Wie NATO und Bundeswehr durch eine Kriegslüge in einen Angriff gegen Syrien involviert werden sollen
Persönliche Erklärung von Sevim Dagdelen zum Bundeswehr-Einsatz in der Türkei (Patriots), 29.1.2014:
Persönliche Erklärung von Sevim Dagdelen, Fraktion DIE LINKE, nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Antrag zur Fortsetzung der Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei und auf Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen) sowie des Beschlusses des Nordatlantikrates vom 4.Dezember 2012 (Drucksachen 18/262, 18/347)
Ich stimme gegen den Antrag der Bundesregierung deutsche Truppen an die türkisch-syrische Grenze zu entsenden, vor allem auch weil die Begründung für den Einsatz auf einer Lüge und einer massiven Täuschung von Öffentlichkeit und Parlament durch die Bundesregierung beruht.
Im Antrag der Bundesregierung zur Entsendung deutscher Streitkräfte in die Türkei (NATINADS) heißt es unter Absatz 2, „völkerrechtliche Grundlagen" wörtlich:
„Auf Antrag der Türkei waren im Nordatlantikrat am 26. Juni und 3. Oktober 2012 Konsultationen nach Artikel 4 des Nordatlantikvertrages durchgeführt worden. Angesichts einer dargelegten Bedrohung der Unversehrtheit des türkischen Staatsgebiets und der eigenen Sicherheit hatte der Nordatlantikrat auf Antrag der türkischen Regierung vom 21. November 2012 am 4. Dezember 2012 beschlossen, die Fähigkeiten im Bereich der integrierten Luftverteidigung der NATO zu verstärken. Mit ihrem Beschluss und einer entsprechenden Verlegung schuff die NATO die Voraussetzung für die beteiligten Parteien für den Fall eines bewaffneten Angriffes auf die Türkei (Artikel 5 des Nordatlantikvertrags) vom Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen) Gebrauch machen zu können.“
Anlass dieser Konsultationen war zunächst der vermeintliche Abschuss eines türkischen Aufklärungsflugzeuges und später der vermeintliche Granatbeschuss durch die syrische Armee. Auf dieser Grundlage und bei diesen Gelegenheiten wurde die Bedrohung der Türkei nach Artikel 4 des Nordatlantikvertrages festgestellt. In einer Erklärung des Nordatlantikrates nach diesem Treffen wurde festgestellt, dass es sich um einen „unacceptable" Akt handele, der zu verurteilen sein. Zudem wurde der vermeintliche Abschuss des türkischen Kampfflugzeugs als weiteres Beispiel der Syrischen Behörden in ihrer Missachtung völkerrechtlicher Normen, des Friedens, der Sicherheit und des menschlichen Lebens betrachtet, so der NATO-Rat. Auf diese Weise ist die NATO als formales Verteidigungsbündnis überhaupt erst ins Spiel gekommen und das hat die Türkei in ihrem eskalierenden Kurs gegenüber Syrien gestärkt.
Die Darstellung der türkischen Regierung und der Vorwurf der NATO lautet also, dass die syrische Luftabwehr über internationalen Gewässern ein Aufklärungsflugzeug der türkischen Armee abgeschossen hätte, nachdem dieses versehentlich – und zwar im Tiefflug – in syrischen Luftraum eingedrungen wäre. Ursächlich und unumstritten liegt also eine türkische Verletzung des syrischen Hoheitsgebietes vor.
Dass aber der Abschuss über internationalen Gewässern stattfand wurde schnell bezweifelt, die Kenntnisse der NATO weichen von den Angaben der Türkei über die Absturzstelle ab und werden zudem geheimgehalten. Die Bundesregierung hat die Geheimhaltung dieser Informationen verteidigt und in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage entsprechend dargelegt: „Eine Offenlegung könnte zur Folge haben, dass dem Bundesnachrichtendienst künftig keine schutzbedürftigen Erkenntnisse anvertraut werden." (BT-Drucksache 17/13515)
Ich stimme gegen die Entsendung deutscher Bundeswehrsoldaten, auch weil der Standpunkt der Bundesregierung einfach nicht der Wahrheit entspricht.
Denn sicher ist jedoch, dass das türkische Flugzeug von keiner Rakete getroffen wurde, womit ein Abschuss in internationalem Luftraum ausscheidet. Mittlerweile erscheint zweifelhaft, ob es überhaupt einen Beschuss des türkischen Flugzeuges gab oder dieses nicht aufgrund des riskanten Manövers und veralteter Technik abgestürzt ist. In einem Text der International Crisis Group heißt es hierzu: "Wie auch immer, es wurden keine Anzeichen eines Raketeneinschlags auf dem Wrack des Flugzeugs, eine Phantom F4, entdeckt." Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik schreibt zu diesem Vorfall und der erzwungenen Landung eines aus Moskau kommenden syrischen Flugzeugs: „In beiden Fällen musste die Türkei schon bald einräumen, dass ihre jeweilige Darstellung unrichtig war".
Trotzdem haben der NATO-Generalsekretär und der Nordatlantikrat an dem Vertreter der Bundesregierung teilgenommen haben und denen zu diesem Zeitpunkt schon eigene und von der türkischen Darstellung stark abweichende Informationen vorlagen, anlässlich der Artikel-4-Konsultationen gegenüber der Öffentlichkeit folgende Aussage gemacht: „Das ist ein weiteres Beispiel für die Missachtung der internationalen Normen, des Friedens, der Sicherheit und des Menschenlebens durch das syrische Regime."
