Die Bedeutung der Psyche in der ärztlichen Behandlung
Die Patientin hatte sich mit heftigen, phasenweise unerträglich starken Schmerzen im Bereich des Rückens und mit starker körperlicher und geistig-seelischer Erschöpfung an ihren Hausarzt gewandt, die sie ursächlich auf die extremen psychischen Belastungen zurückführen konnte, unter denen sie seit drei Jahren litt.
Sie hatten begonnen, nachdem ihr eine Psychotherapie zur Behandlung ihrer Depressionen von Seiten der behandelnden Therapeutin unerwartet fristlos abgebrochen worden war, als sie deren Unterstützung und Beistand am dringendsten benötigt hatte.
Das Erleben der abrupten Ablehnung durch die wichtigste Bezugsperson in einer Phase größter Hilfsbedürftigkeit war traumatisch und für sie nicht zu verarbeiten, weil sie eine damals lebenswichtige Verbindung als nicht verlässlich und eine Behandelnde, der sie vertrauensvoll alles von sich erzählt hatte, als nicht vertrauenswürdig erleben musste.
Die schwere Last, die die Seele zusammen mit dem Wissen um eine Fehlerhaftigkeit der erfahrenen Behandlung ab diesem Zeitpunkt tragen musste, ließ den Körper krampfen. Sie spürte, wie sie zusehends immer erschöpfter in sich zusammenfiel und der Rücken die Belastung nicht mehr tragen konnte.
Die Patientin schilderte die Situation in groben Zügen ihrem Hausarzt. Die körperliche Erschöpfung ließ sich mittels Untersuchung der Blutwerte nicht erklären, sie lagen im Normalbereich. Die Schmerzspritzen, die er ihr zur raschen Linderung der Rückenschmerzen verabreichte, wenn sie ihn in akuten Schüben aufsuchte, wirkten nicht zufriedenstellend.
Vermutlich seien dann doch Vorerkrankungen der Wirbelsäule maßgebend, er würde sie zu einem Orthopäden überweisen, schlug er zur Abklärung der körperlichen Schmerzen vor.
Den Mut, die verkrampfte Atmung, die Erschöpfung und die schmerzhaften Verkrampfungen im Bereich der Lendenwirbelsäule, der Gesäßmuskulatur, der seitlichen Weichteilbereiche, der Oberbauchmuskulatur und der Rippenbögen auf die psychischen Belastungen und die Unfähigkeit des Verarbeitens der traumatischen psychotherapeutischen Behandlungssituation zurückzuführen, besaß er nicht. Wenn schon ein Verschleiß der Wirbelsäule vorliege, der schmerzhaft sein könne, dann käme vermutlich einfach alles zusammen.
In Anbetracht der Ansicht des Hausarztes, dem die Zusammenhänge zu den elementaren Auswirkungen psychischer Belastungen auf den Körper nicht deutlich zu sein schienen, kam sie sich wie ein Simulant vor, dem man nicht glaubte, obwohl sie den typischen Beschwerdeverlauf täglich an sich beobachten konnte. Sie verzweifelte und resignierte, willigte jedoch in die Überweisung zum Orthopäden ein, weil für sie selber von Interesse war, wie sich der Verschleiß der Bandscheiben darstellte.
Der Orthopäde begann zunächst eine Akupunkturbehandlung, da sich diese bei Rückenschmerzen gut bewährt habe. Sie schlug jedoch nicht an. Die Beschwerden steigerten sich am Ende noch, weshalb eine Kernspintomographie veranlasst wurde. Der Befund ergab lediglich die der Patientin bereits bekannte Abnutzung der Bandscheibe, die sie schon seit jungen Jahren hatte, ohne dass es zu derart massiven schmerzhaften Verkrampfungen gekommen war, die auch unabhängig von Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule auftraten.
Der Orthopäde gab an, nichts weiter tun zu können, er könne allerdings an die Rheumatologie überweisen, um nach dem Ausschlussverfahren abzuklären, ob es eine Fibromyalgie sein könne, eine Art Weichteilrheumatismus. In einem solchen Fall könne man dann aber ebenfalls nichts tun, man müsse mit den Schmerzen leben.
Obwohl die Patientin in dem Wissen um die Zusammenhänge zwischen Rückenschmerzen und psychischem Druck angegeben hatte, seit langem unter extremen psychischen Belastungen zu leiden, nur verkrampft atmen zu können und ständig zu verspannen, kam er nicht auf den Gedanken, ihr ein Gespräch bei einem Psychologen zu empfehlen.
Sie reagierte deshalb verärgert auf das Übergehen wichtiger Aspekte und gab auch an, es störe sie erheblich, dass im Hinblick auf die körperlichen Beschwerden der psychische Bereich zu wenig Beachtung finde.
