Hier wurde in einer Gaststätte auf der Lothringer Straße, auf der sich auch ein Postamt befand, ausgespannt. Um 10 Uhr begann die Rückfahrt nach Bochum, und um 2.30 Uhr spannte Fischer hier noch einmal an zur Reise Bochum - Gerthe, die Rückfahrt trat er um 6 Uhr abends an - er war also den ganzen Tag über im Dienst.

Sein Salär von 90 Mark im Monat war damals viel Geld. Der Fahrpreis war für damalige Verhältnisse aber gar nicht so niedrig: Bis zur Haltestelle Zimmermann musste der Passagier 20 Pfennig bezahlen, nach Kornharpen 30, nach Harpen 40 und nach Gerthe 50 Pfennig. Für den Posttransport erhielt die Firma Gummert je Tag 5 Mark. Wenn das Trara seines güldenen Horns erschallte, fanden sich die Posthalter zur Übernahme der Sendungen ein. In der warmen Jahreszeit, erzählt Fischer, war der Wagen nur wenig besetzt, besser war es im Winter und gut immer an Tagen, an denen die Leute Geld bekommen hatten.

Bei seinen Fahrten nach Gerthe lernte Fischer seine spätere Gattin kennen. Sie stammte aus Ortelsburg in Ostpreußen und arbeitete als Köchin in der Gaststätte Brust - heute Weißes Haus" - an der Lothringer Straße.

Damals gab es keinen Achtstundentag - die Braut hatte nicht allzu viel Zeit. Darum fuhr ihr Bräutigam abends nach Gerthe, mit einem Wagen der „Konkurrenz" Spatmann, und wanderte dann zu später Stunde zu Fuß nach Bochum. Am 15. August 1908 heiraten Ludwig Fischer und seine Braut Charlotta Gonska in der Bochumer Christuskirche.

Brauthäubchen Charlotte Fischer 15. August 1908 | Foto: Walter Fischer
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Kurz nachdem die beiden geheiratet hatten, wurde die Straßenbahnlinie fertig, und die Pferdebahn lohnte sich nicht mehr.

Fischer eröffnete in Gerthe ein eigenes Fuhrgeschäft und handelte mit Butter, Eiern und Käse, das er 1916 wieder aufgeben musste. Er bekam damals, mitten im ersten Weltkrieg, für sein Pferd täglich nur noch ein Pfund Hafer. „Als ich es verkaufte", erzählte er, ,,war es schon ganz schwach.“

Ludwig Fischer 10. Oktober 1936 | Foto: Walter Fischer
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Ludwig Fischer nahm eine Stelle als Kauenwärter auf der Zeche Lothringen an.
Anschließend wurden er und seine Frau Hausmeisterehepaar an der ev. Frauenlobschule in Hiltrop.

Frauenlobschule Front
Frauenlobschule Hofseite
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Erst 1948, mit 72 Jahren, ließ er sich pensionieren.

Einer seiner Enkel, Walter Fischer wurde 1944 geboren, und lebte mit seiner Familie bis 1948 in der dunklen Hausmeisterwohnung mit seinen Großeltern und Eltern in der Frauenlobschule.

Walter Fischer im Kindergarten 20.01.1949 | Foto: Walter Fischer
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Walter Fischer in der Schule 10.1951 | Foto: Walter Fischer
  • Walter Fischer in der Schule 10.1951
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Frauenlobschule Seiteneingang Hausmeisterwohnung
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Frauenlobschule

Nach der Pensionierung 1948 zogen das Ehepaar Ludwig Fischer und die Familie von Walter Fischer in das Fachwerkhaus Anno 1822 von Schulte-Hiltrop, an der Frauenlobstraße 109.

Gehöft Schulte-Hiltrop Anno 1822
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Giebel Schulte-Hiltrop Anno 1822
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Die Großeltern hatten dort in der ersten Etage zwei Zimmer gemietet, die fünfköpfige Familie von Walter Fischer lebte dort bis 1958 auf einem Zimmer ohne Wasseranschluss. Der Wohnraum nach dem Krieg war knapp und man war zufrieden, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben.

Seitenansicht Schulte-Hiltrop Anno 1822
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Ludwig Fischer wurde 96 Jahre alt und verstarb im Mai 1973 im Haus seiner Tochter Lotte Fischer in der Dietrich-Benking-Straße.

Das Ehepaar hatte sechs Kindern das Leben geschenkt und vielen Enkelkindern.

