Aufsuchende Medizinische Hilfe für Wohnungslose besteht seit 20 Jahren
Etwa 13 bis 25 Jahre sind die Menschen, die Dr. Helmut Deckert einmal wöchentlich behandelt. Neben Erkältungen gehören Hauterkrankungen sowie Gelenk- und Wirbelsäulenprobleme zu ihren Beschwerden. „Das sind die Folgen des Lebens auf der Straße“, weiß Deckert, der ehrenamtlich für den Verein Aufsuchende Medizinische Hilfe für Wohnungslose Bochum e.V. tätig ist. Der Verein beging jetzt sein 20-jähriges Bestehen.
Jeden Donnerstag kümmert sich der Neurologe und Psychiater im Ruhestand im „Sprungbrett“ , der Kontakt- und Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene der Evangelischen Jugendhilfe Bochum an der Ferdinandstraße, um die gesundheitlichen Probleme der jungen Wohnungslosen. Eine Kiste mit Verbandsmaterial und Medikamenten hat er, ein Stethoskop und ein Blutdruckmessgerät. „Es gibt hier keine Geräte, kein Labor“, so Deckert. „Ich behandle mit einfachen Maßnahmen und auf der Basis meiner langjährigen Erfahrung.“ Und wenn er diagnostiziert, dass ein Zahnarztbesuch oder ein Röntgenbild angebracht sind, leitet er seine Patienten an Fachärzte weiter, die die Jugendlichen, die meist keine Krankenversicherung haben, kostenlos oder auf niedriger Rechnung behandeln.
Das niederschwellige Angebot im „Sprungbrett“ wird gut angenommen. Fünf bis zehn Jugendliche erscheinen zu jeder Sprechstunde. Zu den körperlichen Beschwerden kommen zum Teil psychische Störungen, Depressionen oder Suchtmittelmissbrauch. „Dann steht das Gespräch im Vordergrund“, erläutert der Mediziner.
Seit zehn Jahren behandelt Deckert die Jugendlichen. „Der Bedarf für junge Leute ist erst gar nicht so erkannt worden“, sagt Jutta Niederkinkhaus, Geschäftsführerin der Aufsuchenden Medizinischen Hilfe für Wohnungslose, denn diese gibt es schon doppelt so lange.
Der Verein geht zurück auf ein Modellprojekt der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Inneren Mission – Diakonisches Werk Bochum, das von 1996 bis 1998 lief. „Es gab arbeitslose Ärzte, und die Ärztekammer wollte etwas für sie und die Wohnungslosen tun“, erinnert sich Dr. Paul Weyand, der damals Bereichsstellenleiter der Ärztekammer war und erster Vorsitzender des Vereins ist. Als das Projekt auslief, wurde der Verein gegründet. „Es konnte ja nicht sein, dass wir den wohnungslosen Leuten sagen, dass sie eine AB-Maßnahme waren“, so Weyand.
Mit dem Bulli zum Schlafplatz
Zunächst fuhren die Ärzte mit einem Bulli die Schlafplätze ab. Dann kam die Idee auf, die Räumlichkeiten der Suppenküche an der Arndtstraße mit zu nutzen. Der Arzt vor Ort konnte so die Besucher der Suppenküche darauf ansprechen, wenn sie beispielsweise schlecht aussahen oder einen starken Husten hatten.
„Wir haben im Lager zwischen Waschmaschine und Konservenbüchsen angefangen“, berichtet Jutta Niederkinkhaus. Dann habe der Verein bei der Stadt darauf gedrängt, ein Behandlungszimmer zu bekommen. „Und als es richtig gut lief, hat die Stadt das Haus haben wollen, weil es baufällig gewesen sei“, sagt Weyand. „Jetzt sind Anwaltskanzleien darin.“
Die Aufsuchende Medizinische Hilfe und die Suppenküche zogen zur Stühmeyerstraße um. „Damit gingen die Behandlungszahlen zurück, weil der Standort unbekannt und weiter entfernt war. Nach vier Jahren hatten wir wieder den alten Stand erreicht, und jetzt verkauft die Stadt auch dieses Gebäude“, so Weyand.
Umzug steht an
Damit steht für den Verein im Spätsommer der nächste Umzug um. Er und die Suppenküche werden in den Neubau des Fliednerhauses am Stadionring ziehen, während die Schlafstätte für Männer und der Verein bodo zur Henriettenstraße verlagert werden. Mehr als 30 Minuten Fußweg lägen dazwischen, so Weyand. Für die Zukunft haben er und Jutta Niederkinkhaus Sorge, dass die neuen Standorte nicht angenommen werden. „Die Stadt legt Wert auf Dezentralisierung. Die Menschen sollen in Bewegung sein“, sagt Niederkinkhaus. „Ich halte das für zynisch“, beurteilt Weyand die Pläne. „Wir sind nicht dazu da, um die Leute zu erziehen, sondern um ihnen zu helfen.“
Etwa 350 Wohnungslose gebe es in Bochum, schätzt der Vereinsvorsitzende. „Der geringste Teil von ihnen lebt wirklich auf der Straße.“ Die Zahl derer, die in den vergangenen 20 Jahren die Aufsuchende Medizinische Hilfe in Anspruch genommen haben, sei nur minimal angestiegen „Mittlerweile sind viele Klienten aus Osteuropa, Bulgarien und Rumänien darunter“, beschreibt Niederkinkhaus den Wandel.
Im Laufe der 20 Jahre haben sich mehr als 15 ehemalige Ärzte und Krankenschwestern ehrenamtlich für die medizinische Versorgung der Wohnungslosen engagiert. Aktuell sind es fünf Ärzte und vier Krankenschwestern, die an der Stühmeyerstraße, im „Sprungbrett“ und beim Mittagstisch in Wattenscheid im Einsatz sind.
Spendenkonto
Der mildtätige Verein hat zurzeit 95 Mitglieder, davon 80 zahlende. Um Medikamente, Rezeptgebühren und Hilfsmittel, wie Brillen und Orthesen, für die Wohnungslosen übernehmen zu können, ist die Aufsuchende Medizinische Hilfe für Wohnungslose auf Spenden angewiesen. Sie sind auf das folgende Konto möglich: Sparkasse Bochum, IBAN: DE69 4305 0001 0020 4090 09.
Autor:Vera Demuth aus Bochum |
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