Den Abstand abschaffen: Flüchtlinge und Muttersprachler lernen sich beim Speed-Talking kennen
Der Name Speed-Talking ist etwas irreführend, denn tatsächlich wird deutsch gesprochen, wenn sich Muttersprachler und Flüchtlinge einmal im Monat zu der Veranstaltung treffen. Wie beim Speed-Dating unterhalten sich jeweils zwei Gesprächspartner miteinander, bevor sie nach einigen Minuten die Plätze wechseln.
„Im Deutschkurs ist es wie in einer normalen Schule. Hier haben wir mehr Spaß“, erzählt Issam. Der 34-jährige Syrer, der seit mehr als zweieinhalb Jahren in Deutschland lebt, kommt regelmäßig zum Speed-Talking, das an wechselnden Orten in Bochum stattfindet.
Los gehen die Treffen immer mit einigen Warm-up-Übungen. An diesem Abend lässt Organisatorin Ximena León Musik laufen und dabei eine Maraca unter den im Kreis aufgestellten Teilnehmern herumgehen. Wer die Rassel in der Hand hält, wenn die Musik stoppt, berichtet über Herkunft, Lieblingsfarbe und singt ein Lied, tauscht sich über den Begriff Solidarität aus oder erhält einige Tipps zu den Eigenheiten des Ruhrpott-Slangs.
„Ximena ist sehr aktiv“, erteilt Imad aus dem Irak, der seit einem Jahr das Speed-Talking besucht, der Gründerin ein Lob. Im Juni 2015 rief Ximena León die Veranstaltung anlässlich des Weltflüchtlingstags ins Leben. Die gebürtige Kolumbianerin arbeitet bei der bobeq gGmbH, einer Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt, als Projektleiterin und unterstützt Flüchtlinge bei der Integration in den Arbeitsmarkt. „Dabei habe ich erfahren, wie schwierig es für die Geflüchteten ist, Kontakte zu Einheimischen bekommen“, erläutert die 42-Jährige. Denn beim Speed-Talking gehe gar nicht so sehr ums Deutschlernen, sondern um den Austausch, betont sie.
Leute kennenlernen
Die Teilnehmer, die zum Beispiel aus Syrien, Irak, Mexiko, Guinea, Afghanistan, Armenien, Albanien, Iran und Serbien stammen, nutzen die Minuten, in denen sie sich gegenüber sitzen und unterhalten, für beides. So wie Issam. „Hier kann man sein Deutsch verbessern und Leute kennenlernen“, erklärt der Syrer. „Dadurch wird der Abstand zwischen Deutschen und Geflüchteten abgeschafft. Für uns sind Kontakte zu Deutschen wichtig, um eine Chance auf ein Praktikum, Arbeit und eine Wohnung zu bekommen.“
Und dass das Speed-Talking dazu beiträgt, kann Dima (25) aus Syrien nur bestätigen. Nach ihrem Pharmaziestudium in Jordanien möchte sie nun in Deutschland ihren Master machen. „Beim Speed-Talking habe ich viele Leute kennengelernt. Hier habe ich auch meine Wohnpartnerin gefunden, bei der ich jetzt wohne.“
Gemeinsame Unternehmungen
Auch über die monatlichen Treffen hinaus unternehmen die Speed-Talker etwas miteinander. „Wir gehen ins Theater oder ins Kino oder treffen uns auf Festen und Veranstaltungen“, erzählt Issam. Angebote wie diese, um Kontakt, Austausch und Kulturverständnis noch mehr zu stärken, gibt es neuerdings auch ganz offiziell bei „Speed-Talking on tour“. Beim ersten Mal ging es gemeinsam zum Schloss Strünkede nach Herne.
Als Chance, zu erfahren, wie die Menschen in Bochum und Deutschland leben, betrachtet Muhammed (29) aus Syrien das Speed-Talking. Er ist an diesem Abend erstmals zu Gast und sieht darin die Möglichkeit, dass beide Seiten feststellen, dass sie bei allen Unterschieden auch gleiche Herausforderungen und gleiche Bedürfnisse haben.
Das sieht Andrea, die zu den deutschen Muttersprachlern beim Speed-Talking gehört, genauso. „Man lernt, wie die klein die Welt ist und wie ähnlich die Probleme der Menschen sind“, erläutert sie. Auf spannende neue Kontakte an den Veranstaltungsabenden freut sich Gitta, und Jutta und Michaela schätzen die Gelegenheit, „über den Tellerrand zu schauen“, die ihnen das Speed-Talking bietet.
Das Speed-Talking findet einmal monatlich an einem Montagabend an verschiedenen Orten in Bochum, zum Beispiel an der Königsallee 171 oder auch in der Jahrhunderthalle, statt. Informationen zu den Terminen und Veranstaltungsorten werden auf Facebook veröffentlicht.
Autor:Vera Demuth aus Bochum |
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