Erschütterte Freundschaft - Die Talkshow
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Liebe Freundin,
stell Dir vor, das Fernsehen ist bei mir gewesen.
Eine junge Journalistin von der ARD.
Sie suchten für die Talkshow Beckmann heute Abend noch eine Frau, die mit der Depression lebt.
Dass sie sich ausgerechnet beim Verein gemeldet hat, war großer Zufall.
Wie viele tausend Menschen in Deutschland leben mit der Depression und dann gerade ich?
Ich lebe mit der Depression; ja, das tue ich.
Nein, vielmehr existiere ich mit ihr und habe bisher überlebt.
Ich lebe aber auch mit dieser Posttraumatischen Belastungsstörung, die Du mir durch Deine Haltung dem kranken Menschen gegenüber seinerzeit verursacht hast.
Nein, vielmehr existiere ich mit ihr; von leben kann da keine Rede sein.
Ich hatte starke Zweifel, ob sie das so haben wollten.
Sie wollen ja doch in der Regel immer gerne hören, dass man die Depression durch Psychopharmaka oder eine Psychotherapie in den Griff bekommen hat und jetzt gut mit ihr leben kann.
Das Gegenteil ist aber hier der Fall.
Ich bin ein Sonderfall, und das habe ich ihr auch direkt am Telefon gesagt. Dass ich bei Dir lernen wollte, mit der Depression zu leben und dass die Therapie entsetzlich schädigte.
Und dass ich deshalb auch nicht wüsste, ob ich überhaupt in Frage käme.
Den ganzen Wahnsinn der Behandlungsform mit diesen Schein-Beziehungen, die der Patient als echt erleben soll und doch nicht echt erleben darf, und den Wahnsinn von Psychiatrie und Psychotherapie habe ich seit dieser Schädigung durch Dich erfahren müssen.
Und ich habe ihn verstanden.
Ein sensibler Mensch zerbricht daran:
Hat man erst einmal den Fuß in der Behandlung, hat man schon verloren.
Stellt man dann wütend seine Psychotherapie in Frage, weil sie durch Verfehlungen massiv geschädigt hat, bekommt man einfach noch eine Diagnose mehr.
"Narzistische Wut" nennen sie das dann, wenn man an der therapeutisch aktiv erzeugten Scheinbeziehung emotional zerbricht und die Schweigepflicht-Verletzung des Therapeuten anzeigt, weil man nicht bereit ist, sie hinzunehmen und als Opfer herzuhalten.
Einmal Stigma – immer Stigma. So einfach ist das. Es gibt dann kein Zurück mehr.
Glauben wird Dir niemand mehr, weil Du ja schließlich diagnostiziert bist.
Und wenn man klagen möchte?
Wer glaubt Dir vor Gericht, wenn Du in psychologischer Behandlung warst? Freiwillig zur Verbesserung der Lebensqualität?
Dein Leben lang wirst Du an diesem Stempel tragen.
Und der Behandelnde wird Dir erst recht nicht glauben, weil Behandlung sich nicht selbst in Frage stellt, Psychotherapeuten keine Fehler machen und der Patient ja schließlich krank ist.
Rote Ampeln gelten für den Psychotherapeuten nicht.
Rote Ampeln darf er überfahren.
Rote Ampeln gelten nur für den Patienten.
Der Patient soll schlucken, was nicht an Psychotherapie und Psychiatrie in Ordnung ist, denn schließlich kann er ja die Farben gar nicht richtig sehen.
Die Sicht des kranken Menschen auf sein Umfeld ist verzerrt.
Und der selbst nicht diagnostizierte Psychotherapeut wird mit Hilfe seiner Dokumentation immer dafür sorgen können, dass das auch so bleibt.
Im Gegensatz zu Dir ist er der gute Mensch. Er gilt allein durch seine Position als der Gesunde und das gibt ihm Macht, die roten Ampeln zu missachten und Dich selbst dann zu strafen, wenn Du bei grün losfährst.
Und Du?
Machst fleißig mit bei dieser Masche.
Obwohl ich mittlerweile weiß, dass Du erhebliche Probleme mit Deinem eigenen ICH hast.
Auch Du bist nicht gesund, weißt es aber hinter Deiner Maske der Psychotherapeutin ausgezeichnet zu verbergen.
Was seid Ihr nur für Menschen?
Ist das nicht alles Wahnsinn?
Der Mensch, der am krankmachenden System des Umgangs miteinander verzweifelt, dessen sich psychiatrische Behandlungen bedienen, soll sein Denken und sich selbst in Frage stellen, um den Blickwinkel zu ändern und inmitten dieses ungesunden Vorgehens zu überleben.
Und die Behandlungsform und ihr System des Umgangs miteinander?
