Behandlung in der Warteschleife - Zwischen Depression und Suche nach dem psychotherapeutischen Behandlungsplatz

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Die Tage waren grau, obwohl die Sonne schien. Das strahlend klare Blau des wolkenlosen Himmels schmerzte, obwohl es in seiner Reinheit wunderschön aussah.
Früher hatte Sybille diese Tage immer sehr genießen können, doch seit ein paar Jahren lag auf ihrem Brustkorb eine tiefe Trauer, obwohl niemand gestorben war, dem sie sich verbunden fühlte. Das Aufstehen fiel schwer, der Tagesablauf hakte wie eine schwergängige Tür, der immer gleiche Ablauf schien nicht mehr zu bewältigen. Sich auf das ganz Alltägliche zu konzentrieren, war Sybille immer öfter kaum mehr möglich und im Innern fühlte sie sich fast wie aufgefressen. Sie erschöpfte schnell, machte immer öfter Pause und ertappte sich dabei, ins Nichts zu starren. Ja, an manchen Tagen war da tatsächlich einfach nichts, die Zeit war um und da war nichts. Nichts, was getaugt hätte, zu sagen, dass sie irgendetwas Sinnvolles erledigt hätte. Sinnvoll war in ihrem Leben eigentlich schon lange nichts mehr.

Dass sie sogar mehrmals schon an einen Selbstmord dachte, weil dieses innere Erleben nicht länger auszuhalten war und sie sich in ihrem Fühlen selbst nicht mehr ertragen konnte, hatte sie noch niemandem erzählt. Sie schämte sich für diesen immer drängenderen Wunsch, zu sterben. Es würde ohnehin kein Mensch verstehen können, was mit und in ihr los war. Sie konnte es ja selber kaum erklären. Fest stand nur, dass sie keinem Menschen wirklich fehlte - und sich selbst am allerwenigsten. Sybille war sich selbst im Weg.

Lange Zeit hatte sie gedacht, es würde sich von selber wieder legen. Es tat sich aber nichts. Stattdessen hatte sie jetzt auch noch Schmerzen. Der ganze Körper brannte, er fühlte sich wie Feuer an und ihr war elend; ganz entsetzlich elend. Und dieses „schlechte Gefühl“, wie sie es nannte, war nicht abzuschütteln. Sie kannte das Gefühl von einer Grippe, wenn kein Leben mehr im Körper war und man die Krankheit im Hals und auf der Zunge schmecken konnte. Bei einer Grippe wusste sie, dass es nach ein paar Tagen besser werden würde.
Aber das hier, das war keine Grippe. Das, was sie im Hals und auf der Zunge und ganz tief in sich spürte, blieb. Als hätte es sich festgefressen, wie ein Parasit.

Sybille würde sich um eine Psychotherapie bemühen müssen, denn diesen Zustand ihres Körpers und der Seele konnte sie alleine nicht bewältigen. Sie wusste, dass es unumgänglich war. Die Liste mit den vielen Namen hatte sie schon lange liegen. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe war ein guter Tipp gewesen. Dennoch aber war sie mit ihr völlig überfordert. Sie schaute sich die Namen an und wusste sich nicht zu entscheiden. In ihrem Alltag konnte sie schon ohnehin keine Entscheidungen mehr treffen, sie kämpfte permanent mit diesen widerstreitenden Gefühlen, die wie eine Bremse wirkten. Wie sollte sie dann jetzt zurande kommen?

Das hier heute war beileibe nicht ihr erster Anlauf. Schon mehrmals hatte sie die Namen überflogen und sich nicht entscheiden können. Ihr Kopf war leer. Er konnte diese vielen Namen nicht erfassen, fand keinen Halt an ihnen. Schon auf der zweiten der insgesamt fast dreißig Seiten hatte sie der Mut verlassen. Sie kannte diese Menschen nicht und es gab niemanden, der ihr zu diesen Namen irgendetwas sagen konnte.
Einen Orthopäden hatten viele schon gesucht oder einen Zahnarzt. Aber einen Psychotherapeuten? Das war doch etwas völlig anderes. Und dann noch diese Abkürzungen am Rand. Was um Himmels Willen war denn nochmal eine VT oder eine PT oder eine APT? Und was war mit EE und GE und VT als EKJ gemeint?
Immer wieder musste sie nach vorne blättern, wo die Erläuterungen standen, die sie dann auf der nächsten Seite längst wieder vergessen hatte, weil sie sich heute wieder einmal gar nichts merken konnte.

