Grundschullehrer schlagen Alarm
Viel zu wenige Grundschulkinder in Bochum erhalten sonderpädagogische Unterstützung

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Die Bochumer Grundschulen weisen eine sehr unterschiedliche Anzahl an Kindern auf, die eine sonderpädagogische Unterstützung erhalten. Im Schuljahr 2017/2018 gab es in 15 von 36 städtischen Grundschulen weniger als 5 Kinder mit sonderpädagogischem Förderunterstützung, in 12 Schulen unter 10 Kinder, in 8 Schulen 10-21 Kinder und in der Gertrudisschule 68 Kinder (Mitteilung 20183675) .

Zu wenige Schüler erhalten sonderpädagogische Unterstützung - Warum?

Gleichzeitig beklagen Grundschullehrer, dass in vielen Grundschulen Schüler unterrichtet werden sollen, die eigentlich eine sonderpädagogische Unterstützung dringend benötigen würden, diese aber nicht erhalten. Warum ist das so?

Sonderpädagogische Unterstützung können Schüler in folgenden Bereichen erhalten:
1. Lernen,
2. Sprache,
3. Emotionale und soziale Entwicklung,
4. Hören und Kommunikation,
5. Sehen,
6. Geistige Entwicklung und
7. Körperliche und motorische Entwicklung

Diese Förderung zu erhalten ist allerdings nicht so einfach. Voraussetzung ist die Diagnose einer Behinderung oder einer Lern- oder Entwicklungsstörung. Dafür ist ein aufwendiges Verfahren zur Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung zu durchlaufen (Fragen und Antworten zum Sonderpädagogischen Förderbedarf). Diese Verfahren können die Eltern beantragen, nur in Ausnahmefällen kann die Schule den erforderlichen Antrag stellen. Bei einem vermuteten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen kann die Schule den Antrag in der Regel auch erst für das dritten Schuljahr stellen.

Diese rechtlichen Regelungen (§19 und 20 SchulG NRW) führen dazu, dass viele Schüler trotz Bedarf keine sonderpädagogische Unterstützung erhalten. Das hat drei Gründe,
- die Eltern sind nicht willens das erforderliche Verfahren zu beantragen,
- die Schule kann es nicht beantragen, ist aber nicht in der Lage die Eltern von der Notwendigkeit sonderpädagogischer Unterstützung zu überzeugen oder 
- die Schule versäumt es die Eltern darauf hinzuweisen, dass es erforderlich wäre, ein Verfahren zur sonderpädagogischer Unterstützung anzustoßen.

Die Lage verschärft sich weil Sonderpädagogen fehlen und die Beantragung von sozialpädagogischer Unterstützung überbürokratisiert ist und daher viel zu lange dauert. Auch ist die Ablehnungen von Anträgen auf Unterstützung teilweise nicht nachzuvollziehen.

Das Lernklima leidet

Im Ergebnis sitzen somit in vielen Grundschulklassen Schüler, die eigentlich z.B. eine Förderung in den Bereichen emotionale und soziale Entwicklung oder Lernen erhalten sollten, die aber nicht bekommen. Diese Kinder können regelmäßig dem Unterricht nicht mehr folgen, sind frustriert, sind abwesend oder stören, da sie sich abgehängt fühlen, nicht selten den Unterricht. In der Folge wird der Unterricht für die Lehrer zu einem Kraftakt. Das Lernklima leidet und das auch zum Nachteil aller anderen Schüler. Das Problem wird verschärft durch zu große Klassen, die in Bochum mit 27-28 Kindern viel zu voll sind und in denen aufgrund hoher Krankenstände und fehlender Lehrkräfte die angestrebte Doppelbesetzung durch Pädagogen häufig nicht möglich ist.

Systematische und frühzeitige Sichtungen um Bedarf für sonderpädagogischen Förderbedarf zu erkennen

Um dieses Problem anzugehen, schlagen die STADTGESTALTER vor in den Eingangsklassen der Grundschulen bereits in den ersten drei Monaten nach Schulbeginn systematisch Sichtungen vorzunehmen, um zu klären, welche Schüler eine sonderpädagogische Förderung benötigen (Schema: Verfahren zur Sichtung des individuellen Förderbedarfs an den Grundschulen). Diese Sichtungen sollen von Sonderpädagogen zusammen mit den Klassenlehrern vorgenommen. Dazu soll der Sonderpädagoge am Unterricht teilnehmen, der nicht an der jeweiligen Schulen beschäftigt ist.

