Ausgebremst: Wenn „Burn-out“ der „Depression“ den Weg verstellt - Zwei Bezeichnungen und ihre Folgen
Sie hatte gerade begonnen, Fahrt aufzunehmen, als dieses Modewort den Turbo einschaltete und zum Überholen ansetzte. Erst kürzlich konnte man es wieder in der Tageszeitung lesen, dieses Wort, das seit längerem schon schwer im Magen liegt und mittlerweile ziemlich unverdaulich scheint:
Die Sängerin Katie Melua, fotographisch abgebildet mit gesunden Gesichtszügen und einem offenen, selbstbewussten Lächeln, stellt ihr erstes neues Album nach dem „Burn-out“ vor.
Im Interview wird sie in typischer Manier gefragt: „Besonders anfällig für Burn-out sind die, die ihre Arbeit mit hohen Ansprüchen an sich selbst verrichten – sind Künstler eher gefährdet?“
Auch wenn die Sängerin an dieser Stelle recht gut reagiert, indem sie angibt, nicht zu glauben, dass „normale“ Berufstätige weniger gefährdet seien, die Anforderungen an einen Künstler nur andere wären, macht die ihr gestellte Frage deutlich, wie sehr eine Erkrankung mit Hilfe der Medien getoppt wird.
An einem Burn-out erkrankt ganz offensichtlich, wer beruflich schwer gefordert wird und sich verausgabt. Man hat es in den letzten Monaten von den Prominenten immer wieder lesen können.
Mittlerweile entsteht zunehmend der Eindruck, dass, wer etwas auf sich hält, zwischendurch mal an Burn-out erkrankt sein muss, um imagemäßig mithalten zu können und öffentlich zu zeigen, wie sehr man sich beruflich eingesetzt hat, um dann strahlend dahin zurückzukehren, wo eine Auszeit angezeigt war.
Man hat sich überfordert, wurde krank, hat sich dabei selbst erkannt und macht ein wenig anders weiter als zuvor. Damit ist alles wieder gut. So gibt die interviewte Sängerin auch an, sie habe einen Gang zurückgeschaltet und kleinere Ziele gesetzt. Es klingt problemlos.
Wer sich seit Jahren aktiv dafür engagiert, der Erkrankung „Depression“durch Abbau der Stigmatisierung zu einer gesellschaftlichen Anerkennung zu verhelfen und um das körperliche, seelische und gesellschaftliche Leiden der Erkrankten weiß, das eher lange anhält, den erfüllt das Rampenlicht mit Sorge, in das eine Erkrankung gerückt wird, die sich in ihrem positiven Touch zu sonnen scheint. Ein neuer Bühnenstar bremst den kleinen Laienspieler aus, der die Bühne für seinen eigenen verdienten Auftritt säubern wollte.
Wer sich zu stark engagiert, die gestellten Aufgaben sehr ernst nimmt und sich deshalb im Beruf aufreibt, den erwischt es irgendwann. Er kann sagen, dass er sich übernommen hat, man wird ihm anerkennend auf die Schulter klopfen und ihm für die Genesung alles Gute wünschen. Der Burn-out gebührt dem Fleißigen, der sich nicht dafür schämen muss, dass er erkrankt.
Wer hingegen gleichermaßen einknickt und weiß, dass es aus der Unfähigkeit einer Bewältigung extremer psychischer Belastungen herrührt, die er nicht meistern kann, obwohl er dem Stress des Arbeitslebens gar nicht ausgesetzt ist, mag sich automatisch als Versager fühlen.
Depression scheint die Erkrankung der Arbeitslosen, der Rentner und der Hausfrauen zu sein, die sich nicht beklagen dürfen, weil sie den ganzen Tag zu Hause sind und sich frei die Zeit einteilen können. Eine Entwicklung, die bedenklich stimmt.
Miriam Meckel hat in ihrem 2010 erschienen Buch „Brief an mein Leben“ in kritischer Auseinandersetzung treffend beschrieben, sie empfinde Burn-out als eine "Stress-als-Lifestyle-Anmutung". Er gehöre "zum erfolgreichen Berufsleben wie das Eigenheim zur Vorbildfamilie". Die "Süddeutsche Zeitung" beschreibe ihn als "gesellschaftlich anerkannte Edel-Variante der Depression und Verzweiflung, die auch im Moment des Scheiterns das Selbstbild unangetastet lässt" und des weiteren schlussfolgere: "Nur Verlierer werden depressiv. Burnout dagegen ist eine Diagnose für Gewinner, genauer: für ehemalige Gewinner."
Wie fühlen sich die von der Erkrankung "Depression" Betroffenen, wenn sie das Mitgefühl mit den an "Burn-out" Erkrankten miterleben müssen und dabei wissen, dass hier letztlich die Depression nur unter einem anderen Wort verschüttet wird? Es bremst sie aus und stigmatisiert erneut.