Als Ergänzung zur Geschichte von Ludwig Fischer nachfolgende historische Ermittlungen und Aufzeichungen und danke an Hansi Hungerige für die Genehmigung des nachfolgenden Auszugs seines preisgekrönten und sehr informativen Buch „250 Jahre Bochumer Postgeschichte 1737-1987“. Und danke an Ludwig Schönefeld für die Vermittlung des selbigen.

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Postalisch wird das heutige Gerther Gemeindegebiet erstmals 1836 erwähnt. In diesem Jahre wurde die Personenpost Bochum - Herne - Recklinghausen über Hiltrop und Bergen eröffnet.
Diese Personenpost verkehrte zu Beginn ihrer Einrichtung täglich nur einmal in beide Richtungen. Später wurden dann mehrere Fahrten täglich durchgeführt, da das Reisebedürfnis unter der Bevölkerung ständig zunahm. Einer der bekanntesten Postillione dieser Strecke war Gottfried Bender, der seinen Fahrgästen mit lustigen Liedern, die er auf dem Posthorn blies, die Zeit vertrieb.
Nach drei Jahren allerdings wurde die Fahrtstrecke, durch den Bau der Chaussee von Bochum nach Herne erheblich verkürzt; der Umweg über Hiltrop und Bergen musste nicht mehr gemacht werden.

Gerthe gehörte damals zum Landzustellbereich des Postamts Bochum. Ihre Post mussten sich die Gerther im Wirtshaus Stratmann abholen. Dorthin kam der Bochumer Postbote ungefähr ab 1850 einmal wöchentlich, bis im Jahre 1871 die tägliche Zustellung eingeführt wurde.

Diese Regelung änderte sich am 16. Oktober 1874. An diesem Tag wurde in Harpen eine Kaiserliche Postagentur eingerichtet, der die Gemeinde Gerthe postalisch unterstellt wurde.
Das zum heutigen Gemeindegebiet gehörende Hiltrop erhielt seine erste Postanstalt am 1. März 1888.
In einem Schreiben vom 19. Februar 1888 teilte der Kaiserliche Ober-Postdirektor Wächter dem Kaufmann Hugo Rottberg in Hiltrop bei Herne mit:
"Die Posthülfstelle in Hiltrop wird am 1. März in Wirksamkeit treten. Die Verwaltung derselben übertrage ich Ihnen hiermit vom gleichen Zeitpunkt ab als Ehrenamt unter den Bedingungen, welche in der Ihnen ausgehändigten Zusammenstellung enthalten sind. Ihre Vereidigung für den Postdienst und die sonstigen Maßnahmen zur Einrichtung der Posthülfstelle wird der Vorsteher des Postamts in Herne veranlassen." Zitiert nach: Hiltrop im Wandel der Zeit (1977), Preshyterium Hiltrop.

Die Posthilfstelle Hiltrop befand sich im Hause Rottbergs, Im Dorf Hiltrop 28. Der Nachfolger Rottbergs, Schulenburg, übernahm das Amt 1903.

Zur Zeit der Einrichtung der Hiltroper Posthilfstelle wurde der Personenverkehr im Gerther Raum durch ein Privatpersonenfuhrwerk der Firma Gummert aus Bochum bewältigt. Dieses Privatpersonenfuhrwerk schaffte die Rundreise Bochum - Harpen - Gerthe - Bochum immerhin in einem Tag. Anmerkung: Der Kutscher war Ludwig Fischer.

Anmerkungen von Ludwig Schönefeld aus seiner Herner Webseite:
Der Bochumer Fuhrunternehmer Friedrich Gummert hatte vom 1. Juli 1886 an die Verbindung von Wanne über Eickel nach Bochum von der Kaiserlichen Post übernommen. Nach der Eröffnung der Straßenbahn konnte sich der an der Maltheserstraße in Bochum heimische Unternehmer einen Teil der Transportaufträge für die in Bochum neu eingeführte Müllentsorgung sichern.

Am 16. Juni 1895 wurde dann auch endlich in Gerthe, im Haus des Kaufmanns Hünke, Lothringer Straße 37, eine Postagentur eingerichtet. Hünke übernahm auch die Verwaltung der Postagentur und unter ihm hielt auch die Telegrafie in Gerthe ihren Einzug. In einem Schreiben der Kaiserlichen Ober-Postdirektion Dortmund vom 21. Januar 1899 heißt es:
"Euer Hochwohlgeboren ersuche ich, die anliegende Bekanntmachung kostenfrei in die nächste Nummer des dortigen Kreisblatts aufnehmen zu lassen.
Bekanntmachung
Am 21. Januar 1899 wird bei der Postagentur in Gerthe eine Telegraphenbetriebsstelle mit beschränktem Tagesdienst in Wirksamkeit treten"
Stadtarchiv Bochum, Akte L A 1731.

