Schlüsselrolle Hausarzt: Die Versorgung depressiv erkrankter Menschen

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Mit den Symptomen einer Depression kann jeder Mensch im Laufe seines Lebens konfrontiert sein. In der Regel wird man sich zunächst an seinen Hausarzt wenden, wenn man sich nicht mehr gut fühlt und lange Zeit gedrückter Stimmung ist.
In einem solchen Kontakt wird sich entscheiden, ob die Symptome einer Depression erfüllt sind und welche Form einer Behandlungs sinnvoll ist.

Am 29.02.12 fand im Altenheim Bochum-Linden, Kesterkamp 20 ein Vortragsabend zur Versorgung depressiv erkrankter Menschen in der Hausarztpraxis statt, der auf Initiative des Bochumer Bündnis gegen Depression in Zusammenarbeit mit der Augusta-Krankenanstalt Bochum-Linden ausgerichtet wurde.

Als niedergelassener Arzt und Vertreter der KVWL referierte zunächst Dr. med Eckhard Kampe über die allgemeine Situation der ärztlichen Versorgung.
Die Aufgabe der KVWL liege in der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung und deren ausgeglichener Verteilung auf die Regionen, erklärte er. Bochum habe aktuell 372.000 Einwohner mit einem Altersdurchschnitt von 52 Jahren. Dies liege daran, dass vermehrt junge Familien die Stadt verlassen, während die Älteren blieben.
Auf die Zahl der Einwohner kämen 199 Hausärzte und 344 Fachärzte. Mit 3.851 Betten verteilt auf
12 Kliniken liege die Stadt deutlich über dem Landesdurchschnitt, was mit der hiesigen Ausbildung der Medizinstudenten zu begründen sei.

Rein rechnerisch teilten sich 1.869 Einwohner einen Hausarzt, die durchschnittliche Zahl der Patientenfälle liege bei 950 pro Arzt. Im Vergleich zu Bayern liege diese Zahl um 350 höher, dort lägen die Patientenfälle pro Hausarzt bei 600.
Von der Altersstruktur her seien 28,3 % der Hausärzte bereits über 60 Jahre alt. An Hausärzten fehle es in der Stadt wie auf dem Land gleichermaßen, was an den unattraktiven Arbeitszeiten, dem vergleichsweise schlechteren Verdienst und den fehlenden Weiterbildungsmöglichkeiten liege.

In Überleitung zum Thema der Versorgung depressiv erkrankter Menschen gab Dr. Kampe für Bochum geschätzte 20.000 Menschen als von der Volkskrankheit betroffen an.
Die Zahl der niedergelassenen Neurologen und Psychiater liege hier aktuell bei 23, die der Ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten bei 101. Hinzu kämen 50 in Aus- und Weiterbildung befindliche Behandelnde der Ruhr-Universität. Vor 30 Jahren habe es in Bochum noch 4 Psychiater und keine Psychologischen Psychotherapeuten gegeben.
Insgesamt ergebe die durch die KVWL vorgenommene Analyse der Zahlen eine ausreichende Versorgung der Erkrankten sowohl durch Hausärzte, als auch durch die Fachärzte.

Der sich anschließende Vortrag von Dr. med Wilhelm Vermaasen: „Der depressive Patient in der Hausarzt-Praxis“, befasste sich praxisnah mit dem konkreten Thema. Als ursprünglich psychiatrischer Krankenpfleger ist er nach einer Zeit der Aus- und Weiterbildung aktuell als Neurologe und Arzt für Allgemeinmedizin niedergelassen.

In der Versorgung kranker Menschen sei der Hausarzt in der Regel der erste, der mit den Krankheitssymptomen konfrontiert werde. Ihm komme deshalb eine wichtige Rolle bei der Zuordnung der an ihn herangetragenen Beschwerden zu, die häufig in die depressive Symptomatik passten. Als Hausarzt, der immer eine individuellere Wahrnehmung der Vorgeschichte des Patienten habe, sei es deshalb wichtig, sie zu kennen.

Zu den Hauptsymptomen der Depression gehören nach ICD-10 die depressive Stimmungslage, Freudlosigkeit und Interessensverlust, verminderter Antrieb und gesteigerte Ermüdbarkeit sowie der Rückzug und die Unfähigkeit, zu agieren. Mindestens zwei dieser Symptome sollten vorliegen, um eine Depression in Erwägung ziehen zu können.

Zusatzsymptome der Erkrankung sind verminderte Konzentration, vermindertes Selbstvertrauen, das Gefühl der Wertlosigkeit, psychomotorische Hemmung, mimische und gestische Verarmung, negative Zukunftsperspektive, selbstschädigende Handlungen und Gedanken sowie Schlafstörungen und Appetitverlust.
Hinzutretende körperliche Symptome sind frühes Erwachen, Morgentief, Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, Libidoverlust sowie die Störung des Körpergefühls und der Vitalität.

Egal ob der Patient einen Hausarzt oder Facharzt aufsuche, die wichtigsten Untersuchungsverfahren seien immer das gezielte ärztliche Gespräch, die körperliche Untersuchung z.B. auf neurologisch-muskuläre Erkrankungen, Laboruntersuchungen und je nach Fachgebiet das Ausfüllen von Fragebögen, was in der Hausarztpraxis jedoch weniger bedeutsam sei.
Um ausschließlich auf psychische Erkrankungen schließen zu können, sei immer das Abklären organischer Ursachen nötig, um eine Fehldiagnose zu vermeiden.

