Geschichten und Geschichte aus Bochum-Nord
Der Kampf der Totenkopfbande - Kindheitserinnerungen von Reinhard Bottländer
Die nachfolgende Geschichte ist ein Auszug aus dem Jugendbuch von Reinhard Bottländer „Das Ass der Rasselbande“ und schildert seine Kindheitserinnerungen Ende der 1950er Jahre.
Reinhard hat mir seine Erlaubnis erteilt, diesen Auszug mit seinem Namen zu veröffentlichen.
Die Idee dazu kam mir beim Wichteln für die Familie unserer Tochter auf dem Dieckmannsfeld in Gerthe.
Jedes Jahr vor Weihnachten werden in geheimer Ziehung unter Aufsicht unserer Enkelkinder die Namen für den Wichtelgeschenkempfänger ermittelt. Ich erwischte unseren Schwiegersohn.
Meine Idee war es, vor allem den Enkelkindern zu erzählen, was in den Kindheitstagen vom Opa in ihrer Wohnumgebung passierte und was Kinder damals gemeinsam gespielt oder unternommen haben, so ganz ohne Handy, Tablet oder Spielkonsole. Und ohne Anleitung und Aufsicht von Eltern oder Großeltern.
Vorwort und Einleitung
In meiner Kindheit in Gerthe spielten wir viel draußen und hatten uns sehr früh auch ein großes Umfeld erschlossen. Die großen 6-10 Jährigen nahmen uns kleine 3-5 Jährige mit und zeigten uns ihre Abenteuerspielplätze.
Die damaligen Wohnungen waren sehr eng und fast alle Kinder spielten nach der Schule und Kindergarten draußen auf dem Hof, den Straßen und den umliegenden Gehölzen und Feldern.
Die Eltern hatten wenig Zeit und wussten ihre Kinder in der Obhut der Gruppe und der Älteren gut aufgehoben. Meistens passiert auch nichts Schlimmes und alles haben wir ja auch nicht erzählt. Zum Abendessen waren wir dann wieder zu Hause.
Die Geschichte, die ich gleich erzähle, stammt aus dem Jugendbuch von Reinhard Bottländer „Das Ass der Rasselbande“. Reinhard ist genau vier Monate älter als ich, aber war schon eine Klasse vor mir auf der Heinrichschule, jetzt Christian-Andersen-Schule. Er wohnte in der Anfang der fünfziger Jahre gebauten Siedlung Am Knick 18. Zwei meiner Klassenkameraden wohnten Am Knick 14 und 20.
Mit einigen weiteren Kindern aus den umliegenden Häusern gründeten sie die Totenkopfbande.
Sie gaben sich eigene Namen, hatten eine eigenen Geheimschrift und sogar eine eigene Sprache entwickelt.
Ihr Abenteuerspielplatz war der Bahndamm und das sogenannte Dreieck, eine Mulde auf der Weide, die zwischen dem Bahndamm und dem jetzigen Dieckmannsfeld als Brache verwildert war.
Das Feld und die Weide gehörte dem Bauer Ascherfeld, vormals Dieckmann oder Dyckmann.
Etwa dort, wo jetzt der Weg zur Trasse hinführt, stand der sogenannte Zwillingsbaum. Jetzt steht dort eine Zwillingsbank.
Genau dort waren ihr Treffpunkt und ihr Marterpfahl zugleich. Dort wurden alle Feinde oder Eindringlinge angebunden und ausgefragt.
Der Bahndamm war damals neben der Weide und durch die Mulde an dieser Stelle viel höher und bewachsener.
Die Zechenbahn mit Dampflok von Lothringen I/II (heute etwa Lidl) fuhr ca. halbstündlich am
Holzplatz (Gewerbegebiet Gerthe Süd) und am sogenannten Wolkenkratzer vorbei über die
Eisenbahnbrücke Castroper Hellweg zur Kokerei Lothrigen IV nach Hiltrop.
Die beladenen Züge fuhren recht langsam und wir Kinder sind auch gerne mal aufgesprungen um ein Stück mitzufahren.
Die Totenkopfbande wohnten Am Knick 18 Zoga (Reinhard, Fuchsi), sein Bruder Osche (Friedhelm) und Ziddo (Peter). Tom (Mine Gotti, der Mäusevater) und Bulli (Werner) wohnten Am Knick 14. Arab (Wolfgang) und die Brüder Senno (Werner) und Oflak (Klaus) wohnten Am Knick 20. In 22 Hinnek (Fritze Kaugummi ) und 24 Mausi (Mausi). Der Chef der Bande war Tomund sein Klassenkamerad Udo hieß Jerry.
Eigentlich war das Dreieck für andere Kinder verbotenes Gebiet und wurde auch verteidigt. Vom Kornweg direkt an der Brücke konnte man an den Bahndamm gehen.