Angesichts der tief in sich gespürten Überforderung fing Sybille an zu weinen. Es weinte einfach so aus ihr heraus, kam aus der Tiefe, ohne dass sie sich noch steuern konnte. Sie fühlte sich unglaublich hilflos; hilflos wie ein kleines Kind. Sie brauchte Hilfe, weil es ihr so schlecht ging und war zu hilflos, diese Hilfe anzurufen. Und wenn sie noch dazu so heftig weinte, konnte sie schon sowieso nicht anrufen. Sie war ja gar nicht orientiert. Was hätte sie denn sagen sollen, um ihren Anruf zu begründen? „Entschuldigung, es geht mir schlecht?“ Nein, so ging das nicht. Sie musste sich erst mal beruhigen.

Zwei Stunden später griff Sybille wieder nach der Liste und fing von vorne an, die Namen durchzusehen. Sie wusste nur, dass sie auf keinen Fall mit einem Mann arbeiten wollte. Sie hasste Männer, die derart von sich selber eingenommen waren, dass sie glaubten, völlig selbstverständlich in Frauen eindringen zu dürfen. In diesem Fall in deren Seele wohlgemerkt. Das aber machte letztlich keinen Unterschied. Auch wenn es um die Seele ging, hatte es etwas von einer Vergewaltigung.
Sybille wusste, dass eine Therapie sehr schnell verletzen konnte. Ihre Freundin Anne hatte eine schwere Schädigung davongetragen. Und Männer, die sich im seelischen Erleben einer Frau festfraßen, um immer tiefer einzudringen, obwohl man das nicht wollte, nein, das waren Schweine. Die zogen ihren Selbstwert doch nur aus dem Gefühl, wieder eine Frau dazu gebracht zu haben, ihnen alles von sich zu erzählen und tief in sich hineinschauen zu lassen.
Wieder fing sie an zu weinen. Nein, wenn überhaupt, dann war nur an eine Psychotherapie mit einer Frau zu denken. Wenn da nur nicht die unendlich vielen Namen wären …

Sybille nahm sich einen Bleistift und machte erste Kreuzchen, wenn ein Name Zutrauen vermittelte. Außerdem war wichtig, dass die Praxis gut erreichbar war. Zumindest so weit war sie also schon. Jetzt blieb nur noch der Griff zum Telefon.
Als sie die Versuche endlich starten konnte, ging es ihr immer noch ganz furchtbar schlecht. Das schrecklich Elende tief in ihr drin rechtfertigte aber eigentlich auch überhaupt erst, dass sie sich um einen Platz bemühte.

Sie nahm all ihren Mut zusammen, wählte mit zittrigen Fingern eine erste Nummer und lauschte auf das Läuten.
Als am anderen Ende abgenommen wurde, erklang nur eine Telefonansage. Die Stimme klang nicht unsympathisch, Sybille aber war dermaßen überrumpelt, dass sie nicht voll erfassen konnte, was diese Stimme sagte. Sie hatte nicht mal einen Zettel, um etwas zu notieren. Sybille legte auf.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie voll konzentriert sein musste, um eine Nachricht abzuhören und womöglich auch noch eine kurze Botschaft auf ein Band zu sprechen, wo eigentlich ein Mensch vonnöten war. Sie würde es nochmal versuchen müssen. Diesmal war sie besser vorbereitet, als das Band ansprang.

