Bei Dir sein …

Die Erschöpfung war wieder grenzenlos. Die Schmerzen des Körpers waren nicht mehr auszuhalten. Wieder krampfte alles in ihr zusammen und sie konnte kaum frei durchatmen.

Warum hatte sie der Behandelnden damals nicht einfach eine gescheuert, dass ihr Hören und Sehen vergangen war? Sie hatte es verdient, diese verdammte Psychologin, die ihre Seele und ihr zwischenmenschliches Erleben so derart schwer missbraucht hatte. Dann wüsste sie jetzt wenigstens, wofür sie so schlimm büßen musste.

Sie hatte damals nichts getan, als es ihr angesichts der Worte ihrer Psychologin den Boden unter ihren Füßen wegzog. Sie war fassungslos gegangen, unfähig, zu begreifen, was eigentlich geschehen war und weshalb sie schuld sein sollte, wenn sie doch der kranke Mensch war, der behandelt werden sollte.
Sie hatte andere Wege gehen wollen, aber diese Wege schienen nicht zu funktionieren … Man schnitt ihr alle Wege ab, weil die Verantwortlichen zusammenhielten, obwohl sie sich nach außen alle zuständig erklärten. Sie stand einer Mafia gegenüber.

„Hast Du mich wenigstens noch lieb? Und knallst Du allen eine?“ hatte sie über drei Jahre lang immer wieder ihren Mann gefragt, wenn sie sich krank und kraftlos an seine Schulter lehnte wie ein kleines Kind, das darauf hoffte, dass dieses böse Trauma endlich aufzulösen wäre und alles wieder gut würde. So wie früher immer alles wieder gut wurde, wenn die Mutter es versprochen hatte, die das Leben kannte und ihre kleine Tochter zu beschützen wusste.

Jetzt aber, wo sie völlig einknickte und nicht mehr konnte, hatte sie nur noch diesen einen Wunsch an ihren Mann:

"Baust Du mir eine neue Seele ein?“
„Nein, das kann ich nicht“, lautete seine Antwort, als er sie liebevoll und zuversichtlich ganz fest an sich drückte. „Aber ich bin Deine zweite Seele, an der Du immer tanken kannst; die Seele, die neben Deinem Körper herläuft und trotzdem immer bei Dir ist.“

© Sabine Schemmann, Februar 2012