Gelebte Integration – Als „Gastarbeiter“ gekommen, für immer geblieben
Neben der Kommunalwahl und der Europawahl findet am 25. Mai in Bochum zum ersten Mal die Wahl des Integrationsrates statt. Knapp 50.000 Bochumer wie Muammer Karakaya aus unserer Titelgeschichte sind zur Wahl berechtigt. „Wir in Bochum sind stolz darauf, dass Menschen so unterschiedlicher Nationalitäten in unserer Stadt leben“, sagt Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz (siehe Interview unten). Aus insgesamt 100 Herkunftsländern hat es Menschen nach Bochum gezogen. Einer von ihnen ist Muammer Karakaya, den es 1964 nach Bochum verschlug. Er arbeitete als Einschaler auf dem Bau, dann als Möbelpacker und machte sich später als Kürschner selbstständig. Er hat sich in Deutschland verliebt und ist mit seiner Familie hier geblieben, weil er hier eine neue Heimat fand.Muammer Karakaya war einer der ersten türkischen Gastarbeiter in Bochum. Eigentlich wollte er nur für kurze Zeit bleiben, aber daraus wurden 50 Jahre. Er erzählt, wie Integration gelingen kann.
Viel Zeit im Schrebergarten
Seit der Pension arbeitet Muammer Karakaya jeden Tag in seinem Schrebergarten. „Auch im Winter ist er hier –jeden Tag“, sagt seine Tochter Yasemin Özcan. Karakaya hat sich einen schönen Ruheort geschaffen. Er zeigt auf den Rosenbogen, der im Sommer zweifarbig blüht, und strahlt vor Vorfreude. Auch seine Apfelbäume, die er selbst veredelt, präsentiert Karakaya – seine Begeisterung ist ansteckend. Vor 50 Jahren in Ankara am Tag vor seiner Abreise nach Deutschland hätte Muammer Karakaya als 22-Jähriger wahrscheinlich nur gelacht, wenn man ihm prophezeit hätte, dass er später mal in Bochum in seinem eigenen Garten glücklich Apfelsorten züchten würde. „Eigentlich wollte ich hier nur Geld für ein Haus in meiner Heimatstadt Kirsehir verdienen. Aber ich lernte Deutschland schnell schätzen und fühle mich bis heute wohl hier. Es ist meine Heimat“, sagt der 72-Jährige.
Mit Blaskapelle empfangen
Als er in Essen auf dem Bahnsteig ankam, war das noch anders: „Ich hatte Angst, konnte die Sprache nicht und uns empfing eine Blaskapelle als wären wir der Präsident. Das war schon verwirrend“, sagt Karakaya. Die Musiker hatte sein erster Arbeitgeber die Firma Hochtief organisiert. Dort arbeitete er zunächst neun Monate als Einschaler am Bau eines Parkhauses in der Brückstraße. Danach wechselte er zur Firma Graetz in die Produktion von Radios und Fernsehgeräten. „Allerdings war die Enttäuschung groß, als ich meine erste Lohntüte bekam. Weniger als 500 DM.“ Karakaya hielt deswegen die Augen offen, knüpfte Kontakte und begann die Sprache zu lernen. „In einer solchen Situation muss man immer höflich und aufmerksam sein. Wenn jemandem etwas runterfällt, hilft man mit einem Lächeln. So kommt man ins Gespräch und bekommt Hinweise, die einem weiterhelfen können“, so seine Strategie.
Chef tippte die Kündigung
Bei einem Spaziergang stieß Karakaya auf die Firma Hein de Groot. „Ich ging in die Firma und fragte, ob sie jemanden als Schreiner brauchen. Der Chef wollte mich sofort einstellen und tippte eigenhändig die Kündigung für meinen damaligen Arbeitgeber.“ Kurze Zeit später begann er als Auslieferungsschreiner und hatte damit seinen Lohn auf 800 DM aufgebessert. Bei der Möbelfirma blieb er bis 1980. Dann machte sein Rücken das Schleppen nicht mehr mit und ihm wurde zu einer Umschulung geraten. Er entschied sich für den Kürschnerberuf. Es folgten Jahre, in denen er sich wochentags in Bad Pyrmont ausbilden ließ. Seine Familie blieb in der Wasserstraße wohnen, sie sahen sich nur am Wochenende.
Selbstständig mit der eigenen Kürschnerei
Als er 1984 seinen Gesellenbrief in der Hand hielt, habe sich in Dortmund und Bochum noch eine Kürschnerei an die andere gereiht. „Es wollte mich aber niemand einstellen, weil mir die Berufserfahrung fehlte. Deswegen eröffnete ich ein eigenes Geschäft in der Herderallee.“ Anfänglich sei es hartes Brot gewesen, vor allem das erste Jahr, so Karakaya. Nach und nach kam die Kundschaft aus dem Stadtparkviertel. Das Geschäft lief gut bis etwa 1998. Zu dieser Zeit gab es massive Proteste von Tierschützern gegen Pelze. Im Jahr 2000 schloss Karakaya seinen Laden und ging in Rente.
Einsame Suche nach Worten
Fatma Karakaya kam 1975 nach Deutschland und erlebte hier zunächst viele einsame Stunden. Sie hatte ihren Mann drei Tage nach dem Kennenlernen geheiratet und drei Wochen später wohnte sie schon hier. „Ich habe meine Familie und meine Heimat unglaublich vermisst und verbrachte jeden Tag so lange am Fenster, bis der Briefträger kam“, erzählt sie. Es sei ihr damals nur das Briefeschreiben übrig geblieben. Ein Telefon habe es nicht gegeben. „Als unser Sohn 1976 geboren wurde, wurde es besser. Ich nutzte jede Gelegenheit, um die Sprache zu lernen. Auf dem Spielplatz, im Kindergarten oder bei Elternabenden, überall ging ich hin.“ Ein gutes Training für die Arbeit im eigenen Laden: „Man musste gut überlegen, was man sagt, denn die Kundschaft war anspruchsvoll und schnell eingeschnappt, falls man das Falsche sagte.“
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Autor:Harald Gerhäußer aus Bochum |
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