Sport und Depression, Hilfe oder Widerspruch?
Sport sei nicht nur für die körperliche Gesundheit gut, er helfe auch bei Depressionen, war dieser Tage in der WAZ zu lesen („Depressionen: Sport hilft“ WAZ vom 26.07.11).
Der kurze Bericht bezog sich auf die Aussage von Fritz Hohagen, Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Durch Sport könne „Angst und Stress abgebaut werden, wodurch es psychisch Kranken leichter“ falle, ihr Rückzugsverhalten abzulegen. Moderate Belastungen wie Walken, Joggen, Radfahren, Schwimmen oder Krafttraining seien besonders geeignet. Bei der Ausübung von Mannschaftssportarten wirke sich der „gruppendynamische Effekt“ zusätzlich günstig aus, hieß es in der Berichterstattung.
Das Lesen dieser Ausführungen löst in demjenigen zwiespältige Reaktionen aus, der mit Depression und Angsterkrankungen vertraut ist. Auch wenn die Aussagen die Absicht haben, zu körperlicher Aktivität zu ermutigen, besteht doch das dringende Bedürfnis, in dem Wissen von Experten ein wenig umzuräumen bzw. zu ergänzen:
Zunächst einmal ist niemand ein besserer Experte für die Erkrankung Depression und Angst, als der Erkrankte selbst. Und diesem kann es beim Thema sportliche Betätigung sehr unterschiedlich gehen.
Bei leichten depressiven Verstimmungen kann z.B. Bewegung an der frischen Luft oder Schwimmen durchaus förderlich sein, um Wohlbefinden wieder herzustellen und sich gar nicht erst zurückzuziehen.
Eine richtige Depression ist jedoch leider auch von extremen körperlich-seelischen Erschöpfungszuständen begleitet, die es dem Betroffenen oft unmöglich machen, in die körperliche Aktivität zu finden. Ihm fehlt schlicht dazu die Kraft. Er kann nicht, selbst wenn er gerne wollte. Die sportliche Betätigung geht über seine Kräfte, weil ihm der Körper deutlich macht: „Ich kann nicht mehr“.
Sollte er doch können, dann stehen sportlicher Bewegung oftmals körperliche Beschwerden entgegen, in denen die Erkrankung Depression sich gerne ausdrückt. Schmerzhafte Verspannungen im Lendenwirbelbereich aufgrund verkrampfter Atmung lassen Walken und Joggen dann nicht zu und setzen einer Mannschaftssportart Grenzen.
Auch der Abbau von Angst ist nicht in jedem Fall durch Sport zu leisten. Wer schon unter einer Angsterkrankung leidet, hat ein völlig anderes Körperempfinden als ein gesunder Mensch. Er reagiert daher mehr als sensibel auf jede noch so kleine gespürte Veränderung in seinem Innern.
Das Erleben der körperlichen Anstrengung, Schwitzen und Muskelbeanspruchung können als Bedrohung verarbeitet werden und wiederum Angst bezüglich des Versagens von Körperfunktionen auslösen, weil sich der Körper plötzlich anders anfühlt.
Offensichtlich spielen in der Erkrankung körpereigene chemische Zusammenhänge eine Rolle. So haben Beobachtungen gezeigt, dass Patienten mit Panikattacken eine Abneigung gegen sportliche Aktivitäten haben, weil sich Angst bei Anstrengung noch steigern kann.
Bei sportlichen Übungen produziert der Körper Milchsäure. Messungen ergaben bei Panikpatienten einen wesentlich höheren Milchsäurespiegel, als bei gesunden Menschen. Injizierte man diesen Milchsäure, traten daraufhin Attacken auf, die der Intensität schwerer Panikattacken vergleichbar waren. Probanden, die nicht unter Panikattacken litten, entwickelten durch die Injektion keine derartige Störung des Befindens.
Auch die Empfehlung, sich zu entspannen, war bei Panikpatienten wenig hilfreich, weil der Versuch der Entspannung und der in der beginnenden Entspannung verändert erlebte Körper wieder Angst auslöst.
Berichte über Sport als Hilfe bei Depression basieren sicher auf positiven Erfahrungen und mögen die Absicht haben, zu ermutigen. Sie bergen aber parallel auch immer die Gefahr negativer Auswirkungen auf einen Depressiven, weil dieser in der Regel weiß, was ihm gut tun würde, er den Schritt aus seiner Kraftlosigkeit heraus jedoch nicht immer schaffen kann und sich für sein Versagen dann auch noch verurteilt.
Es kommt im Einzelfall folglich immer darauf an, auszutesten, was wann hilfreich ist und wann man Anstrengung vermeiden sollte. Es gilt sich selber zu beobachten und achtsam mit sich selbst zu sein. Ein Patentrezept gibt es bei Depressionen und Ängsten leider nicht.
Autor:Sabine Schemmann aus Bochum |
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