Neue Heimat für minderjährige Flüchtlinge in Bochum

Der 16-jährige Farhad ist einer von knapp 200 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die in Bochum betreut werden. | Foto: Molatta
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  • Der 16-jährige Farhad ist einer von knapp 200 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die in Bochum betreut werden.
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„Aktuell gibt es 194 minderjährige Flüchtlinge in Bochum. 174 Plätze können wir momentan zur Verfügung stellen, doch die Anzahl der Jugendlichen steigt jede Woche an“, gibt Peter Kraft, Mitarbeiter des Jugendamts Bochum, Aufschluss über die aktuelle Situation.

Die Tendenz steigt: Bis Ende Oktober rechnet das Bochumer Jugendamt mit über 200 minderjährigen Flüchtlingen.
„Im Vordergrund steht bei uns die Sicherheit und der Schutz der Kinder und Jugendlichen“, so Kraft. Mit der Wohngruppe „Noah“, die im Juni dieses Jahres am Bodelschwinghplatz eröffnet wurde, gibt es eine zentrale Anlaufstelle. Hier findet die Erstaufnahme statt und die Kinder und Jugendlichen werden auf die verschiedenen Plätze innerhalb Bochums verteilt oder bleiben in der angegliederten Wohngruppe von „Noah“.
„Unsere Zielgruppe sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die oft von anderen Jugendlichen oder Verwandten mitgebracht werden oder einfach vor unseren Türen stehen. Die Jüngsten sind gerade einmal elf Jahre alt. Nach der Ankunft werden sie zunächst von der Fachstelle des Jugendamtes erfasst, um anschließend einen Vormund bestimmen zu können.“
Einer, der den Weg bis nach Bochum hinter sich gebracht hat, ist der 16-jährige Farhad (Name von der Redaktion geändert). Er lebt seit zwei Monaten in der St.-Vinzenz-Wohngruppe „Globus“ am Imbuschplatz. Sein Deutsch ist noch recht holprig, und so gab er dem Stadtspiegel auf Englisch Auskunft über seine ganz persönliche Geschichte: „Ich bin gemeinsam mit meiner Familie aus Afghanistan geflohen. An der Grenze zwischen dem Iran und der Türkei wurde ich von meinen zwei Brüdern, meiner Schwester und meiner Mutter getrennt. Man sagte mir zwar, ich solle auf türkischer Seite auf sie warten, doch sie kamen nicht.“

„Ich war 22 Tage lang im bulgarischen Gefängnis.“

So setzte er seine Flucht alleine fort und weiß bis heute nicht, wie es seiner Familie geht oder wo sie sich aufhält. 50 Tage war Farhad unterwegs, 22 davon verbrachte er in bulgarischer Gefangenschaft. „Ich verstehe nicht, warum einige Menschen so abweisend gegenüber Flüchtlingen sind“, sagt der Jugendliche, der froh ist, in Bochum ein Zuhause gefunden zu haben. Hier besucht er das Walter-Gropius-Berufskolleg und am Nachmittag besucht er einen Deutschkurs an der VHS. Auf die Frage, wie Farhad sich seine Zukunft vorstellt, antwortet er: „Ich möchte gerne einen Schulabschluss machen und dann studieren, am liebsten Medizin.“
Insgesamt leben 16 junge Männer in der Wohngruppe „Globus“. Zwölf weitere minderjährige Flüchtlinge leben in eigenen oder sogenannten Trainingswohnungen. Die jungen Männer werden von elf Mitarbeitern betreut, eine von ihnen ist Jessica Huber. Die Gruppenleiterin weiß, dass es für die Jugendlichen oft schwierig ist, sich in einem neuen Land alleine zurechtzufinden: „Bei uns leben Flüchtlinge aus Gambia, Afghanistan, dem Irak, Syrien und vielen weiteren Ländern. Sie sind zwischen 14 und 18 Jahren alt. Einige Jugendliche kommen von der Anlaufstelle Noah zu uns, aber auch von umliegenden Jugendämtern werden Anfragen bedient und Jugendliche aufgenommen.“
Nach der Ankunft der Flüchtlinge kümmern sich die Betreuer zunächst um die medizinische Grundversorgung. Im Anschluss werden die jungen Männer an Berufsschulen und in Deutschkurse vermittelt, um möglichst schnell einen ersten Schritt in Richtung Integration zu gehen.
Im Nachmittagsbereich machen die Jugendlichen Sport oder nehmen Musikunterricht. „Durch Vereine oder andere Gruppen ist es für unsere Bewohner oft einfacher, die deutsche Sprache praktisch zu erlernen“, erklärt Jessica Huber. Auch gemeinsames Kochen, Spiele und Ausflüge stehen auf dem Programm. Neben den Bildungs- und Freizeitangeboten steht aber auch die therapeutische Betreuung im Fokus. „Zuerst wissen die Jugendlichen nicht, wofür ein regelmäßiger Austausch über ihre bisherigen Erlebnisse gut sein soll. Doch nach einigen Malen bekommen wir oft ein positives Feedback. Die Flüchtlinge haben während der Gesprächstherapie die Möglichkeit, sich in ihrer Muttersprache mitzuteilen, das ist wichtig, um das Erlebte verarbeiten zu können“, erläutert Jessica Huber.
„Die Arbeit mit den Jugendlichen und das ‚Ankommen‘ für die Jugendlichen selbst ist stets ein Wettlauf gegen die Zeit ist, da bei den meisten der Aufenthaltsstatus und somit die Zukunft ungewiss ist. Die Jugendlichen in eine Ausbildung oder ein Studium zu bringen, sie zu integrieren und ihnen Orientierung in der deutschen Kultur und dem Sys-tem zu bieten sind die wichtigsten Aspekte unserer Arbeit“, erklärt Jessica Huber, die die Jugendlichen auf dem Weg in die Selbstständigkeit und ein sicheres Leben begleitet und unterstützt.

Hintergrund
Aktuell gibt es 198 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bochum.
Gemeinsam mit freien Trägern kann das Jugendamt Bochum 174 Plätze anbieten. 147 werden dabei von Bochumer Trägern gestellt und zusätzlich gibt es 27 flexible Aufnahmemöglichkeiten.
Es gibt die Option der Unterbringung in einer Wohngruppe oder in einer Trainingswohnung, die eng an das Jugendamt oder die zuständige Betreuungsstelle angebunden ist. Zusätzlich wird eine flexible Betreuung innerhalb der Familie oder Verwandtschaft angeboten.

Der 16-jährige Farhad ist einer von knapp 200 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die in Bochum betreut werden. | Foto: Molatta
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Autor:

Lauke Baston aus Wattenscheid

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