Wenn Depression mehr als ein Leben löscht: „Der letzte schöne Tag“ - eine Filmbesprechung

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Man ahnte schon beim Lesen des Filmtitels, worum es gehen würde und hoffte doch, man hätte gedanklich zu voreilig die falsche Richtung eingeschlagen. Dem war nicht so. „Der letzte schöne Tag“, ausgestrahlt am Abend des 18.01.12, beschrieb die unaufhaltbar gnadenlose Wendung eines in der Normalität des Alltags dahinplätschernden, scheinbar völlig intakten Familienlebens.

Mit dem abrupten Schnitt im Leben der Familie durch einen Suizid als Folge einer schweren Depression nahm er sich mutig einer Problematik an, die man auch heute noch möglichst ganz weit von sich schiebt.
Ein so eindrucksvoller, ehrlicher und schonungsloser Film über eine schwere, oft unterschätzte Erkrankung, die einen unkalkulierbaren und nicht selten tödlichen Verlauf nehmen kann, war längst überfällig. Er dürfte endlich allen die stark getönte Brille abgenommen haben, durch die auch heute noch zu oft auf eine nicht ernst genommene Erkrankung gesehen wird, über die man nicht spricht, nicht sprechen darf oder lieber gar nicht sprechen möchte.

Am Ende führt er den Zuschauer am Bildschirm in die bange Auseinandersetzung mit der Frage, wie weit der Betroffene, den man selber kennt, denn eigentlich wohl schon gewesen ist? Denn das, was man da eben konsumierte, so dürfte manchem klar geworden sein, hätte durchaus die Zukunft der eigenen Vergangenheit sein können.
Wird hier dann offen nachgefragt, entscheidet sich an dieser Stelle, ob ein weiteres Versteckspiel seinen Anfang nimmt, das der Film beenden wollte. Es braucht starke Nerven. Doch würde dieser Film nicht derart nahe gehen, dann würde man die Botschaft nicht verstehen können, die er vermitteln möchte.

Der Inhalt:
Einen selbständigen Landschaftsarchitekten, eingebunden in die ihn im Frühjahr und Sommer voll fordernde Planung und Gestaltung von Außenanlagen, und seine beiden 7 und 14 Jahre alten Kinder, einen Jungen und ein Mädchen in der beginnenden Pubertät, ereilt mitten im gewohnten Tagesablauf völlig unvermittelt der Selbstmord der 40-jährigen Ehefrau und Mutter, die zusätzlich zu den Anforderungen des Arztberufs in einer Klinik die Last der Depressionen nicht mehr tragen konnte.

Wie sich das Ereignis, eingetreten an einem scheinbar unbeschwerten Sommertag am Lieblingsplatz im Wald unter einer Buche unaufhaltsam seinen Weg in das Bewusstsein der plötzlich zu Hinterbliebenen werdenden Familienmitglieder bahnt, dafür öffnete der Film auf erschreckende Weise die Augen.
Als Zuschauer zusammen mit dem Ehemann die Rolle des Wissenden auszuhalten, der mit der Unwissenheit der aus der Schule und von den Freunden nach Hause kommenden Kinder umgehen muss, obwohl er selber in der Starre der Fassungslosigkeit feststeckt, ist schwer auszuhalten.
Das Nachempfinden, dass es schier unmöglich ist, aus der Unfähigkeit des eigenen Begreifens, der Wut und der Trauer heraus die Kinder zu stützen, denen das Liebste und Wichtigste im Leben entrissen wurde, zerreißt die Seele des Zuschauers, der nur hilflos zusehen kann, statt tröstend einzuschreiten.
Der Film verlangt ihm ab, die Folgen eines Suizids für die Angehörigen zusammen mit diesen zu verarbeiten, eine Beerdigung für einen Menschen auszurichten, dessen Leben eigentlich nicht abgelaufen war, und den durch eine plötzlich bodenlose Leere gekennzeichneten, schmerzhaft veränderten Alltag zu begreifen.

Die Hilflosigkeit, nur zusehen und hinnehmen zu können, verkörpert gleichermaßen die Hilflosigkeit einer Erkrankung gegenüber, um deren schlimmste Folge es hier geht.
Durch das Ereignis „Suizid der Mutter“ wird eine Familie, die ein in sich geschlossenes Ganzes war, zu einer Restfamilie. Sie zerfällt durch das in ihrer Mitte klaffende Loch in einzelne Fragmente, in Einzelpersonen, von denen jede auf ihre Weise leidet und lernen muss, mit dem leer vor ihm liegenden, völlig veränderten Leben zurechtzukommen, mit unbekannten Gefühlen umzugehen und sich mit Schuldgefühlen auseinander zu setzen.

Der Film, der die ganz eigene Brutalität der Depression und ihrer Folgen auf eine einfühlsame Weise schonungslos vermittelte, ließ deutlich werden, dass es um viel mehr geht, als nur um die Erkrankung selbst.
Depression ist insofern ein Problem unserer Gesellschaft, als man mit ihr nicht umzugehen weiß. Sie bezeichnet innere Konflikte des Betroffenen, die weder zu beschreiben, noch auszuhalten sind.
Depression beschreibt den Spagat des Erschöpften zwischen dem Wissen, gebraucht zu werden, dem Wissen, sich selber nicht mehr aushalten zu können und dem Wissen, dass geliebte Menschen sorgloser leben könnten, wenn es ihn nicht gäbe, weil das innere Erleben und der Umgang mit ihm nicht verstanden werden kann.