Die diagnostische Einordnung psychischer Erkrankungen gliedere sich auf in
- leichte, mittelschwere oder schwere Depression
- depressive Reaktion und Anpassungsstörungen
- Erschöpfungssyndrome, wie der ins Gerede gekommene, ursprünglich an die reine berufliche Überforderung gekoppelte, mittlerweile jedoch mit weiteren Belastungssituationen und sozialen Veränderungen in Verbindung gebrachte „Burn-out“
- organische Erkrankungen wie Abhängigkeitserkrankungen oder Schilddrüsenunterfunktionen.

Für die Entstehung von Depressionen seien sowohl die Verletzlichkeit (Vulnerabilität), genetische Faktoren oder psychische Traumata in der Kindheit und Stress als Auslösesituation maßgeblich, wobei berufliche oder private Überforderung, der Verlust sozialer Bindungen und weitere Erkrankungen hineinspielen. So sei z.B. die Depressionsrate bei pflegenden Angehörigen sehr hoch.

Hinsichtlich des Krankheitsverlaufs unterscheide man zwischen der einmaligen Episode, der wiederkehrenden Episode, dem chronischen Verlauf (Disthymie) und der bipolaren Störung.
Letztere nehme deutlich zu, da sie mittlerweile besser als eine solche erkannt werde.

Besonders gefordert sei der Hausarzt dann, wenn die Erkrankung einen besonderen Verlauf nehme, es also zu einem völligen Rückzug oder zu einem wahnhaften Verlauf komme, wenn Selbst- oder Fremdvernachlässigung, aggressives Verhalten oder Suizidgefährdung erkennbar sei.
Die möglichst frühe Facharztüberweisung sei auch angezeigt, wenn Anzeichen für einen schweren Verlauf vorliegen, eine unklare Diagnose vorliege, eine Therapieresistenz bestehe, also Behandlungen vermuteter organischer Erkrankungen nicht anschlagen und wenn Zusatzerkrankungen wie Abhängigkeits- und Essstörungen vorliegen.

Aus der Sicht des Hausarztes liege die Therapie zunächst im Versuch einer Veränderung der Lebensführung durch Strukturierung des Tagesablaufs (regelmäßiges Aufstehen, Essen, Pausen, Aktivitäten, körperliche Aktivitäten wie Sport und Spazierengehen, Pflegen sozialer Kontakte), darüber hinaus in der Aufnahme einer Psychotherapie und in der Möglichkeit einer medikamentösen Therapie, für die dem Hausarzt jedoch nur eine beschränkte Auswahl zur Verfügung stehe.

Bei Behandlung durch Psychotherapie liege das Problem immer in der fehlenden aktuellen Verfügbarkeit.
Einen Behandlungsplatz zu erhalten sei ebenso langwierig, wie die Behandlung selbst. Oft sei sie nur in Kombination mit medikamentöser Behandlung hilfreich. Empfehlungen an Behandelnde könne der Hausarzt zudem nicht aussprechen, da diese wegen der grundsätzlich langen Behandlungsdauer von Patienten für Notfälle nicht zugänglich seien.

Eine Medikamententherapie sei durch verschiedene Wirkmechanismen gekennzeichnet. Der Eintritt einer Wirkung finde verzögert statt und die Compliance, die Bereitschaft zur Mitwirkung, sei häufig schwierig. Besonders Frauen seien berechtigt kritischer was die Einnahme von Psychopharmaka betreffe, sie wichen aus Sorge vor Nebenwirkungen häufig vor einer Einnahme zurück.
Es sei deshalb hilfreich, sie nicht zu verordnen, sondern sie im Bedenkzeit-Verfahren als potentielle Hilfe darzustellen, so dass der Patient selber melden kann, sie einnehmen zu wollen, wenn er meint, es gehe nicht mehr anders.
Mit den erwünschten angstlösenden, stimmungsaufhellenden, antriebssteigernden und beruhigenden Wirkungen gingen häufig vor allem in der Anfangszeit der Einnahme die unerwünschten Wirkungen wie Mundtrockenheit, Müdigkeit, Reaktionsverlangsamung und Gewichtszunahme einher. Ein besonderes Problem stelle sich besonders bei älteren Menschen wegen der häufigen Mehrfachmedikation speziell in Verbindung mit kardialen Medikamenten dar.
Als naturheilkundliche Alternative sei Johanniskraut bei leichter oder mittelschwerer Depression durchaus wirksam. Das Mittel sei jedoch nicht nebenwirkungsfrei, da es ebenfalls mit anderen Medikamenten zusammenwirke und eine Sonnenempfindlichkeit auslöse.

In Bezug auf die depressive Erkrankung sei der erste Schritt immer der wichtigste: Die Suche nach einem Gesprächspartner und möglichst der Gang zum Hausarzt. Mit diesem könne gemeinsam eine Therapiebasis gefunden und bei problematischem Verlauf über den Hausarzt zum Facharzt oder in andere Therapieeinrichtungen überwiesen werden.
Schwierig sei allerdings nach wie vor das der psychiatrischen Klinik anhaftende Stigma, das bis heute geblieben sei.

Aus der Sicht des Hausarztes bliebe die wichtigste Therapie immer die Beziehung. Der Patient müsse sich von seinem Arzt verstanden fühlen, sonst sei es nicht möglich, in eine Behandlung einzusteigen. Gerade für ältere Menschen sei eine gute Verbindung zum Hausarzt wichtig, da sie weit mehr Hemmungen besäßen, in eine psychiatrische Behandlung zu gehen.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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