Damit haben die NATO, deren Generalsekretär und die deutsche Bundesregierung, die Öffentlichkeit bewusst und gezielt falsch informierten.
Noch am 7. November 2012 wertete die Bundesregierung den vermeintlichen Abschuss des türkischen Militärjets als „unverhältnismäßigen Akt". Im Mai 2013 begründete sie diese Einschätzung mit „den zu Grunde gelegten Informationen, dass ein Abschuss im internationalen Luftraum ohne Vorwarnung erfolgt sei". Bereits im November 2013 spätestens aber lagen jedoch auch der Bundesregierung die Erkenntnisse der NATO vor, wonach der Abschuss nicht in internationalem Luftraum erfolgt sein kann – sofern er überhaupt erfolgt ist.
Ich stimme gegen eine Entsendung der Patriot-Raketen, weil auch der zweite Grund der angebliche Granatenbeschuss durch syrische Streitkräfte ohne vorherige Angriffe türkischer Streitkräfte äußerst zweifelhaft ist:
Denn was die zweiten Konsultationen angeht, so erfolgten diese aufgrund von vermeintlichem Granatbeschuss türkischen Territoriums von Syrien aus. Auch hier wurden schnell auch aus NATO-Kreisen Zweifel laut, ob diese tatsächlich von der syrischen Armee oder den eng mit der Türkei kooperierenden Rebellen abgeschossen wurden: NATO-Vertreter gaben an, dass es sich um Granaten aus NATO-Beständen handelte. Eine Untersuchung der Vorfälle hat nach Angaben der Bundesregierung nicht stattgefunden und sei auch nicht angestrebt worden, auch hier hat man sich einfach und unkritisch der türkischen Darstellung angeschlossen. Die Bundesregierung hat dazu keine eigenen Informationen und auch keine eigenen Untersuchungen angestrebt, aber „geht davon aus", dass es zumindest in einem Fall Ende September, „Beschuss türkischen Territoriums durch syrische Artilleriekräfte gab". Am 3. Oktober 2012, am Tag der zweiten NATO-Konsultationen, gab es auch Beschuss syrischen Territoriums durch die türkische Armee. Hierzu gibt die Bundesregierung an, dass ihr „über die Presseberichterstattung hinaus … keine eigenen Erkenntnisse" vorlägen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Türkei zweifellos Handlungen vorgenommen hat, die völkerrechtlich als Angriffshandlungen gewertet werden können. Bundesregierung und NATO diese jedoch nicht zur Kenntnis nehmen. Demgegenüber werden vermeintliche Reaktionen der syrischen Armee auf diese Angriffshandlungen als „Bedrohung der Unversehrtheit des türkischen Staatsgebiets" aufgefasst, welche die „Solidarität" des Bündnisses u.a. in Form der Patriot-Stationierung aktivieren.
Ich stimme gegen die Patriotentsendung, weil die Abgeordneten von der Bundesregierung bisher regelrecht getäuscht worden sind. Beide Begründungen für die Entsendung der Patriots sind schlicht nicht haltbar. Ich finde, in einer so wichtigen Frage, wenn es um Krieg oder Frieden geht, wichtige Informationen der Öffentlichkeit zurückzuhalten, wie den abweichenden NATO-Bericht, ist schon bemerkenswert. Da ist etwas in Rutschen geraten, was die Demokratie in Deutschland insgesamt in Frage stellt. Mit der Befreiung vom Faschismus und vom deutschen Militarismus, hatte die Bundesrepublik einst auch mit einer Kriegspolitik gebrochen, die von einer Geheimdiplomatie vorbereitet wird.
Dies steht jetzt in Frage. Ich habe den Eindruck, die Bundesregierung manipuliert Informationen, um Auslandseinsätze der Bundeswehr zu legitimieren. Deshalb stimme ich gegen den Einsatz der Bundeswehr.
Der Fall der Patriots zeigt klar und deutlich, aber nicht nur dieser Fall: Um Auslandseinsätze durchzusetzen werden Öffentlichkeit und Parlament gnadenlos belogen. Wer dann auch nur wagt kritisch nachzufragen, wird als Assad-Unterstützer diffamiert. Das ist ein Prinzip, dass sich in Deutschland leider mittlerweile etabliert hat. Die NATO hat diese Kriegslüge mit auf den Weg gebracht. Sie wusste, dass an der türkischen Version etwas nicht stimmen kann. Damit werden die Deutschen mit zu Geißeln der AKP und der Brüsseler NATO-Zentrale und ihrer Desinformationspolitik. Von Bündnisverteidigung kann keine Rede mehr sein. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren als ginge es darum, die Bundeswehr in möglichst viele Auslandseinsätze zu schicken. Die NATO sucht zudem nach ihrer sich abzeichnenden Niederlage am Hindukusch nach neuen Betätigungsfeldern. Dass sie nunmehr an der Seite von islamistischen Milizen und Al-Kaida-Kämpfern in Syrien steht, ist mehr als eine Ironie der Geschichte. Für mich ist es ein Verbrechen.
Autor:Christoph Nitsch aus Bochum |
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