Dazu wurde ihr im Nachgang schriftlich mitgeteilt, man bewege sich auf dem Gebiet der Orthopädie und nicht der Psychotherapie oder der langjährigen hausärztlichen Behandlung, wo das Gespräch und eine vielschichtige Vorgeschichte von Bedeutung seien. Ein Gespräch beim Orthopäden müsse zweckdienlich und informativ sein.
Diese Einstellung zu psychischen Belastungen und deren Einfluss auf die körperliche Gesundheit des Menschen frustrierte die Patientin stark, die sich im Erleben der schlimmen Belastungen nicht ernst genommen fühlen konnte. Die Verzweiflung ließ sie kranker werden, die körperlichen und seelischen Symptome verstärkten sich. Immer wieder konnte sie nicht durchatmen und immer wieder krampfte der gesamte Rumpfbereich, immer wieder suchte sie erschöpft das Bett auf, um sich hinzulegen und sich zu entlasten.
Zwei mittlerweile aus eigenem Antrieb bei einer Trauma-Therapeutin geführte Gespräche gaben ihr zumindest dahingehend Bestätigung, dass das erfahrene therapeutische Verhalten fehlerhaft gewesen war, das Erleben der Patientin erkennbar traumatisch sei und die Haltung der seinerzeit behandelnden Therapeutin selbst die aktuell aufgesuchte Behandelnden sehr wütend mache.
Der Patientin, die sich in ihrem Leiden bestätigt fand, wurde auf diese Weise erneut deutlich, dass sich der Blick der Haus-und Fachärzte auf die gesundheitlichen Beschwerden kranker Menschen dahingehend schärfen sollte, als der Einfluss der Psyche und der Fachbereich der Psychiatrie und Psychotherapie weit stärker Beachtung finden muss, wenn es um die Abklärung körperlicher Symptome geht.
Dies noch umso mehr, als sie zu Hause anfing nachzulesen, um dann festzustellen, dass die Fibromyalgie als Faser-Muskel-Schmerz aufgrund identischer Haupt- und Begleitsymptome einen sehr engen Bezug zu psychischen Beschwerden aufweist, da sie der Depression entsprechen.
Sie könne nach Stress-Situationen als Folge der Überreizung des Nervensystems ausbrechen oder durch ein vorausgegangenes Trauma ausgelöst werden. Psychische Störungen wie Depressivität lägen überdurchschnittlich häufig vor, die Symptome der Krankheit könnten durchaus psychische Störungen reflektieren.
Der Standpunkt des Orthopäden, man bewege sich nicht auf dem Gebiet der Psychotherapie, bedrückte folglich ebenso, wie die Tatsache, dass kein Gespräch mit einem Psychologen angeregt wurde, obwohl die Patientin extreme psychische Belastungen benannt hatte.
Denn bei Fibromyalgie handele es sich um eine Ausschlussdiagnose, die auch eine sorgfältige psychiatrische Abklärung erfordere, da Depressionen häufig übersehen würden. Zur Behandlung zähle u.a. auch Verhaltenstherapie mit geleiteter Imagination und weiterer Entspannungsverfahren, während Akupunktur eher umstritten sei, war nachzulesen.
Schon vor ein paar Jahren hatte die Patientin erlebt, dass ein Hausarzt die Bedeutung der Psyche für die körperliche Gesundheit des Menschen zu wenig verinnerlicht hatte. Er schickte sie, die über anhaltende Magenschmerzen geklagt hatte, mit der Diagnose einer medikamentenresistenten Gastritis zur Magenspiegelung in ein Krankenhaus.
Der Patientin war klar, was die Untersuchung dann auch ergab: eine organische Erkrankung war nicht feststellbar, mit Entlassung aus dem Krankenhaus waren die Schmerzen wie weggeblasen. Der Ansicht der Patientin, die sich über Jahre hinweg beobachtet hatte und angab, es handele sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die Auswirkungen einer saisonalen Depression, schenkte der Behandelnde kaum Beachtung.
Dem kranken Menschen zuliebe bleibt deshalb wünschenswert, ihn nicht nur isoliert als Patienten der eigenen Praxis anzusehen. Jeder hat seine eigene Vorgeschichte, aus der sich die Beschwerden zusammensetzen, die ihn im Lauf seines Lebens in die Praxen verschiedener Fachrichtungen führen. Körper und Seele bilden eine Einheit, die sich gegenseitig beeinflusst.
Dass sich körperliche Schmerzen irgendwann nachteilig auf das psychische Empfinden auswirken, ist anerkannt. Der umgekehrte Weg ist im Bewusstsein offenbar bislang nicht immer angekommen. Es wäre wichtig, diesen Blickwinkel noch zu erweitern.
Autor:Sabine Schemmann aus Bochum |
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