Burn-out-Debatte: Gesellschaft für Psychiatrie reagiert mit Positionspapier (Teil 1 / Kritikpunkte der DGPPN)
Die seit mehreren Monaten intensiv in der Öffentlichkeit geführte Burn-out Diskussion, die daraus erwachsende Eigendynamik um die Begrifflichkeit, der ersatzweise Gebrauch für die Depressionen arbeitender Menschen und die aus dem Boden sprießenden selbsternannten Burn-out-Kliniken haben die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) als größter medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaft für psychische Erkrankungen veranlasst, zur Versachlichung und Klärung von Unsicherheiten mit Datum 07.03.12 ein Positionspapier herauszugeben.
Während die DGPPN die öffentliche Diskussion einerseits ausdrücklich begrüßt, da das auf den psychischen Erkrankungen liegende Stigma dadurch reduziert werde, sieht sie jedoch gleichzeitig erhebliche Verwirrungen und potentielle Fehlentwicklungen, die einer dringenden Aufklärung bedürfen.
Die folgenden Kritikpunkte und Forderungen werden dabei besonders herausgestellt:
1. Missachtung des international geltenden ICD-10
Bei der Gleichstellung des Burn-out mit jeglicher Form einer psychischen Krise und der Erkrankung in zeitlichem Zusammenhang mit einer Arbeitsbelastung bliebe das international geltende Klassifikationssystem psychischer Erkrankungen (ICD-10, F-Gruppe) der Weltgesundheitsorganisation unbeachtet, das in Deutschland verbindlich sei.
Dieses ließe eine derart undifferenzierte Betrachtungsweise nicht zu.
Auch die in Arbeit befindliche Neufassung und Überführung des ICD-10 in den ICD-11 werde nach derzeitigem Kenntnisstand kein „Burn-out-Syndrom“ als neue offizielle Krankheitsdiagnose einführen, sondern den Begriff als Anlass zur Kontaktaufnahme mit Gesundheitsdiensten fortführen, was die DGPPN für sinnvoll erachte.
Es gebe keinen Grund, mit dem Burn-out-Begriff eine neue deutsche Krankheitsdefinition zu schaffen und aus der Internationalen Klassifikation auszuscheren.
Darunter leide die internationale Vergleichbarkeit und es bestehe zum Schaden des Patienten die Gefahr, dass am besten belegte therapeutische Behandlungsmöglichkeiten keine Anwendung finden.
2. Irreführende Krankheitsdefinition
Die öffentliche Berichterstattung fördere eine Krankheitsdefinition, die Burn-out zur Erkrankung der Leistungsträger erhebe, während die Depression mit einer Erkrankung der Schwachen assoziiert werde. Diese Sichtweise treffe nicht zu und bringe die Gefahr einer erneuten Stigmatisierung depressiv erkrankter Menschen mit sich.
3. Kritik gegen bislang gängige Burn-out-Konzepte:
Trotz der bislang ca. 1000 Publikationen pro Jahr sei es bislang nicht gelungen, sich auf eine verbindliche Begriffsbildung zu einigen.
Bereits 160 verschiedene Beschwerden seien als Burn-out-Einzelsymptome publiziert worden. Dabei werde Burn-out zwar einerseits als dauerhafter, negativer, arbeitsbezogener Seelenzustand „normaler Individuen“ angesehen, bei dem es sich nicht um eine Erkrankung handele, andererseits würden Depressionen, schwere Konzentrations- und Gedächtnis-störungen und Suizidalität als schwerste psychische Krankheitssymptome zur Beschreibung angeführt.
Bislang eingeführte Messinstrumente für Burn-out-Beschwerden erfüllten nicht den Anspruch einer diagnostischen Gültigkeit, sondern dienten eher der Erfassung des subjektiven Ausmaßes der Beschwerden.
Auch die unterschiedlichen Stufenmodelle der schrittweisem Entwicklung eines Burn-out seien nicht wissenschaftlich abgesichert.
Gänzlich unvereinbar mit dem ICD-10 seien Burn-out-Spiralen, die schwere Konzentrationsstörungen, depressive Stimmung und Suizidalität als Vorstufen des voll ausgebildeten Burn-out-Syndroms auflisten.
Der Begriff Burn-out dürfe nicht unkritisch und unwissenschaftlich für alle im Zusammenhang mit einer Arbeitsbelastung stehenden psychischen Störungen verwendet werden.
Bei einer Gleichstellung mit dem schweren, oft lebensbedrohlichen Krankheitsbild der Depression drohe eine gefährliche Unter- und Fehlversorgung der Betroffenen.
4. Burn-out dürfe nicht als Problem verstanden werden, das primär durch das Gesundheitssystem aufgefangen werden müsse. Hier seien Sozialpartner und Politik in der Pflicht, der Überforderung entgegenzuwirken.
5. Häufung von Burn-out
Bezüglich der in der Öffentlichkeit verbreiteten Ansicht einer deutlichen Zunahme von Burn-out-Beschwerden führt die DGPPN an, eine präzise Angabe zur Häufigkeit sei wegen der uneinheitlichen Einstufung des Krankheitsbildes und einer nicht wissenschaftlich begründeten Datenerhebung nahezu unmöglich.
Es lägen keine verlässlichen Daten über die Häufigkeit psychischer Beschwerdebilder im Zusammenhang mit einer überfordernd erlebten Arbeitssituation für Deutschland vor. Insofern sei eine relevante Zunahme von Burn-out-Beschwerden unklar.
Die Zunahme der Krankschreibungen und Frühverrentungen aufgrund psychischer Störungen könne gleichermaßen z.B. auf die zunehmende Offenheit der Patienten zurückgehen, zumal parallel eine Abnahme somatischer Störungen als Begründung zu verzeichnen sei.
Zu den psychosozialen Problemen am Arbeitsplatz und zu deren gesundheitlichen Folgen sollte der DGPPN zufolge dringend eine gezielte Forschung erfolgen.
Weiterlesen unter:
Teil 2:
http://www.lokalkompass.de/bochum/ratgeber/burn-out-debatte-teil-2-konzept-der-dgppn-zur-klassifikation-d156187.html
Teil 3:
http://www.lokalkompass.de/bochum/ratgeber/burn-out-debatte-teil-3-dgppn-zur-entstehung-von-burn-out-beschwerden-d156188.html
Teil 4:
http://www.lokalkompass.de/bochum/ratgeber/burn-out-debatte-teil-4-dgppn-zur-praevention-therapie-und-rehabilitation-von-burn-out-beschwerden-d156189.html
Anm.:Dieser Beitrag stellt eine möglichst allgemeinverständliche Zusammenfassung dar. Die vollständige Fassung des Positionspapiers kann unter http://www.dgppn.de unter der Rubrik "Publikationen / Stellungnahmen" heruntergeladen werden.
Autor:Sabine Schemmann aus Bochum |
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