Die für den Burn-out angegebenen Symptome abgrundtiefer körperlicher und seelischer Erschöpfung, die Freudlosigkeit, die Konzentrations- und Schlafstörungen und die Tatsache, sich auch dann nicht zu erholen, wenn man schlafen kann, sind die typischen Symptome der Depression.
Ob es Einflüsse von außen sind, bewusste oder unbewusste Einflüsse von gestern oder heute oder die Anforderungen, die man sich selber auferlegt, man ist der Last nicht mehr gewachsen, die man tragen muss; Unerledigtes drückt auf die Seele, egal aus welcher Zeit es stammt. Es hat sich angesammelt und will endlich beachtet werden, der Körper knickt unter der Überlastung seelischen Erlebens ein.
Dabei ist es völlig unerheblich, ob es den Körper einer Hausfrau, eines Arztes oder eines Managers erwischt, der biologische Stressablauf ist gleich, das Zusammenwirken und die Veränderungen der Strukturen im Gehirn sind gleich und auch die Reaktion des Körpers, der dadurch Schaden nimmt.
Warum das Kind dann nicht beim Namen nennen und offen aussprechen, dass es eine Depression ist, zumal es für Burn-out nicht einmal einen eigenen Diagnoseschlüssel gibt? Es würde allen gleichermaßen helfen.
Mittlerweile kommt es zu Diskussionen um die Notwendigkeit der klaren Abgrenzung. Der von der Depression Betroffene sieht es mit Sorge, weil es doch letztlich nur eine Ausweichdiagnose zu sein scheint, um keine der ohnehin drei Ausprägungen der Depression zu haben. Man unterscheidet bereits die leichte, die mittelgradige und die schwere Episode der Erkrankung.
Ob Burn-out oder Depression, auch die Behandlung wird letztlich gleich sein. Das Entfernen aus dem belastenden Umfeld durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik, die Einnahme von Psychopharmaka und/oder eine ambulante Psychotherapie, das Erlernen von Entspannungstechniken.
Entscheidend ist die Kompetenz der angebotenen Behandlungsleistungen und der Behandelnden. Es wird gleichermaßen darum gehen müssen, sich selber neu zu definieren, den Blickwinkel zu ändern, in sich hinein zu horchen und auf sich zu achten, den Umgang mit Anforderungen vollkommen neu zu lernen, bewusste Auszeiten in den Tagesablauf einzuplanen und auch sich selbst zuliebe einmal „nein“ zu sagen, statt seine Gesundheit für andere zu ruinieren.
Nicht alles, aber vieles hat man selber in der Hand, es erfordert jedoch seine Zeit. Die Gesundung ist ein langer Weg, der Jahre dauern kann. Die Veränderung gewachsener Strukturen im Gehirn und Verhaltensänderungen funktionieren nicht von hier auf gleich.
Chancen und Risiken der Diskussion
Ob man sich und den Betroffenen wirklich einen Gefallen damit tut, eine weitere Diagnose in Umlauf zu bringen, scheint fraglich.
Was vordergründig durchaus auch positiv gesehen werden kann: die Erkrankung der Psyche stärker und vor allem schneller ins Bewusstsein zu rücken, indem deutlich wird, dass es angesichts der täglichen Hektik und der ständig wechselnden Anforderungen des Lebens letztlich jeden treffen kann, hat seine Schattenseiten.
Wer an einer Depression erkrankt ist, wird weiter mit dem Stigma kämpfen und sich möglicherweise noch zusätzlich von denen ausgegrenzt erleben, die für ihren Burn-out "Anerkennung" ernten.
Wer einen Burn-out diagnostiziert bekommt und real schwer an den Symptomen trägt, wird damit kämpfen, dass die Ernsthaftigkeit des Leidens nicht gesehen wird und man von ihm erwartet, dass er in Kürze wieder so einsatzfähig ist, wie vorher. Es war ja „nur“ ein Burn-out und der scheint offenbar doch nur vorübergehend.
Allen Betroffenen zuliebe bleibt wichtig, dass zwischen diesen beiden „Diagnosen“ von Expertenseite aufgeräumt und der Spaltung einer Krankheit in eine Zweiklassengesellschaft ein Ende bereitet wird, die letztlich doch dasselbe meint: die Überlastung des seelischen Erlebens, egal durch welchen Einfluss. Die Erkrankung der Psyche muss vernünftig wahrgenommen und ernsthaft in die Gesellschaft integriert werden.
Es darf sich nicht weiter etablieren, dass der Burn-out als „Edel-Erschöpfungsvariante“ einer Depression den angesehenen Berufsgruppen vorbehalten bleibt, während die Depression den Rest der Bevölkerung kennzeichnet, den man dieser Erkrankung wegen unter Umständen als minderwertig ansieht.
Der Betroffene sollte sich nicht länger dafür schämen müssen, dass er sehr krank geworden ist, und schon gar nicht dafür, dass er es abseits der Welt der Erfolgreichen geworden ist.
Autor:Sabine Schemmann aus Bochum |
10 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.