"Man kann gar nicht früh genug aufsteigen!" - VfL-Trainer Peter Neururer im Interview

Peter Neururer will mit dem VfL wieder eine Basis schaffen, die den Verein perspektivisch zurück in die 1. Bundesliga bringt. | Foto: Molatta
  • Peter Neururer will mit dem VfL wieder eine Basis schaffen, die den Verein perspektivisch zurück in die 1. Bundesliga bringt.
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Die neue Mannschaft steht, die Vorbereitung ist abgeschlossen – jetzt gilt‘s: Am Sonntag, 21. Juli, reist der VfL Bochum zum ersten Pflichtspiel zu Union Berlin und hofft auf einen positiven Saisonauftakt. Über die sportlichen Perspektiven des VfL, die Euphorie im Umfeld und die Außendarstellung des Vereins sprach der Stadtspiegel Bochum mit VfL-Trainer Peter Neururer.

VON DIETMAR NOLTE

Peter Neururer, einer intensiven Schlussphase der alten Saison folgte eine kurze Sommerpause. Wie groß ist bei Ihnen jetzt schon wieder die Lust auf Fußball?
Peter Neururer: Für mich ist jede Pause ohne Fußball ein Stressmoment. Und Stress habe ich sehr ungern in meinem Leben. Mir macht der Fußball einfach Spaß und ich brauche auch keinen Akku, den ich in einer Pause aufladen muss. Da reichen zwei Tage. Es war früher schon so, dass ich in jedem Urlaub, der länger als eine Woche ging, eher zu einem Ballast für meine Familie geworden bin.

Was denken Sie, wie es im Umfeld des VfL aussieht? Zum Ende der Saison herrschte in Bochum riesige Euphorie. Kann man die in die neue Spielzeit retten?
Neururer: Wir haben in der Endphase der Saison erleben dürfen, dass man den VfL wieder entdeckt hat. Nicht nur ich bin nach Hause gekommen. Wenn man den Anstieg bei den Zuschauerzahlen und vor allem das Verhalten der Zuschauer gesehen hat, kann man sagen, sie haben den VfL und ihre Leidenschaft für den Verein wieder entdeckt. Die Anhänger haben gemerkt, dass sie eine wesentliche Rolle spielen im Bezug auf die Gesundung des Vereins und im Bezug auf unsere Ziele. Das hat uns in Bochum auch früher stark gemacht, als wir erst über Jahre „unabsteigbar“ waren und dann „wiederaufsteigbar“ geworden sind. Diesen Gemeinschaftssinn und diese Euphorie mit in die neue Spielzeit zu nehmen, ist eines unserer primären Ziele. Und das wird klappen.

Dass der große personelle Umbruch samt Wechsel von Leon Goretzka der Begeisterung schadet, fürchten Sie nicht?
Neururer: Es sind Dinge passiert, die normal sind im Profifußball. Leon Goretzka hat den Verein verlassen, dazu haben viele andere Spieler den Verein verlassen, mit denen man sich gerade in der Endphase der Saison identifiziert hat. Neue Spieler sind zum Verein gekommen, zu denen man erst ein Verhältnis aufbauen muss. Das sind aber keine Faktoren, um die Euphorie zu dämpfen. Und es bleibt dabei: Wir brauchen jeden einzelnen Zuschauer und Anhänger auch in der neuen Saison. Und zwar um diesen großen Umbruch mit insgesamt 15 Abgängen und bis dato elf Zugängen zu unterstützen. In Verbindung mit ordentlichen Ergebnissen, die wir gerade am Anfang der Saison erzielen wollen, um in die richtige Spur zu kommen, wollen wir die Stimmung aus der Vorsaison wieder aufleben lassen. Wenn wir das schaffen, haben wir eine Basis und ein Gemeinschaftsgefühl, um dann in einem zweiten Schritt den Erstliga-Aufstieg wieder in Angriff nehmen zu können.

Mittelfristig heißt das Ziel also ohne jeden Zweifel wieder 1. Liga?
Neururer: Vordergründig ist es unser Ziel in dieser Saison, nicht einmal mit den Abstiegsplätzen in Berührung zu kommen. Und dann gilt es, diese Basis, von der ich gesprochen habe, auszubauen und einen soliden Sockel zu schaffen. Erstliga-Fußball ist beim VfL aufgrund der Infrastruktur, aufgrund der Mitarbeiter absolut realistisch.

Sie haben die Identifikation der Fans mit den Spielern angesprochen. Ist nicht gerade der Wechsel von Leon Goretzka nach Schalke ein Vorgang, der dem VfL auch in dieser Hinsicht sehr weh tut?
Neururer: Der Transfer von Leon Goretzka berührt mich emotional auch, aber es bleibt trotzdem ein normaler Vorgang im Profifußball. Es ist nun einmal so, dass Vereine unserer Größenordnung umgeben sind von Clubs, die wirtschaftlich stärker sind und in einer höheren Liga spielen. Und die immer wieder Zugriff haben werden auf Spieler, die bei uns groß geworden sind.

