Zum Pfarramt berufen? Pionierarbeit von RUB-Forscher Dimitrij Owetschin über evangelische Pfarrerschaft
Von der Wiege bis zur Bahre: Die Redensart umfasst ein klares Berufsbild und gibt darin den alltäglichen Aktionsradius von Geistlichen wieder. Unter diesen spielten evangelische Pfarrer in Deutschland traditionell eine zentrale Rolle bei der religiös-kirchlichen Sozialisation. Zudem stellten sie eine besondere Berufsgruppe innerhalb des Bildungsbürgertums dar, die bis heute hohes gesellschaftliches und auch moralisches Ansehen genießt.
Die Situation veränderte sich jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit der Partnerschaft von Staat und Kirche in Westdeutschland und dem Rückgang der traditionellen Kirchenbindung müssen sich evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer zunehmend neuen Herausforderungen stellen. Sie wurden mit öffentlichen Auseinandersetzungen um kirchenpolitische und theologische Fragen sowie mit Problemen der Weitergabe religiös-kirchlicher Normen, Werte, Deutungen und Verhaltensweisen konfrontiert. Das pastorale Berufsbild unterlag einer Wandlung, und im Rahmen zunehmender Pluralisierung suchten die Pfarrer nach dem „Eigentlichen“ in ihrer Tätigkeit.
Kirchlicher Auftrag und ureigene Aufgabe
Die Suche nach dem "Eigentlichen" gab der Veröffentlichung von Dr. Dimitrij Owetschkin den Titel. In ihr hat der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum erstmalig untersucht, wie die evangelische Pfarrerschaft der Bundesrepublik zwischen 1950 und 1980 auf die neuen Herausforderungen reagierte. In der gerade erschienenen Publikation räumt er Rolle und Bedeutung der eigenen religiösen Sozialisationserfahrungen der Pfarrer einen großen Stellenwert ein. Owetschkin untersucht die Pfarrerschaft sowohl als soziale Schicht wie auch als Instanz religiöser Sozialisation. Er arbeitet die Sozialisationsprägungen unterschiedlicher Pfarrergenerationen heraus und setzt sie auch an ausgewählten Beispielen aus der rheinischen und westfälischen Landeskirche in Bezug zum pastoralen Handeln in der Gemeindearbeit.
Pionierarbeit im Rahmen interdisziplinärer DFG-Forschergruppe an der RUB
„Die Suche nach dem Eigentlichen“ ist eine Pionierarbeit, denn bislang wurde die Sozialgeschichte der evangelischen Pfarrer in der alten Bundesrepublik nicht umfassend wissenschaftlich erforscht. Die Studie ist im Rahmen der DFG-Forschergruppe „Transformation der Religion in der Moderne. Religion und Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ an der RUB entstanden. Die seit 2005 bestehende und interdisziplinär ausgerichtete Gruppe von Historikern, Theologen und Religionswissenschaftlern analysiert die gesellschaftsgeschichtlichen Hintergründe des Wandels der öffentlichen Wahrnehmung von Religion.
Buchtitel
Dimitrij Owetschkin: Die Suche nach dem Eigentlichen. Studien zu evangelischen Pfarrern und religiöser Sozialisation in der Bundesrepublik der 1950er bis 1970er Jahre. Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen, Schriftenreihe A: Darstellungen, Band 48. Essen: Klartext-Verlag 2011, 483 Seiten, € 49,95. ISBN 978-3-8375-0506-1.
Autor:Thea Struchtemeier aus Bochum |
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