Gegen das Vergessen - Zum Gedenktag der Psychiatrie-Toten

2Bilder

Damit ihr Tod nicht sinnlos bleibt … Vor mittlerweile 13 Jahren hat der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener den 2. Oktober zum bundesweiten Gedenktag an jene Menschen erklärt, die durch psychiatrische Einflüsse ihr Leben verloren haben.

Auch am heutigen Dienstag versammelte sich um 15.00 Uhr eine Gruppe Bochumer Bürger und Mitglieder des Bundesverbandes zu einem Gottesdienst in der Pauluskirche, um gemeinsam zu singen, zu beten, Bewegendes vorzutragen und zu bewegen und in diesem Jahr vor allem jener zu gedenken, die durch Selbsttötung gestorben sind.

Es sind durch Psychiatrie, Psychopharmaka und Neuroleptika teilweise zutiefst verletzte Menschen, deren großes, öffentlich noch immer kaum wahrgenommenes bis bewusst verdrängtes Anliegen darin besteht, seit Jahren unermüdlich gegen das Vergessen und das Vergessen werden vorzugehen und anzumahnen, dass Psychiatrie und Medikation nicht grundsätzlich immer eine Hilfe darstellen.

Dennoch war es ein Gottesdienst ohne Anklage und Schuldzuweisung, gehalten in stillem Gedenken an Jene, deren Leid durch die vermeintliche psychiatrische Hilfeleistung, durch Zwang und Androhung von Zwangsmaßnahmen derart groß wurde, dass es nicht mehr zu tragen war; denen (zwangs-) auferlegte Hilfe noch zu einer zusätzlichen Last wurde, so dass am Ende nur die Flucht aus dem Erlebten blieb.

Eine kaum verdauliche Materie, die denjenigen so schwer vermittelt werden kann, die in ihrer Überzeugung, das Richtige zu tun, das Falsche taten. Weil sie das Leiden, das im Innern tötet, nicht wirklich nachempfinden und deshalb nicht verstehen können, dass ihre „Hilfe“ nicht zwangsläufig Segen ist, sondern auch als schädigend erfahren werden kann.

Wenn Psychiatrie durch aktives Handeln verletzte Seelen hinterlässt, statt Hilfe darzustellen, verstummt die kranke Seele: ohnmächtig, fassungslos, fragend und anklagend.
Die Rechtfertigung von Zwangsmaßnahmen als Suizidvorbeugung und die gefühlte Entmündigung in Phasen größter emotionaler Verletzlichkeit führt oft erst recht zu Suizidalität, weil die Haltung Behandelnder nicht ausgehalten werden kann und Verarbeitung unmöglich wird.
Dass zum Zeitpunkt des Gedenkens draußen vor der Kirche ein Martinshorn zu hören war, blieb reiner Zufall. Es konnte sich jedoch kaum besser terminieren.

Damit ein Suizid in Zusammenhang mit psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung nicht sinnlos bleibt, heißt es sensibel hinzuhören, statt wegzusehen und einfach abzuhaken, wenn zu lesen steht, dass ein tot Aufgefundener seit langem unter Depressionen litt und bereits in psychologischer Behandlung gewesen sei.

Der Gedenktag der Psychiatrie-Toten verdient weitaus mehr öffentliche Aufmerksamkeit, als er bisher erhält. Solange in öffentlichen Vorträgen und Fortbildungsveranstaltungen noch immer verharmlosend von auftretenden "Verschlechterungen" der gesundheitlichen Situation behandelter Patienten die Rede ist, die für den Patienten eine Schädigung bedeutet, ist noch viel Aufklärung zu leisten.

Die im Anschluss an den Gottesdienst durch die Innenstadt verlaufene Demonstration versuchte auch in diesem Jahr, hierzu ihren Beitrag zu leisten.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

12 folgen diesem Profil

9 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.