Gleichzeitig mit dem Umzug der Postanstalt in ein neu gebautes Mietsgebäude der Gewerkschaft Lothringen auf der Lothringer Straße 41, erfolgte am 1. April 1900 die Umwandlung der Postagentur in ein Postamt III. Klasse. Amtsvorsteher dieses neuen Postamts wurde der Postverwalter Hüppner.
Am 1. Mai 1908 wurde die frühere Gemeinde Hiltrop, mit Ausnahme des Hauses Castroper Straße 3, dem Landbestellbezirk des Kaiserlichen Postamts in Gerthe zugeteilt. Laut Anordnung des Regierungs-Präsidenten in Arnsberg vom 9. Juli 1909 musste das Postamt Gerthe fortan die zusätzliche Bezeichnung "(Kreis Bochum)" führen.

Verkehrstechnische Überlegungen der Postverwaltung mögen außer dem akuten Raummangel dazu geführt haben, dass man seit Jahren an einem Plan arbeitete, ein Gebäude nur für Postzwecke zu erbauen. Verhandlungen mit dem Bauunternehmer Nikolaus Haase aus Holthausen, Amt Sodingen, wurden geführt und erfolgreich abgeschlossen. Es entstand ein neues Posthaus am Castroper Hellweg Nr. 421, das am 14. November 1909 bezogen wurde. Die Jahresmiete betrug 2.227 Goldmark. Nur fünf Tage später löste der Postmeister Stöhner den Postverwalter Hüppner im Amte ab.

Ein Jahr zuvor, am 23. Dezember 1908, war die Straßenbahnlinie Bochum Kanalstraße - Gerthe eröffnet worden. Diese Strecke wurde am 20. Dezember 1909 bis nach Castrop verlängert. Dieser technische Fortschritt machte es möglich, daß Briefbeutel in Postanhängerwagen zwischen den Postämtern Bochum 1, Bochum 6 (Grumme-Vöde) und Gerthe schneller und pünktlicher befördert werden konnten, führte aber auch dazu, dass ein pferdebespannter Postomnibus, der zwischen Bochum und Gerthe Postsendungen und Personen beförderte, seinen Betrieb einstellen musste.
Anmerkung: Ludwig Fischer verlor seinen Job und wurde entlassen!

Erneut zum Einsatz kam dieses Verkehrsungetüm dann allerdings nochmals für wenige Tage. Als vom 31. Oktober 1919 bis zum 9.November 1919 das Straßenbahnpersonal streikte und die Straßenbahnpostbeförderung nicht durchgeführt werden konnte, erinnerte man sich seiner und holte ihn nochmals ans Tageslicht. Um nicht von einem anderen Dienstleistungsbetrieb abhängig zu sein und weil die Straßenbahnbeförderungsgebühren merklich anzogen, führte das Postamt Bochum ab dem 1. Mai 1920 täglich zweispännige Güterpostfahrten über Bochum 6 nach Harpen und Gerthe durch.

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Wenn Sie noch mehr über das Leben der Postkutscher wissen wollen?
Viele Informationen gibt es unter >>> link Postkutscher

Postkutsche Symbolzeichnung | Foto: unbekannt
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Auch über die Entwicklung der Postkutschen und ihre Routen gibt es viele Information
u.a. unter >>> link Postkutschen

Falls Sie immer noch neugierig sind,
die Entwicklung des Nahverkehrs im Ruhrgebiet und in Bochum bis in die heutige Zeit
können sie auf den interessanten und sehenswerten Web-Seiten von Ludwig Schönefeld nachvollziehen.
Hier unsere Postkutschenstrecke >>> link VON DER KLEINBAHN BOCHUM-GERTHE-HARPEN ZUR BOGESTRA

Ludwig Schönefelds Website „Zwischen Feldern und Flözen“ wurde speziell für die Ausstellung
„Gerther Zeitreise – 1200 Jahre Stadtteilgeschichte“ der Initiative „Gerther Treff“ vorbereitet.
Sie enthält weitere Links zu allen Strecken ab Bochum, Harpen und Gerthe Richtung Castrop, Herne und Lütgendortmund >>> link ZWISCHEN FELDERN UND FLÖZEN

Danke für Interesse! Vielleicht haben Sie ja auch eine Geschichte zu erzählen?

Autor:

Klaus Gesk aus Bochum

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