Bogestra führt gut ein Dutzend Stadtspiegel-Leser durch die „Engelsburg“ in Bochum
„Dies ist kein Museum, wir betreten einen lebendigen Betrieb.“
Nach diesen Worten öffnete Pensionär Jürgen Haarkamp zusammen mit Christoph Kollmann, dem Pressesprecher der Bogestra, etwa einem Dutzend Stadtspiegellesern die Pforte zur Betriebswerkstatt Engelsburg.
Das Wort „Werkstatt“ vermag in des ein oder anderen Lesers Sinn zunächst Bilder von mit Spänen oder Ölflecken versehenen Steinböden entstehen lassen, doch nicht nur das Ambiente des Betriebswerks versetzt so manchen Besucher in Erstaunen.
„Marschieren wir los!“
Auf dem Weg zum ersten Gebäude begegnen sich ungewöhnliche Mitarbeiter. Sie weigern sich anscheinend, die üblichen Farben der Unternehmensbekleidung anzunehmen und von Arbeitsmoral fehlt jede Spur- im Gegenteil: In den buntesten Farben schwimmen Fische seelenruhig in Wasserbassins – teils hinter drei Meter hohem Schilfgras – direkt an der Hausfassade entlang.
Hier fängt die Bogestra Regenwasser ein, pumpt es ab und stellt es überall, wo es auf dem 102.000 Quadratmeter großen Gelände gebraucht wird, zur Verfügung, zum Beispiel für Toiletten, oder die Straßenbahnwaschstraße. Doch keiner der Fische muss sich deswegen an den Betriebsrat wenden. Das Wasser bekommen sie, dank eines fast geschlossenen Kreislaufs, zum großen Teil wieder zurück.
„Nein, hier ist es immer so sauber“, meint Kollmann, als die Besucher das Betriebsgebäude betreten. „Das zeigt uns, wie stark dieser Standort auch von unseren Mitarbeitern angenommen wird.“
Im krassen Kontrast zu einem modernen Saal, an dessen Konferenztisch die Gäste Platz nehmen, steht die Geschichte des Geländes. Früher habe es hier gerußt und geraucht, erzählt Haarkamp, aber noch vor der Bogestra. Die Füße der Besucher stehen nämlich auf dem Grund der ehemaligen Zeche Engelsburg.
Bund und Land haben 90 Prozent der fast 70 Millionen Euro, die der Bau verschlang, übernommen, damit nach dreieinhalb Jahren Bauphase hier die Bogestra ihr gleichnamiges Werk eröffnen konnte. Auch über die Geschichte des Unternehmens, die Strecken, andere Werkstätten und wieso heute das Unternehmen ist wie es ist, erzählt Haarkamp den Gästen im Saal. Verständlich, mit eigenen Worten und während des gesamten Besuchs immer mit einem begeisternden Strahlen in den Augen, das als Eisenbahnfieber die Besucher ansteckt.
Von schlafenden jungen Riesen und alten Damen
Nach einer Stärkung mit Currywurst und Brot bricht die Gruppe zum eigentlichen Rundgang auf. Durch den Aufenthaltsraum der Fahrer, die zurzeit alle buchstäblich auf Achse sind, auf den Hof, umgeben mit speziellen Mauern, die die Anlage vor dem Schall der Umgebung schützen müssen. Oder war es andersherum? Auf dem Gelände jedenfalls ist zunächst kaum etwas zu hören- außer dem leisen Summen einer 30 Meter langen und über drei Meter hohen modernen Straßenbahn Typ „Variobahn“ von Stadler. Doch das soll sich schnell ändern: Jürgen Haarkamp öffnet die vordersten Doppelflügeltüren des 2,3 Millionen Euro schweren Zuges und bittet den kleinen Besucher Julian auf dem Thron Platz zu nehmen. An der Armlehne des Fahrersitzes befinden sich zwei kleine rote Knöpfe. Als Julian einen davon betätigt, erwacht der von der Arbeit geräderte Riese plötzlich aus seinem Mittagsschlaf und schimpft mit den Besuchern auf die für Straßenbahnen so typische Weise. Wütend fegen die Schallwellen der Klingel über das Gelände hinweg und beanspruchen es als Revier der Tram.
Nach Abstechern in die Gleisinstandhaltungswerkstatt, dem Kleinteillager und einer Abfallsammelstätte, erreichen wir die erste große Wagenhalle. Auf dem Weg dorthin entdeckt die Gruppe ein weiters Ungetüm:
Ein großer, breiter Gleisreinigungswagen wie er in freier Wildbahn häufig angetroffen wird. Hier in seinem Zuhause will er sich gerade unter lautem Getöse des aufgesammelten Schmutzes entledigen. Als die Gruppe ihn bemerkt, stellt er jedoch den Motor ab, gibt keinen Mucks mehr von sich und stellt sich schlafend.
Beim Eintritt in die Halle fällt auf, wie weit die eigene Stimme von der Luft getragen wird und dann zurückkehrt.
60 Fahrzeuge passen in die sonnengeflutete große Halle. Unter ihnen schlummern zwei Rentner aus den Jahren 1968 und 1948. Auch diese Fahrzeuge beweisen den großen und den kleinen Besuchern mit Klingeln, dass sie noch könnten, wenn sie wollten. Aber eigentlich wollen sie in der Halle eher ihre Ruhe haben. Verständlich, nach 28 Jahren Rennerei bei Wind und Wetter im Dienste der Bogestra durch die Straßen - und ihrem noch stolzeren Alter.
„Die Engelscrew“
Insgesamt umfasst die „Engelscrew“ 510 Mitarbeiter. Ob in der Tischlerei, Lackiererei, der Waschsstraße, einer der Ausbildungsstätten für Metalltechnik, Elektrotechnik oder dem Mitarbeiter, dem die Besucher gegen Ende der Führung in der Polsterei über die Schulter schauen. Fast keine Räumlichkeit bleibt den Besuchern verborgen. Nach der gut durchdachten Tour auf dem noch durchdachteren Gelände, zwischen Drehgestellen, Fahrzeugen, Arbeit und Ausbildung, verlor gewiss so mancher kleine oder große Besucher sein Herz an die Straßenbahn. Die vielen Grünflächen sogar auf den Dächern der Gebäude, Schwimmbewegungen der Fische, Wasserspiegelungen des Lichts auf der Hausfassade und der Umgang mit Ressourcen, zeigen einen außergewöhnlich harmonischen Umgang mit Mutter Natur an einem Ort, an dem sie vermutlich kaum einer der Besucher vermutet hätte.
Der 44-jährige Cemal Elitas jedenfalls war mehr als begeistert. „Davon muss ich unbedingt meinen Kindern erzählen“. Die vielen Informationen über das Gelände, wie es sich im Laufe der Geschichte verändert hat und vor allem mal einen Bahnbetrieb von innen sehen zu können, habe ihn fasziniert.
Auch die Gruppe hatte einiges zu bieten. Vom Neuling in Sachen Straßenbahnen, begeistert von Technik, bis zum Experten für Unterflur- Radsatzdrehmaschinen war alles dabei. Jürgen Haarkamp konnte selbst schwierige Fragen bewantworten.
Autor:Sandy Spanier aus Bochum |
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