„Guten Tag. Sie sind mit der psychotherapeutischen Praxis Müller-Altmeyer verbunden. Die beste Chance, mich persönlich zu erreichen, haben Sie kurz vor der vollen Stunde. Ansonsten sprechen Sie bitte Ihren Namen und die Telefonnummer auf Band. Ich rufe Sie dann gegebenenfalls zurück.“
Gegebenenfalls. Was hieß denn gegebenenfalls? Nein, auf Band sprechen mochte Sybille nicht. Noch zehn Minuten bis zur vollen Stunde, das ging. Sie würde warten. Als sie es dann erneut versuchte, nahm niemand ab. Sybille blieb nichts anderes übrig, als ihre Bitte um einen Rückruf auf das Band zu sprechen. Doch ein Rückruf kam nicht, weder später noch in den nächsten Tagen. Sie musste weitersuchen.

Die nächste Behandelnde, bei der Sybille Tage später anrief, war Ärztin für Psychotherapie. Auch sie ging nicht ans Telefon. Ihre Ansage war abweisend und genervt auf Band geleiert:
„Die telefonischen Sprechzeiten der Praxis sind montags, dienstags, donnerstags und freitags jeweils von 12.00 – 13.00 Uhr. Auf den Anrufbeantworter gesprochene Anfragen um einen Therapieplatz werden nicht beantwortet. Übrige Mitteilungen können nach dem Signalton auf das Band gesprochen werden.“

Sybille erschrak über die Unfreundlichkeit der Stimme, die in keiner Weise klang, als wolle sie Patienten haben. Nein! Diese Frau kam nicht in Frage. Ihre restriktive Stimme hatte ihr Inneres noch mehr verwundet, als es schon verwundet war.
Sie griff die nächste Nummer, die gleichermaßen eine Telefonsprechstunde ansagte. Sybille schaute auf die Uhr, das war gut, das war ja schon in einer halben Stunde. Doch diese halbe Stunde nützte wenig, die Leitung war permanent besetzt, so oft sie auch versuchte, durchzukommen.
In den letzten fünf Minuten der Telefonsprechzeit gelang es endlich, der Ruf ging durch. Doch statt den Anruf anzunehmen, wurde auf besetzt gedrückt. Die Psychotherapeutin warf die kranke Frau einfach aus der Leitung.

Sybille sank in sich zusammen, zitterte und weinte. Was waren das für Menschen, die es nicht einmal für nötig hielten, für einen schwer erkranken Menschen, der nach Hilfe suchte, an ein Telefon zu gehen? Wie sollte man denn da Vertrauen in Behandlung fassen? Nein, sie wunderte sich nicht mehr, dass sich Menschen töteten. Das hier war absolut unmenschlich.

Die vierte Psychotherapeutin, die Sybille in den Folgetagen anrief, nahm den Hörer direkt ab. Nein, neue Patienten nehme sie nicht an und eine Warteliste führe sie seit langem nicht mehr. Es sei auch momentan nicht absehbar, wann mit einem Platz gerechnet werden könne. Sybille solle es in einem Vierteljahr nochmal versuchen.
In einem Vierteljahr würde Sybille nicht mehr leben, da war sie sich ganz sicher. Mit diesen Wunden tief im Innern konnte man nicht länger weiterleben. Aber ein paar Adressen hatte sie ja noch notiert. Sie würde alle abarbeiten, irgendwo musste doch ein Platz zu kriegen sein.

Die nächste Nummer, die sie wählte, die zweite dieses Tages, führte wieder nicht zu einem echten Menschen. Die Stimme der Psychotherapeutin kam ebenfalls vom Band, klang hart und strukturiert.
Man könne eine Nachricht hinterlassen oder die telefonische Sprechzeit nutzen. Diese sei dienstags von 14.30 – 15.00 Uhr. Man könne aber auch eine E-Mail schreiben.
Diese Möglichkeit fand Sybille gut. Sie schrieb viel lieber ein paar Worte, als mit einem Band zu sprechen. Allerdings half ihr das im Ergebnis wenig. Auch diese Therapeutin hatte keine freien Plätze anzubieten, wie sie am nächsten Tag per Mailantwort erfuhr.