Ein Suizid als Folge einer Depression verändert nicht nur die Zukunft der Hinterbliebenen. Es verändert sich auch die Vergangenheit, weil der selbst gewählte Tod erkennbar macht, dass sie nicht unbeschwert gewesen ist. Die Tat lässt die Vergangenheit zu einer Lüge werden.

Ein Suizid als Folge einer Depression zeigt auch, das der Ausweg aus dem Schmerz der inneren Konflikte nicht immer der Weg in die Behandlung ist, weil andere von diesem Weg erfahren könnten und er nicht grundsätzlich mit Heilung gleichzusetzen ist.
Behandlung kann die inneren Konflikte im Extremfall noch zusätzlich verstärken und weitere erzeugen, wenn sie nicht sachgerecht erfolgt und ethische Aspekte außer Acht gelassen werden.

„Ich fand sie ja schon immer seltsam“, wusste im Film die Schwiegermutter anzumerken.
„Du bist nicht mehr mein Freund, Du hast mich angelogen. Deine Mutter war nicht krank, sie hat sich selber umgebracht“, musste sich der Siebenjährige von seinem besten Freund anhören, dessen Zuwendung er brauchte.
Dass die Mutter sich das Leben nahm, weil sie ungehorsam war, warf sich die Tochter vor.
Dass man Selbstmörder eigentlich nicht kirchlich bestattet, gab der Pfarrer dem Ehemann der Toten zu verstehen. Ein geliebter Mensch, der wegen einer letztlich unheilbar empfundenen Krankheit das Leben nicht mehr aushielt und nicht mehr anders konnte, als sich selbst zu töten, wurde lange Zeit selbst von der Kirche, die sich selber christlich sieht, im Tod verstoßen.
Auch das zerreißt, weil es um den Trost der Angehörigen des Opfers der Erkrankung gehen muss, die man mit der Ablehnung des Toten noch zusätzlich zur Trauer straft.

Wer fassungslos vor dem Ereignis „Selbstmord als Folge einer Depression“ steht, möchte die Uhr zurückdrehen, um etwas zu verhindern, von dem jeder, der mit der Depression vertraut ist, weiß, dass es im Grunde nicht zu verhindern ist. Wenn der von ihr befallene Mensch entschlossen ist, das Leben zu verlassen, weil er nicht mehr kann, dann kann ihn auch die Liebe seiner Mitmenschen nicht halten.

Die Bezeichnung „Krebs der Seele“ lag schon öfter auf der Zunge, doch es schien vermessen, es angesichts des Leides realer Krebserkrankungen auch auszusprechen. Depression ist Krebs, wenn auch in einer anderen Form. Er frisst die Seele auf, zerstört Vitalität und Lebensfreude, zerstört die Wahrnehmung der Farben und das Zeitgefühl des Menschen. Er verändert ihn und nimmt ihm Kraft und Willen.

Die Depression ist ein ganz tiefer Schmerz, den kein Hausarzt tasten und kein Radiologe auf Negative bannen kann. Im Extremfall führt sie in den langen dunklen Tunnel mit nur einem Ausgang, der ganze Familien, Freunde und Angehörige mit in den Abgrund reißt, weil das Ereignis eines Suizids kein isoliertes ist.
Wie jeder Tod ist auch der Suizid nicht auf die Person begrenzt, die geht. Ein entscheidender Teil des Umfeldes stirbt mit, aber es stirbt sich eben deshalb so ganz besonders schlimm, weil sich Vergangenheit in Frage stellt, weil man sich selber schuldig fühlt, weil man nicht Abschied nahm und nicht mehr fragen kann, warum: „Warum hat unsere Liebe Dich nicht halten können? Warum tust Du uns das an? Warum hast Du nicht an uns gedacht?“

Die inneren Konflikte des Betroffenen, der entschieden hat, sich von den Liebsten zu verabschieden, ohne Abschied nehmen zu können, schimmerten im Film immer wieder sensibel durch.
Da ist der Augenblick am Grab, als ein Monolog der Mutter vorgelesen wird: Ich konnte nicht mehr weiterleben. Doch Du, mein kleiner Sohn, sollst leben. Dir gab ich meine Sonnenstrahlen mit. Das Dunkle nahm ich mit ins Grab …
Der Monolog beantwortete sehr viel. Wer die Entscheidung trifft, sich selbst zu töten, denkt sehr intensiv und kommt zu dem Ergebnis, dass es anderen zuliebe besser ist, zu gehen. Er geht gerade deshalb, weil er liebt und die Verantwortung nicht tragen kann, der Seele anderer Menschen eine Last zu sein. Es ist ein schwerer Abschied.

Mit einer Depression zu leben, bedeutet, in der Hoffnung auf Halt irgendwann nur noch von Strohhalm zu Strohhalm zu hangeln. Wer dabei auf der Strecke bleibt, weil er keine Kraft mehr hat, Schmerzen auszuhalten, die man nicht erklären kann, weil sie von anderen nicht verstanden werden können, dem kann man letztlich dann nur noch die Ruhe gönnen, die er sich für seine Seele so sehr wünschte.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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