Patientenseminar des MedQN zur „Depression“ fand großen Zuspruch

Prof. Dr. Georg Juckel, Ärztlicher Direktor der Bochumer LWL-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
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Auf umwerfend große Resonanz stieß am vergangenen Mittwoch, 27.02.13 das in Zusammenarbeit mit dem Bochumer Bündnis gegen Depression ausgerichtete Patientenseminar des Medizinischen Qualitätsnetzes Bochum zum Thema „Depression“.

Zwei Stunden lang vermittelten im Veranstaltungsraum des Kunstmuseums an der Kortumstraße drei Referenten aus dem Blickwinkel des behandelnden Experten und aus dem Blickfeld des Betroffenen Wissenswertes rund um die unsichtbare, weit verbreitete Erkrankung.

Jeder fünfte Bundesbürger, so die Relation, erkranke einmal in seinem Leben an einer Depression, weshalb von einer Volkskrankheit gesprochen werden könne.
Bei zunehmender Tendenz seien bundesweit ca. 4 Millionen behandlungsbedürftiger Erkrankungen zu verzeichnen. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl Bochums bedeute dies eine Betroffenheit von 73.000 Bürgern,
führte Werner Conrad, Journalist, Pressereferent des MedQN und Vorsitzender des Patientenbeirats des Medizinischen Qualitätsnetzes in die Thematik des Vortragsabends ein.

„Bin ich traurig oder schon depressiv? Oder: Ist es Burn-out oder schon Depression“ überschrieb Prof. Dr. Georg Juckel als erster Referent den von ihm gehaltenen Vortrag.
Der Ärztliche Direktor der LWL-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Alexandrinenstraße erläuterte zunächst die Zusammenarbeit mit dem Bochumer Bündnis gegen Depression, das sich seit seiner Gründung im November 2009 als gleichberechtigte Initiative Bochumer Bürger und Fachleute versteht, bevor er den Bogen zum Inhalt seines Beitrags spannte.

Dass jeder Dinge kenne, die traurig stimmen, ohne dass es sofort krankheitswertig ist, Trauer aber dann als pathologisch anzusehen sei, wenn sie über das Maß des Normalen hinausginge, erläuterte er ebenso, wie die Tatsache, dass man nicht nur eine Burn-out-Symptomatik, das „Ausgebranntsein“ kenne, sondern auch den „Bore-out“, die Krise, in die Menschen dann gerieten, wenn sie ständig unterfordert seien bzw. zu wenig zu leisten hätten.
Er warnte vor der „Psycho-Falle“, davor, dass häufig alles, was der Mensch tue, als pathologisch angesehen und unkritisch mit Diagnosen umgegangen werde. Dass Burn-out „nur“ eine Befindlichkeitsstörung und keine Krankheit darstelle, hinter der sich aber oft die Krankheit Depression verbirgt, machte der Experte anhand eines Mehrphasenmodells ebenfalls an diesem Abend deutlich. Er erläuterte das normale Auf und Ab von An- und Entspannung bei Stress, die sich immer höher schraubende Erregung bei auftretendem Dauerstress, die durch permanentes Überschreiten des Levels des Normalen schließlich nicht mehr zur Entspannung führe und in der psychischen Erkrankung münde.

Dass Depression weit mehr ist, als „nur“ ein Leben unter den erdrückenden Symptomen, vermittelte Sabine Schemmann als nächste Referentin in einem zweigeteilten Beitrag.
Die 2. Vorsitzende des Vereins lud zunächst anhand der selbst erstellten, textlich und musikalisch unterlegten Fotopräsentation "Depression ist, wenn ..." zu einer bedrückenden Reise durch das innere Erleben der oft ausweglos erfahrenen Erkrankung.

Im Anschluss referierte sie über die Lebenssituation mit und jenseits der Symptomatik als einer „bodenlos“ erfahrenen, hilflos und hoffnungslos stimmenden Krankheit: über den oft jahrelangen Prozess der Selbsterkenntnis und über die mühsame Überzeugungsarbeit, die bei Angehörigen, aber auch beim Hausarzt zu leisten sei.
Sie berichtete von dem manchmal drängenden Wunsch des Betroffenen, eine echte Grippe spüren und anerkannt krank im Bett liegen zu dürfen und von der gespürten „Depressions-Demenz“, die mit schmerzhaftem Erschrecken vor plötzlich auftretenden Erinnerungslöchern stehen lässt.