Die Suche nach einem psychotherapeutischen Behandlungsplatz fraß unendlich Zeit. Wieder so viel Zeit, in der für Sybille nicht nachvollzogen werden konnte, wo sie eigentlich geblieben war. Leere Zeit in einem leeren Leben. Ein Leben, in dem für psychisch kranke Menschen offenbar kein Platz war. Sie schaute aus dem Fenster. Draußen ging das Leben weiter, das nicht ihr Leben war, sondern das der anderen Menschen, die es einfach lebten. Einfach leben: es war unvorstellbar, wie das gehen sollte.
Sechs Adressen nahm Sybille sich noch vor. Sie würde anrufen. Morgen oder übermorgen, heute war sie zu erschöpft. Ihre Kraft war aufgebraucht.

Es dauerte noch einmal eine ganze Woche, bis Sybille in der Lage war, erneut zum Telefon zu greifen. Als erstes würde sie die Praxis Gabriele Reinhard anrufen. Der Anrufbeantworter, der sich nach dem fünften Klingeln einschaltete, versetzte sie inzwischen nicht mehr in Erstaunen:

„… telefonisch bin ich derzeit leider nicht zu sprechen. Sie erreichen mich wieder am nächsten Donnerstag von 12.00 – 12.30 Uhr. Auf Wiederhören.“ Die Möglichkeit, auf ein Band zu sprechen, erwähnte die Behandelnde erst gar nicht erst. Sybille notierte sich die Zeit auf einem Zettel und griff zur nächsten Nummer:
„Guten Tag, sie sind mit dem Anschluss der Praxis Annette Adams verbunden. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich während der Gespräche nicht ans Telefon gehe. Die Suche nach einem freien Therapieplatz ist nur durch ein persönliches Gespräch möglich. Sie können mich wieder am nächsten Mittwoch zwischen 12.50 Uhr und 13.20 Uhr erreichen. Neuanmeldungen sind nur in dieser Zeit möglich. Sollten Sie bereits auf einen freien Therapieplatz warten, dann können Sie auf Band sprechen.“

Ha ha ha. Welche Schritte waren da denn zu bewältigen? Wenn sie die Zeiten also nicht vergaß und durchkam, konnte sie dann übermorgen anrufen, um nachzufragen, ob es einen Therapieplatz gibt. Den würde es natürlich dort genau so wenig geben, wie bei den anderen Psychotherapeuten. Aber sie wäre dann zumindest eine Neuanmeldung mit dem Privileg des Aufsprechens auf Band, weil sie dann ja bereits wartete.

Fassungslos legte Sybille wieder auf und notierte sich die Zeit auf einem Zettel, bevor sie an diesem Vormittag die dritte Nummer wählte:
„… Sie haben den Anschluss der psychotherapeutischen Praxis Marschner angewählt. Nach dem Signalton haben Sie die Möglichkeit, eine Nachricht auf Band zu sprechen. Bitte sprechen Sie dabei langsam und hinterlassen Sie Ihren Namen und Ihre Telefonnummer, wenn möglich auch das Datum Ihres Anrufs. Ich rufe sie dann zurück.
Falls Sie wegen eines Termins anrufen wollen, nutzen Sie dazu bitte ausschließlich meine telefonische Sprechzeit montags von 8.30 – 9.00 Uhr. Vielen Dank.“

Sybille legte auf und schaute auf die Uhr. Montags 8.30 bis 9.00 Uhr, das war jetzt eine knappe Stunde her. Eine Bitte um Rückruf durfte sie nicht hinterlassen. Es bedeutete also, eine weitere Woche abzuwarten, um dann am Montagmorgen die frühe Stunde nicht zu versäumen. Dass ihr das in ihrem Zustand kaum gelingen würde, war für Sybille keine Frage. Sie würde es vergessen, so wie sie bisher noch immer die Wochentage aus den Augen verloren hatte, an denen sie irgendwo hätte anrufen können. Das hier war doch alles nicht zu glauben.

