Wie gesund ist Deutschland?
Kommentar zur Lage der Nation
Es war erschreckend, was ich am Sonntag im Westpark gesehen habe. Nach über einem halben Jahr Trainingsausfall, der durch das Online-Training bei weitem nicht kompensiert werden konnte, ist der Zustand der Kinder und Jugendlichen alarmierend.
Was zum natürlichen Repertoire der doch eigentlich so bewegungsgierigen Nachwüchsler gehören sollte, scheint fernab von der Realität zu liegen. Bälle fangen und werfen, sich bei einem Spiel mit Toren freizulaufen und anzubieten, überhaupt auf Bewegungsaufgaben zu reagieren, stellt für viele Kinder eine nicht zu bewältigende Herausforderung dar, vom Lernen der anderen Namen erst gar nicht zu sprechen. Wie konnte es nur so weit kommen?
Das Training auf Außensportanlegen ist seit geraumer Zeit wieder möglich und durch die sinkende Inzidenz ist das Training in Sporthallen in greifbarer Nähe. Doch wohin greifen wir, wenn die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen die Türschwelle wieder überqueren? Das Training im Westpark war nur der Vorgeschmack auf die Lage der Nation. Der Gesundheitsbegriff wurde in den letzten Monaten zu eng gefasst. Wer Sport lebt und lehrt weiß, dass Gesundheit und Sporttreiben einhergehen. Dabei geht es nicht nur um das Körpergewicht und die allgemeine Fitness oder motorische Fertigkeiten wie das Fangen von Bällen. Ebenso spiegelt die Gesundheit das durch den Sport erworbene sozialen Wohlbefinden wider. Unsere Kinder sind nicht mehr gesund. Wir greifen aber nicht nur in eine Menge voller ungesunder Menschen. Wir greifen auch in ein bröckelndes System – unser Vereinssystem.
In einem Zeitungsbericht vom 29. Mai hieß es, im Schnitt haben die Bochumer Vereine rund 2% der Mitglieder in den letzten Monaten verloren. Die Aussagekraft und Korrektheit dieser Zahl wage ich zu bezweifeln. Häufig ist ein Vereinsaustritt nur zum Jahreswechsel möglich. Dieser liegt schon knapp ein halbes Jahr zurück. Und zum Jahreswechsel sind sicherlich mehr als 2% der Mitglieder ausgetreten – aus welchen Gründen auch immer. Auch können die Zahlen der jährlichen Bestandserhebungen nur schwer herangezogen werden, da diese oftmals vor dem Jahreswechsel und damit vor dem Vereinsaustritt durchgeführt werden.
Wir im Verein verzeichnen nicht nur einen Mitgliederschwund, sondern auch einen Mangel an Übungsleiterinnen und Übungsleitern. Einige sind in der Endphase ihres Studiums und werden daher keine Zeit finden, um Training in der Halle anzubieten. Fassen wir zusammen: reduzierte Einnahmen durch fehlende Mitglieder und fehlende Übungsleiter für die restlichen Gruppen. Da helfen auch die Soforthilfen des Landes nicht, da diese erst beantragt werden können, wenn der Verein unmittelbar vor dem Bankrott steht. Das vollkommen vernachlässigte deutsche Vereinssystem steht vor schwierigen Zeiten.
Das Aufholen der motorischen und sozialen Defizite sowie die Wiederherstellung eines gesunden Vereinswesens kann nicht nur in die Verantwortung der Ehrenamtlichen in den Vereinen gelegt werden. Dies ist eine der größten gesamtgesellschaftliche Herausforderungen dieser Zeit. Das Schaffen eines vereins- und damit menschenfreundlichen Systems ist eine Aufgabe der Bürgerinnen und Bürger, in erster Linie aber der Politik.
Autor:Dominik Reichert aus Bochum |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.