Dass ein Leben mit der Depression auch bedeutet, unter den charakteristischen Symptomen der Antriebslosigkeit und tiefen geistig-seelischen Erschöpfung in die Auseinandersetzung mit den Behandlungsmöglichkeiten Psychotherapie und Psychopharmaka einzusteigen, beides abzuwägen und die ungezählten Hürden bei der Psychotherapieplatz-Suche zu bewältigen, wurde ebenfalls in ihrem Vortrag deutlich.
Die Referentin wusste zu berichten, dass die Behandlung mit Psychopharmaka der medikamentösen Behandlung somatischer Erkrankungen nicht gleichzusetzen ist, der Kontakt zum Psychotherapeuten durchaus die Gefahr der Partnerkrise bergen kann, eine Psychotherapie nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen gesehen werden und im Extremfall sogar schädigend verlaufen kann.

Lebensnah beschrieb sie das „aus der Rolle fallen“ des Erkrankten, dem die Fähigkeit zur geordneten Berufsausübung ebenso schmerzhaft verloren geht, wie die Fähigkeit der emotionalen Zuwendung zum Partner und zum eigenen Kind.

Dass Leiden Kreise zieht, weil die Depression die Angehörigen mit in den Strudel zieht, wurde gleichermaßen deutlich. Als hingegen „oft nicht wahrgenommen und deshalb unterschätzt“ bezeichnete die Vereinsvorsitzende das Leiden des Betroffenen unter dem Leiden der eigenen Angehörigen, an dem er sich die Schuld gibt.
Gerade hierin liege ein hohes Risiko für Suizidalität, da der Betroffene erkenne, dass es den Menschen, die er liebt, weit besser ginge, wenn es ihn nicht gäbe.

Zum Abschluss ihres Vortrags umriss Sabine Schemmann die beständig belastende Konfrontation des Betroffenen mit der Erwartungshaltung Außenstehender und mit verbreiteten Irrtümern bezüglich einer raschen Bewältigung der Depression, bevor sie zu bedenken gab, dass man dem Erkrankten durchaus mit Achtung dafür begegnen dürfe,
„dass er jeden Morgen mit einer tonnenschweren unsichtbaren Fessel
erst eine 5 m hohe Mauer überwinden muss,
um in den Tag zu finden – und sein Leben trotzdem meistert!“

Als dritter Referent des Patientenseminars spannte Dr. Knut Hoffmann den Bogen zurück zu den gefestigten wissenschaftlichen Erkenntnissen einer grundsätzlichen Behandelbarkeit der Depression.
Der stellvertretende Ärztliche Direktor der Bochumer LWL-Klinik umriss die wissensvermittelnde Psychoedukation und die Psychotherapie mit den verschiedenen kassenzugelassenen Richtlinienverfahren, die Psychopharmakotherapie, biologische Therapieverfahren wie Schlafentzug und Entspannungstechniken sowie Möglichkeiten der Selbsthilfe bzw. der Hilfe zur Selbsthilfe im Sinne frühzeitigen Erkennens sich entwickelnder Krisensituationen und einer bewussten Lebensführung.

Anschaulich erläuterte er die Herangehensweise an eine Medikation, erklärte, dass es keine prinzipielle Überlegenheit einzelner Medikamente gebe, das Nebenwirkungsspektrum jedoch beachtet werden müsse.
In Abhängigkeit von den jeweils im Vordergrund stehenden Symptomen sei die Verordnung individuell auszuwählen und zu dosieren, um beispielsweise Schlafstörungen berücksichtigen und angstlösende Medikamente sinnvoll einsetzen zu können.

Dass die Erwartungen der anwesenden Zuhörer überwiegend erfüllt worden sind, zeigte sich sowohl anhand mündlicher Rückmeldungen als auch anhand der Befragung durch Evaluationsbögen, die durch Werner Conrad für das MedQN ausgearbeitet und zum ersten Mal einsetzt wurden, um die Zufriedenheit mit den Seminaren und den Referenten abfragen und Anregungen entgegennehmen zu können.

Dass auch die Vermittlung des Erlebens der Depression und der Sichtweise Betroffener gelungen war, die zum ersten Mal als eigener Vortrag in den Rahmen wissenschaftlicher Fachbeiträge eingebunden worden ist, wurde im Anschluss aus den Reaktionen der Anwesenden deutlich.
Man habe sich noch nie so verstanden gefühlt, wie in dieser Präsentation und man habe jetzt zum ersten Mal verstanden, was Depression bedeute, machte so mancher anerkennend deutlich.
Es zeigte, dass das Bündnis gegen Depression mit dem gelebten, respektvoll gleichberechtigten Miteinander von Experten und Betroffenen im Bestreben der Enttabuisierung der Depression einen guten Weg beschreitet.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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