Andere Spieler haben den VfL verlassen, ohne damit künftig in der 1. Liga zu spielen. Mit Marc Rzatkowski hat sich zum Beispiel ein Leistungsträger entschlossen, innerhalb der Liga lieber zum FC St. Pauli zu wechseln. Warum?
Neururer: Wenn das gesamte Umfeld zum Zeitpunkt seiner Entscheidung schon so gewesen wäre, wie wir es zum Ende der Saison erlebt haben, wäre ein Spieler wie Rzatkowski weiter bei uns. Auch an dieser Stelle sieht man wieder die Einflussnahme, die das Publikum hat. Viele Entscheidungen werden durch Emotionen getroffen, wenn man mal von pekuniären Dingen absieht. Wenn man innerhalb der 2. Liga wechselt, dann ist das wie bei Marc eine emotionale Sache. Dann wechsele ich zu einem vermeintlichen Kultverein nach St. Pauli und merke gar nicht, dass ich eigentlich schon bei einem Kultverein spiele. Und dort sogar eine wesentliche Rolle. Marc hat mir selbst gesagt, dass er die gleiche Frage nach einem Wechsel zum Ende der Saison anders beantwortet hätte und beim VfL geblieben wäre. Aber es gibt noch andere Dinge, die mit der Wertigkeit des VfL zu tun haben.

Was sprechen Sie damit konkret an?
Neururer: Wir haben wie schon erwähnt in der Nachbarschaft leider Vereine, die eine Nummer größer sind als wir. Diese Vereine haben nicht die Möglichkeit, alle Spieler gleichermaßen einzusetzen. Also leihen sie Spieler aus. Und diese Spieler mit entsprechender Qualität dürfen von diesen Vereinen aus dem Ruhrpott niemals zu anderen Vereinen irgendwo in Deutschland wechseln, sondern sollten zu uns kommen. So eine Außendarstellung brauchen wir als VfL Bochum. Wir müssen hier die Anlaufstelle Nummer eins sein.

Lassen Sie uns einen Blick auf den aktuellen Kader werfen. Für Kapitän Andreas Luthe ist es eine Mannschaft, die noch richtig gute Jahre vor sich haben wird. Würden Sie das so unterschreiben?
Neururer: Ich bewundere den Optimismus von Andi Luthe. Als Trainer sehe ich das ein bisschen differenzierter. Wir haben Stand 1. Juli eine Mannschaft, die über 13, 14 Spieler verfügt, die absolut zweitligatauglich sind. Von diesen Spielern hat etwa die Hälfte die Fähigkeit, auch in der 1. Liga zu spielen. Wir haben 2, 3 Spieler dabei, die ihren Zenit allein rein altersmäßig erreicht haben, wie etwa Marcel Maltritz. Bei ihm weiß man, dass seine Zeit als Profi beim VfL im nächsten oder übernächsten Jahr abläuft, auch wenn er jetzt eine unglaubliche Wertigkeit für diese Truppe hat. Ich weiß aber auch, dass unsere Nachwuchsleute unglaubliches Talent haben. Teilweise sind sie Nationalspieler wie Fabian Holthaus oder Jan Gyamerah. Beide können von ihren Voraussetzungen her eine ähnliche Entwicklung wie Leon Goretzka nehmen. Sie haben große Fähigkeiten, müssen aber in eine Mannschaft eingebaut werden - und am besten in ein gut funktionierendes und gut positioniertes Team. Bleiben die Torhüter: Alle derzeit vier Keeper verfügen entweder jetzt schon über absolute Erstligafähigkeiten oder sind auf bestem Wege dorthin. Da hat der VfL Bochum bis 2020 überhaupt keine Probleme, was Qualität betrifft. Aber bei den Feldspielern, die nachrücken, muss man die Entwicklung abwarten. Und zu einem Kader gehören mindestens 22 Spieler. Fallen drei Leistungsträger beim VfL verletzt aus, haben wir allein aufgrund der Quantität nicht die Möglichkeit, das adäquat zu kompensieren.

Andi Luthe und Marcel Maltritz zählen zu den Führungsspielern beim VfL. Wem aus der Riege der Neuzugänge trauen Sie diese Rolle auf Anhieb zu?
Neururer: Generell hoffe ich, dass jedem Einzelnen klar ist, dass er eine besondere Rolle spielt. Und das hinunter bis zum Nachwuchs und bis zur U19. Wenn jeder begreift, dass bei uns die Nummer 24 die gleiche Wichtigkeit hat wie die Nummer 1, dann machen wir einen großen Schritt nach vorne. Natürlich gibt es immer einige, die die anderen dahin treiben müssen. Dazu ist intern ein Mann wie Christian Tiffert mit seiner ganzen Erfahrung im Stande. Außerhalb des Platzes gilt das weniger, weil er dafür viel zu ruhig ist. Aber er kann auf dem Platz die Sachen in die Hand nehmen und jüngere Spieler führen. Aber du brauchst natürlich auch Leute wie Andi Luthe und Marcel Maltritz. Um die Wertigkeit des VfL Bochum in dieser großen Fußballregion richtig einschätzen zu können, musst du aus dem Ruhrgebiet kommen. Luthe ist einer, der Bochum lebt und Bochum fühlt. Maltritz kommt zwar aus Magdeburg, aber er ist jetzt fast zehn Jahre hier. Der hats auch begriffen. Der weiß, was der VfL bedeutet.

