Aufruf zur Studie am Menschen

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Es war eine groß aufgemachte Anzeige in der Tageszeitung, 13 x 25 cm groß. Wer den Anzeigenteil durchblätterte, konnte sie nicht übersehen.
Sie zu lesen weckte großes Unbehagen und warf eine Menge Fragen auf. Durch eine klinische Studie zur Depression soll ein Medikament am Menschen ausgetestet werden.

Auch wenn man wegen seiner Depressionen in Behandlung sei, könnte die Erkrankung noch immer sehr belastend sein, hieß es in großer Überschrift. Gegen sie etwas zu tun, bedeute für viele Menschen, ein Antidepressivum einzunehmen. Für einige sei das womöglich nicht genug. Verstimmungen und Antriebslosigkeit seien nur einige der üblichen Symptome, die während einer Behandlung weiterhin auftreten könnten.
Sollten anhaltende Symptome auftreten, sei es an der Zeit, weitere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Es gehe darum, ein zu prüfendes Medikament zu bewerten, das zusammen mit dem derzeit vom Erkrankten eingenommenen Antidepressivum genommen werden solle, um herauszufinden, ob es die anhaltend auftretenden Symptome lindere.

Die Gesamtheit der Aussagen macht stutzig. Denn im Allgemeinen wird vollmundig propagiert Depressionen seien heute mit großem Erfolg behandelbar. Dank medikamentöser Therapie und psychotherapeutischer Verfahren stünden hochwirksame Behandlungsmethoden zur Verfügung.

Behandlung kann rein medikamentös erfolgen und Behandlung kann Psychotherapie bedeuten. Viele Menschen nehmen Psychopharmaka oft sogar noch zusätzlich zu einer Psychotherapie. Bleibt die Erkrankung trotz Behandlung belastend, dann stimmt etwas nicht, was ernst genommen werden muss.

Wenn eine Psychotherapie nicht greift, dann sollte man sich fragen, aus welchen Gründen sie nicht greift. Reicht die Motivation des Patienten nicht aus, an sich zu arbeiten oder fühlt er sich nicht angeleitet?
Manchmal kann ein Therapeutenwechsel sinnvoll sein, weil dessen Wesen und Herangehensweise dem angewandten Verfahren keinen Zugang zum Patienten verschaffen kann. Es besteht auch die Möglichkeit eines Verfahrenswechsels.
Hilft das alles nicht, dann sollte die professionelle Seite so ehrlich sein, zu sagen, dass Psychotherapie nicht immer wirksam ist, statt weiterhin Hochwirksamkeit zu propagieren.

Wird ein Antidepressivum eingenommen, so erfolgt dessen Verordnung durch einen Arzt. Reduzieren sich die Symptome nicht, die medikamentös behandelt werden sollen, so wäre folglich vom Behandelnden ein Mittel verschrieben worden, das nicht zum Patienten passt.
Die Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit wird in regelmäßigen Abständen mit dem Arzt besprochen. Bei nicht ausreichender Wirksamkeit würde man das Mittel wechseln, statt unsinnigerweise weiter einzunehmen, was nicht wirkt.

Ohne Rücksprache mit seinem behandelnden Arzt sollte man sich besser keiner Studie unterwerfen, um zusätzlich zu einem nicht sinnvollen Medikament ein zweites Mittel zuzufügen und dem Körper einen Chemie-Cocktail einzuflößen, dessen Zusammenwirken nicht kalkulierbar ist.
Die Beipackzettel von Antidepressiva weisen deutlich aus, dass eine Einnahme zusammen mit anderen Mitteln zur Behandlung von Depressionen nicht oder nur nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen sollte.

Wenn Menschen etwas für den Menschen testen, ist das mit einem Risiko behaftet, das für sie nicht unbedingt zu überschauen ist. Wenn sich jemand trotz seiner Depressionen unerschrocken dafür hergibt, ist das beachtenswert - oder es geschieht aus der Verzweiflung heraus, weil es gefühlt kaum schlimmer werden kann.

Der Aufruf in der Tageszeitung hinterlässt ein insgesamt sehr ungutes Gefühl. Unter Einfluss einer Depression läuft man Gefahr, Entscheidungen zu treffen, die man ohne die Erkrankung so nicht treffen würde. Es erscheint deshalb in jedem Fall sehr ratsam, erst den eigenen Arzt seines Vertrauens zu befragen, statt sich ohne dessen Wissen und Beratung direkt zu einer Studie bei anderen Ärzten anmelden.

Eine Studie braucht Probanden. Dahinter stehen wirtschaftliche Interessen. Als Patient sollte man sich jederzeit bewusst machen, dass solche Interessen nicht immer menschenfreundlich sind. Wer steht am Ende dafür gerade, wenn die Gesundheit Schaden nimmt?
Jemanden dann in Regress nehmen zu wollen, wenn die Behandlung schief gegangen ist, in die der Patient im Wissen um die Risiken eingewilligt hat, diesen Gedanken kann der Geschädigte getrost beiseiteschieben. Bei der Einnahme zweier Mittel die schädigende Wirkung des zu testenden Mittels nachweisen zu wollen, scheint aussichtslos. Eine solche Herstellung von Kausalität würde niemand zulassen oder anerkennen.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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