Wir Kinder von der Schwerinstraße waren öfters dort, um die Züge rattern und dampfen zu sehen oder als Mutprobe ein Stück mitzufahren.
Auch konnten wir dort unsere eigenen Pfeilspitzen herstellen. Mein Vater hatte immer viele Nägel im Keller. Diese legten wir auf die Schienen und ließen die Züge einige Male drüber fahren. Fertig waren die Spitzen. Die Pfeile und Bögen fertigten wir selbst an. Haben aber meines Wissens niemals damit auf Menschen und andere Lebewesen gezielt. Meistens auf Baumstämme und Stalltüren.
Eines Tages war ich alleine am Bahndamm unterwegs und wurde von der Totenkopfbande gefangen genommen. Sie banden mich an ihren Marterpfahl und hielten mich dort einige Stunden fest. Da meine Klassenkameraden Arab und Bulli dabei waren, hatte ich wahrscheinlich nicht so viel Angst. Sie tanzten um mich herum und sangen ihre Lieder und redeten in einer Sprache, die ich nicht verstand.
Die Geheimsprache war im Grunde nur eine Verschnörkelung der deutschen Sprache. Wer diese Geheimsprache erlernen wollte, musste nach Abschluss der Lehrzeit eine Prüfung ablegen. Sie bestand in dem Aufsagen des am schwersten auszusprechenden Wortes dieser Sprache.
Es handelte sich dabei um das Wort Elektrizitätswerk. In der Geheimsprache hörte es sich so an
Elewe — lelewek — trilewi — zilewi — tälewäts - welewerk.
Dieses musste schnell und zusammenhängend ausgesprochen werden.
Grausig klang das Bandenlied von ihren Lippen:
„Als der Vater Taguah
seinen Sohn im Sterben sah, hat er sein Messer gezogen,
fünf Köpfe, die flogen,
caramba!
Carambio! Die Sonne von Mexiko
scheint auf die wildeste Rothaut der Navajo.
Heute noch brennt mein Herz lichterloh,
denk' ich an Navajo — ho — ho."
Noch ein anderes Lied mit vielen Strophen:
„Was hab'n wir für 'nen Schutzmann,
'nen Schutzmann, 'nen Schutzmann,
bei uns in Gerthe hier.
Der Schutzmann klettert übern Zaun
und hilft den Kindern Äpfel klaun,
oho, oho, bei uns in Gerthe hier."
Reinhard Bottländer schrieb ab den späten 70er Jahren viele Kinder- und Jugendbücher, aber auch Krimis und Polizeigeschichten. Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller.
Fast alle Geschichten und Morde passieren in und rund um Gerthe, und wer sich hier auskennt, kann die Orte der Geschichten noch wiederfinden.
Reinhard besuchte von 1954-62 die evangelische Volksschule.
Nach einer Lehre als Betriebsschlosser auf der Zeche Lothringen trat er 1965 in den Polizeidienst ein. 1972 wechselt er in den Kriminaldienst und wurde 1983 Kriminalkommissar.
Die nachfolgenden Auszüge aus dem Buch von Reinhard Bottländer sind als JPEG aus meiner Wichtelerzählung eingefügt. Die Seitenzähler beginnen deshalb mit der Seite 6.
Die Kindheitserinnerungen von Reinhard Bottländer
Nachwort
So wie der Bauer es vorhergesehen hatte, geschah es.
Die Jungen wurden groß, hatten andere Interessen, die Zeit der Totenkopfbande und des Spielens an der Bahne und im Dreieck war vorbei.
Das Dreieck wurde gefüllt, die Zechen und der Holzplatz geschlossen, die Lokomotiven ratterten und dampften nicht mehr.
Viele Jahre später wurden die Gleise entfernt und eine Fußgänger- und Rad-Trasse darauf errichtet.
Auf dem Dieckmannsfeld wurde eine Siedlung BeGerthes-Wohnen erbaut.
In den Siedlungen Am Knick und Dieckmannsfeld wohnen viele Kinder, die nicht wissen,
was vor vielen Jahrzehnten dort die Kinder gespielt und erlebt haben.
An der Trasse, hinter den Fernwärmeleitungen, stehen noch einige alte Bäume.
Wenn es ganz still ist, und der Wind in den Blättern säuselt,
dann hört man mit etwas Fantasie noch immer das Lied der Totenkopfbande:
… Heute noch brennt mein Herz lichterloh,
denk' ich an Navajo — ho — ho."
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Falls Sie oder Ihr auch eine Geschichte und Fotos aus alten Zeiten habt, helfen wir, diese zu veröffentlichen oder zu erzählen.
Der Gesprächskreis „Geschichten und Geschichte aus Bochum-Nord“
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Autor:Klaus Gesk aus Bochum |
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