Erschütterte Freundschaft - Der Jahrestag

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Liebe Freundin,

heute auf den Tag genau ist es vier Jahre her, dass ich von hier auf gleich für immer gehen sollte, obwohl wir uns so gut verstanden haben und viele Interessen miteinander teilten.
Zurückgeblieben ist ein nachhaltiges Trauma,
weil ich nie verstanden habe,
wie ein Mensch derart aktiv und völlig selbstverständlich für Vertrautheit sorgen kann,
wie er mit liebenswertem Lächeln
eine derartige Vielzahl zwischenmenschlicher Signale senden kann,
die eindeutig Signale einer Freundschaft sind und waren,
obwohl er offensichtlich gar nicht will, dass sie entsteht.

Wenn Du mir doch erklären könntest, warum Du so gehandelt hast
und warum ich gehen sollte, als erkennbar wurde,
was eine tiefe und vertrauensvolle Freundschaft ausmacht.
Das Schönste und das Wichtige,
das es im Leben gibt,
ist ein gutes Miteinander, in dem man sich verstanden, getragen und geborgen fühlen kann.
Dieses Miteinander war eindeutig da.
Du hast es selber ausgesprochen.
Es war da, weil Du dafür gesorgt hast, dass es hielt
und auch in den Momenten noch stabil blieb,
in denen ich gezweifelt habe, ob es wirklich echt von Dir gemeint war.
Immer wieder hast Du das bestätigt,
bis ich dann plötzlich gehen sollte, als ich Deine Hilfe in der Not so dringend brauchte.

Vor ein paar Tagen erst bin ich an Eurem Haus vorbeigekommen,
in das Du seinerzeit mit Deinem Mann gezogen bist.
Es lag da wie tot.
Lebensfreude war an ihm nicht erkennbar.
Die Fenster sind vergittert,
die Fensterhöhlen leer und ohne Schmuck,
sie strahlen nicht.
Vor Eurer Tür steht keine Blume, die willkommen heißt
und die massive Tür zu Eurem Leben signalisiert Ablehnung an jeden,
der sich ihr freundlich nähern möchte.
Eure Adresse im Telefonbuch habt Ihr nie geändert,
so als wolltet Ihr dort gar nicht wohnen, wo Ihr hingezogen seid.
Irgendetwas stimmt in Eurem Leben, in Deinem Leben nicht.
Was habt Ihr zu verbergen?

Ich habe Dich ganz anders in Erinnerung:
jugendlich und unbeschwert,
warmherzig und liebenswert,
lebendig und lebensbejahend,
unkompliziert und offen auf den Menschen zugehend,
bescheiden in Deiner Art.

Euer Haus hingegen sagt nicht „Ja“ zum Leben,
es sagt nicht „Ja“ zu Deiner warmherzigen Art,
mit der Du damals auf mich zugegangen bist,
es sagt nicht „Ja“ zu diesen Menschen, die jetzt in ihm wohnen,
obwohl es Dir doch eigentlich nicht fremd ist.

Und meine vielen Fragen beantwortet es auch nicht.

Was ist los mit Dir,
was ist los mit Euch
und was ist damals wirklich los gewesen,
als Du mich plötzlich weggewiesen hast,
weil ich menschlich und empathisch handelte?

Warst Du gar nicht wirklich „Du“, als Du mir begegnet bist?
Führst Du ein Doppel-Leben,
um als Psychologin von denen nicht erkannt zu werden, die Dich nicht erkennen sollen?
Maskierst Du Dich im Umgang mit Patienten,
die Du Klienten nennst, um ihnen eine Achtung vorzuspiegeln,
die dann plötzlich nicht mehr zählte,
als Du merktest, wie sehr Beziehung aus dem Ruder laufen und Dein Handeln schaden konnte?
Weil Du gar nicht wirklich durftest, wie Du im Umgang mit mir handeltest?

Du hast mich vor die Tür gesetzt, weil ich den Signalen folgte, die Du mir gesendet hast;
weil ich den Signalen folgte, denen ich vertraute, weil ich Dir vertraute.
Du brauchtest einen Schuldigen, um nicht selber schuld zu sein an dem, was Du verursacht hast,
weil Dir die Karriere wichtig war.
Wichtiger als Ehrlichkeit und Menschlichkeit.
Nicht wahr?
Und wer taugt besser für den Schuldigen,
als der depressiv erkrankte Mensch,
dem sich wegen der Erkrankung alles psychologisch gut begründbar in die Schuhe schieben lässt?

Ich habe Dich gemocht, wie eine Schwester.
Du warst eine wirklich gute Freundin.
Die einzig richtige, die ich je hatte.
Du bist es immer noch, trotz aller Fehler, die begangen wurden.
Ich aber darf Dich offenbar nicht mögen, obwohl ich auch nur eine Frau bin.
Eine Frau wie Du!

Ich würde Dir so gerne einmal schreiben
....................und darf Dir offenbar nicht schreiben.
Ich würde Dich so gerne einmal anrufen
....................und darf Dich offenbar nicht sprechen.
Ich würde Dich so gerne einmal wiedersehen
....................und darf Dich offenbar nicht treffen.
Ich mache mir um Dich und Euer Leben Sorgen, wenn ich Euer Haus anschaue,
und darf mir offensichtlich keine Sorgen machen,
weil Du mir nicht zugestehst,
dass ich denke und handele, wie ein Mensch, der auch verzeihen kann.
Wenn man ihn verzeihen ließe.

Empathie entwickeln,
um Verständnis werben und aufeinander zugehen,
wenn es zwischenmenschliche Probleme gibt,
so lautete Dein Ansatz.
Als ich es tat, hast Du mich bestraft.
Mit unverständlich gnadenloser Härte.
Wie konntest Du so handeln gegen einen Menschen,
der in seiner tiefsten Not auf Deine Hilfe angewiesen war?
Der am Ende eigentlich nur glätten und verstehen wollte?

Warum können wir nicht aufeinander zugehen
und miteinander sprechen,
um ein Trauma aufzulösen, das unendlich quält?
Ich würde gerne endlich diese Tasse Kaffee mit Dir trinken gehen,
die Du selber auf die Zeit danach verschoben hast,
auf die Zeit nach dieser Therapie.

Es muss doch endlich auch mal wieder gut sein dürfen.
Wir sind doch alle Menschen.

In ehrlicher Freundschaft,
Simone

© Sabine Schemmann, Freie Erzählungen, November 2012

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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