Obwohl sie Potential zur Schädigung besitzt, stellt sie sich selber nie in Frage, um ihren Blickwinkel zu ändern.
Für sie bleibt wichtig, dass der Kranke sich zu ändern hat, auch wenn die Seele daran stirbt.
Sie krallt sich fest an ihrer Pseudowissenschaft, um sich die Berechtigung des Daseins zu erhalten und verleugnet, was sie anrichtet.
Dass sie dem Menschen gar nicht immer hilft, dass sie oft genug nicht helfen kann und häufig sogar schadet, geben sie in Vorträgen ja mittlerweile manchmal zu:
einem Drittel hilft sie,
einem Drittel verhilft sie nicht zu einer Besserung
und dem letzten Drittel verhilft sie zur Verschlechterung.
Das aber bedeutet Schädigung. Dieses Wort nehmen sie nicht in den Mund.
Wenn Du psychiatrisch behandelt werden möchtest, musst Du Dir zuerst ein dickes Fell zulegen. Sonst gehst Du daran kaputt.
Ist das nicht paradox?
Die junge Journalistin, mit der ich letzten Freitagnachmittag am Telefon gesprochen habe, erklärte Rücksprache zu halten und sich dann noch einmal zu melden.
Ich ging nicht davon aus, dass sie Interesse haben würde.
Nach nur einer halben Stunde rief sie wieder an und sagte zu, dass sie am Montag kommen würde, um das Vorgespräch zu führen.
Sie hat alles aufgezeichnet.
Ich habe eine ganze Stunde lang erzählt, was ich mit Dir und Deiner Therapie erleben musste.
Danach war ich völlig fertig, wie immer nach den mittlerweile über 50 Unterhaltungen mit verschiedenen Menschen, die ich hinter mich gebracht habe, in der Hoffnung, dass mir jemand helfen könnte.
Den ganzen Irrsinn, der noch immer nicht bewältigt ist, weil man an Psychotherapie zutiefst verzweifeln kann, habe ich erzählt.
Sie hat mich gefragt, wie mein Umfeld reagiert, Freunde und Bekannte.
Da habe ich gemerkt, dass es gar kein Umfeld gibt.
Freunde und Bekannte habe ich kaum noch.
Ich gehe nicht mehr unter Menschen, weil ich mit dem, was ich erleben musste, gar nicht mehr dazugehöre.
Es hat mich komplett entwurzelt.
Die Welt der anderen ist nicht mehr meine Welt.
Das Gefühl zwischenmenschlicher Amputation ist kaum zu beschreiben.
Du hast mir alles abgeschnitten, was ich zuvor für andere empfinden konnte.
Es gibt jetzt nur noch diese innere Welt: Dich und das Trauma.
Alleine finde ich da nicht heraus.
Für die Sendung heute haben sie dann allerdings doch abgesagt, nachdem sie am Dienstag den Zeitbedarf des Fußball-Profis abgeklopft hatten, den sie auf jeden Fall in der Talkshow haben wollen.
Ich muss nicht nach Hamburg fahren, obwohl ich das sehr interessant gefunden hätte.
Die anderen Schicksale nehmen für sich schon so viel Raum ein, dass sie meinen Erfahrungen in den 70 Minuten nicht gerecht werden würden. Dazu brauchten sie mehr Zeit, hatte mir die junge Frau am Telefon gesagt.
Babak Rafati, der Bundesliga-Schiedsrichter hat bereits geschafft, sein Buch über seine Depression zu schreiben.
Die Moderatorin Nova Meierhenrich, deren Vater sich wegen einer Depression das Leben nahm, wird die zweite in der Runde sein.
Der dritte Gast ist der Hamburger Psychiater Florian Holsboer.
Um Haaresbreite wäre ich dabei gewesen.
Gast in einer Talkshow. Schon das allein ist ein Gewinn.
Es ist gut so, wie es ist.
Eine solche Sendung durchzustehen, erfordert Kraft, die ich vielleicht noch gar nicht habe und der eigene Part will auch gut vorbereitet sein, um die Problematik nachvollziehbar zu vermitteln und nicht grundsätzlich ungerecht zu werden gegen Psychotherapie, die andere Therapeuten vielleicht gut beherrschen, ohne gleich zu schädigen.
Der Kontakt zum Fernsehen aber war sehr wichtig.
Sie wissen jetzt, dass das Thema Schädigung durch Psychotherapie existiert und wichtig ist.
Und sollte mir etwas passieren, ist genügend aufgezeichnet.
Meine Zeit ist noch nicht reif. Ich bin mir aber sicher, dass sie kommen wird. Ich arbeite daran.
Und außerdem ist da ja auch erst noch die Klage gegen Dich ...
Simone
© Sabine Schemmann, Freie Erzählungen, März 2013
Autor:Sabine Schemmann aus Bochum |
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