Akzeptanz der Eltern für sonderpädagogische Unterstützung ist entscheidend

Entscheidend für den Erfolg der Sichtungen ist, die Eltern frühzeitig mitzunehmen. Sie müssen vorab über die Sichtungen informiert und aufgeklärt werden. Sie müssen überzeugt werden, dass sonderlpädagogische Unterstützung für den Schulerfolg bei manchen Kindern wichtig und kein Makel für die Schüler ist. Sonderpädagogische Förderung und das Verfahren, um diese zu erlangen, muss das Stigma verlieren, dass damit die Kinder als zurückgeblieben oder behindert gebrandmarkt werden.

Nach erfolgter Sichtung müssen Sonderpädagoge und Lehrer die Eltern überzeugen, dass diese den notwendigen sonderpädagogischen Förderbedarf anerkennen und bereit sind das erforderliche Verfahren zu beantragen und zu unterstützen. Dazu bedarf es viel Fingerspitzengefühl und Vertrauen in die Pädagogen. Die Eltern müssen von der Sinnhaftigkeit und dem Erfolg der Unterstützung überzeugt sein, nur dann geben sie ihre Einwilligung und die Unterstützung kann erfolgreich sein. Für die Eltern muss eine solche Unterstützung als Hilfe positiv empfunden werden, es darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass damit die Eltern oder Kinder gemaßregelt oder gar bestraft werden sollen.

Schule sollte auch eigene Fördermaßnahmen erarbeiten und anbieten

Auch sollte die Schule die Sichtung nutzen eigene Fördermaßnahmen auf den Weg zu bringen, um Kinder zu unterstützen, die zwar keine sonderpädagogische Unterstützung im Sinne des Schulgesetzes benötigen, aber trotzdem zusätzliche Hilfe z.B. bei der Verbesserung des Sprachvermögens erhalten sollten.

Je früher die individuelle Förderung und Unterstützung einsetzt um so eher kann sie den Kindern helfen und sie in die Lage versetzen auch ohne Unterstützung dem Unterricht zu folgen. Der Spaß, etwas zu lernen ist bei allen Schülern zunächst vorhanden, dieser muss über die Schulzeit erhalten bleiben. Das gelingt nur, wenn die Schüler den Eindruck haben, dass sie in der Schule erfolgreich sind und mit dem Gelernten etwas anfangen können. Bekommen die Schüler nicht frühzeitig Unterstützung und Förderung sind sie schnell frustriert und bemerken, dass andere vorankommen, während sie selbst chancenlos zurück bleiben. Solche Situationen müssen vom ersten Schultag an vermieden werden.

Mehr Lehrer und Sonderpädagogen für den Vertretungspool

Zu diesem Zweck machen die STADTGESTALTER noch einen weiteren Vorschlag, der Pool der Vertretungslehrer und Pädagogen muss ausgeweitet werden. Auch bei kurzen, beziehungsweise kurzfristigen Ausfällen von Lehrern oder Sonderpädagogen müssen die Grundschulen Ersatz aus dem Vertretungspool bekommen, damit auch in diesen Fällen eine Doppelbesetzung in den Klassen aufrechterhalten werden kann. Das fachliche Know-how der Vertretung ist hierbei zweitrangig, die Unterstützung im pädagogischen Sinne steht an erster Stelle. Angesichts der vergleichsweise hohen Klassengrößen in Bochum, kommt dieser Maßnahme noch eine zusätzliche wichtige Bedeutung zu. Die Doppelbesetzung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die angestrebte Qualität des Grundschulunterrichts in den Schulen durchgehend gewährleistet werden kann.

Systematische Sichtung, Ausweitung des Vertretungspools und Modellschulprojekt 5x5=!

Systematische Sichtung und die Ausweitung des Vertetungspools sind zwei weitere Maßnahmen, die die STADTGESTALTER neben dem Modellschulprojekt 5x5=! (Vorschlag Modellschulprojekt) vorschlagen, um die Inklusion, also die Ausschöpfung der Potenziale aller Schüler, an den Bochumer Grundschulen voran zu bringen.

Volker Steude
Die STADTGESTALTER - politisch aber parteilos

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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