Den starken Stress der Psychotherapieplatzsuche konnte sie erneut im Rücken spüren. Die ziehend starken Schmerzen der Fibromyalgie, die sich in ihren Ärger mischten, waren unverkennbar. Wütend tippte sie die vierte Nummer ein:
„ … für Therapieanfragen und Terminvereinbarungen nutzen Sie bitte ausschließlich meine Telefonsprechzeit donnerstags von 13.30 – 14.00 Uhr außerhalb der Schulferien. Vielen Dank.“
… und die fünfte Nummer: „Guten Tag, hier ist die psychotherapeutische Praxis Renate Eisenhauer, leider nur der Anrufbeantworter. Vom 06.09. bis einschl. 24.09. bin ich in Urlaub. Danach erreichen Sie mich täglich zehn Minuten zur vollen Stunde zwischen 10.00 und 13.00 Uhr. Ansonsten können Sie auch eine Nachricht auf Band sprechen. Ich rufe dann zurück.“
Wenigstens konnte Sybille unter dieser Nummer noch einmal eine Nachricht hinterlassen. Mit einem Rückruf rechnete sie allerdings schon lange nicht mehr.

Die sechste Nummer dieses Vormittags war nicht minder entmutigend: „Guten Tag, hier ist der automatische Anrufbeantworter der Praxis Waasmann. Leider kann ich Ihren Anruf zur Zeit nicht persönlich annehmen. Sie können mich aber während meiner telefonischen Sprechzeiten montags, dienstags und donnerstags in der Zeit von 14.30 – 15.00 Uhr erreichen.
Neuanmeldungen sind nur während der telefonischen Sprechzeiten möglich. Bitte beachten Sie, dass ich nicht zurückrufe, wenn Sie eine Nachricht hinterlassen.“

Sybille wurde von kalter Wut gepackt. War von diesen Menschen jemals einer wirklich richtig krank gewesen? Würde sie einen von ihnen erwischen können, sie würde ihn mit 40 Fieber unter Peitschenhieben über die A 40 zu Fuß von Bochum nach Dortmund treiben. Keinem anderen Krankheitsbild wurde zugemutet, was man den Menschen antat, deren Seele schwer erkrankt war. Das hier konnte wohl kaum war sein.

Sie wartete noch bis zum Nachmittag, um die Praxis Waasmann in der Sprechzeit anzurufen. Sie erreichte sie tatsächlich, allerdings schien die Behandelnde den Hörer nicht am Ohr zu haben. Die Stimme kam wie im Theater aus dem Off. Sie klang alles andere als freundlich und schien kaum bei der Sache.
Nein, mit einem Behandlungsplatz sehe es sehr schlecht aus. Sie habe keinen Platz. Dann schwieg sie, überließ die weitere Gesprächsführung der Hilfesuchenden.
Ob sie eine Warteliste führe, wollte Sybille, an ihrem letzten Strohhalm klammernd, wissen.
„Nein, eine Warteliste führe ich nicht mehr“, erklärte die Stimme, die noch immer sehr fern durch den Hörer drang, ohne größere emotionale Schwingungen.
„Ich kann Ihnen nur anbieten, von Zeit zu Zeit immer wieder anzurufen.“

Das würde Sybille nicht mehr tun. Sie legte auf und weinte hemmungslos. Das Schluchzen schüttelte den Körper, die Schmerzen in ihrem Innern wurden unerträglich. Das Wissen, dass sie dringend Hilfe brauchte und trotz aller Bemühungen keine Hilfe finden konnte, zerriss den Körper in tausend kleine Stücke. Wie wertlos war ein Psychotherapiepatient, dass man ihn derart alleine ließ?
Schwerverletzt ließ man ihn nach Behandlungsplätzen suchen, die es nicht gab, dem Kollaps der eigenen Seele hilflos ausgeliefert, erschöpft, zerfressen, erdrückt von einer zentnerschweren Last psychischen Erlebens, geschürt durch unzumutbare Behandlungsumstände, die psychisch Gesunden in dieser Form nicht zugemutet wurden.

Sybille stand auf, zog sich eine Jacke über, verschloss die Haustür und lief los. Die Gleisanlagen der Bahnstrecke, auf der halbstündlich Intercitys fuhren, waren nicht sehr weit entfernt. Sie war schon öfter dort gewesen …

© Sabine Schemmann

Anm.: Die telefonischen Ansagen entsprechen der Realität. Die Namen der Behandelnden sind frei gewählt. Psychotherapeutische Praxen unter diesen Namen sind in Bochum nicht bekannt.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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