Nochmals Thema Neuzugänge: In wem sehen Sie großes Potenzial, wem trauen Sie einen großen Schritt in der Entwicklung zu?
Neururer: Wir haben alle Neuverpflichtungen unter zwei Aspekten getätigt: Helfen Sie uns? Und haben sie die das Potenzial und die Entwicklungsmöglichkeit, auch 1. Liga spielen zu können? Ausgenommen von letzterem sind natürlich Spieler wie Christian Tiffert oder Heiko Butscher, die gezeigt haben, dass sie Bundesliga können und von denen man in der persönlichen Entwicklung keine neuen Ziele einfordern kann. Aber bei allen anderen externen Neuzugängen sehen wir diese Chancen. Und bei den internen Zugängen sowieso - die Jugendarbeit des VfL Bochum ist eine der besten in ganz Deutschland. Wir müssen aber auch mal dahin kommen, unsere Qualität und unsere Möglichkeiten nach außen auch offensiv zu vertreten, und das ganz generell.

Was meinen Sie damit? Braucht der VfL mehr Selbstbewusstsein?
Neururer: In der Vergangenheit war es oft ein kurzer Weg von riesiger Euphorie hin zu gnadenloser Enttäuschung. „Wir steigen auf, wir steigen ab, und zwischendurch UEFA-Cup“ haben die Fans mal gesungen. Dieses Denken müssen wir aus dem Schädel kriegen. Es ist sicher lustig gemeint, aber ich kann da nicht mehr drüber lachen. Es darf sich nicht in eine Richtung entwickeln, in der es zum eigenen Bewusstsein wird. So machen wir uns klein. Das Gesamtbewusstsein muss sich anders entwickeln. Ich muss mich ruhig mal weit aus dem Fenster lehnen. Wischi-waschi will im Ruhrpott niemand hören. Ruhig mal ein Ziel formulieren, das zu hoch ist - aber klar formulieren. Wenn man es nicht erreicht, bekommt man auf die Birne. Egal! Da muss man durch, und es wird auch schnell verziehen. Aber es schärft das Bewusstsein in die Richtung, dass man hier wer ist und sich nicht unnötig klein macht. Und mit diesem Bewusstsein gibts auch wieder Heimsiege. Das Gefühl aus dem Umfeld überträgt sich auf die Mannschaft, die es wiederum auf die Ränge reflektiert. So entsteht ein Heimgefühl. „Mein Revier ist hier“ - wenn wir dieses Motto leben, dann ist es nicht einfach für die Gegner, hier Punkte zu holen. Wir müssen nicht unbedingt qualitativ besseren Fußball spielen, um das zu erreichen. Wir müssen uns nur anders darstellen.

Ziehen in dieser Hinsicht alle im Verein an einem Strang?
Neururer: Wir sind auf dem besten Wege, nur leider noch in der falschen Liga. Aber das alles geht auch nicht von heute auf morgen, indem man mal eben auf den Knopf drückt. Auch sportlicher Erfolg stellt sich nicht von heute auf morgen ein. Es wird auch Rückschläge und Niederlagen geben. Für Kritiker ergibt sich daraus in unserer Zielsetzung für diese Saison ein schwammiges Bild. Aber wir sind auf dem Weg, eine Basis zu schaffen, von der aus wir dann wirklich berechtigt von uns selbst fordern dürfen, dass wir in die 1. Liga zurückkehren.

Wenn Bochum in dieser Saison noch nicht den Aufstieg ins Visier nimmt - welche anderen Vereine sehen Sie im Kampf um die begehrten Plätze?
Neururer: Es gilt die alte Regel, dass zunächst die Absteiger mit der Zielsetzung Wiederaufstieg ins Rennen gehen. Dazu der 1. FC Kaiserslautern, der in der Relegation nur knapp gescheitert ist. Ein Club wie der 1. FC Köln gehört für mich auch immer zu den Aufstiegsaspiranten. Auch 1860 München muss eigentlich immer zu diesem Kreis gehören. Und dann gibt es in jedem Jahr eine Mannschaft wie Eintracht Braunschweig in der letzten Saison. Also eine Mannschaft, die oben mitmischt, mit der aber vorher eigentlich niemand gerechnet hat. Diese Rolle traue ich in diesem Jahr Union Berlin zu, eventuell St. Pauli.

Oder doch auch dem VfL Bochum?
Neururer: Vielleicht sind wir es auch, wenn wir einen guten Start und einen guten Lauf erwischen! Sollte es dazu kommen, nehmen wir das natürlich gerne mit. Es gibt nichts Dümmeres als den Spruch, man sei zu früh aufgestiegen. Das ist Quatsch! Man kann gar nicht früh genug aufsteigen.

Autor:

Andrea Schröder aus Bochum

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