Verstehen ist teilhaben - Stadt Bochum übersetzt Behördensprache
Es gibt viele Grundrechte, die manchen Menschen verwehrt bleiben. Wenn das Briefgeheimnis für jeden Menschen gelten soll, müssten Briefe allerdings auch so geschrieben sein, dass sie jeder verstehen kann. Ansonsten sind die Betroffenen auf Hilfe angewiesen, verlieren dabei aber ihr Recht auf das Briefgeheimnis. Die Stadt Bochum versucht als erste Stadt in einem Modellversuch gemeinsam mit der Landesregierung einige Briefe und Bescheide in leichte Sprache zu übersetzen.
Verstehen ist teilhaben
Aller Anfang ist schwer und man weiß zu Beginn oft nicht, ob man das Ziel schnellstmöglich erreichen kann. Etwas verhalten war die Stimmung dann auch am vergangenen Mittwoch in den Räumlichkeiten der Lebenshilfe Bochum. Vertreter der Stadt und der Landesregierung hatten sich die Arbeit des Büros für Leichte Sprache der Lebenshilfe vorstellen lassen. Gemeinsam wurde ein Weg gesucht, um eine große Herausforderung zu meistern: Das berühmte Beamtendeutsch soll übersetzt werden. Die Stadt Bochum will verständlicher schreiben, sprechen, informieren. „Nachdem ich von dem Büro für Leichte Sprache der Lebenshilfe Bochum erfuhr, dachte ich, das Thema sollte unverzüglich vonseiten der Stadt angegangen werden. Denn unsere Briefe und Schreiben sind häufig nicht nur für Menschen mit Lern- und Leseschwäche problematisch. Deswegen habe ich einen Termin mit dem Büro ausgemacht und den Behindertenbeauftragten des Landes NRW, Norbert Killewald, hinzugerufen“, sagt Thomas Eiskirch, Mitglied im Landtag Nordrhein-Westfalen.
Erste Stadt in NRW
„Bochum ist die erste Stadt, in der ein solcher Versuch nun exemplarisch unternommen wird. Wir haben bewusst eine Stadt gewählt, weil dort alle Lebensbereiche in einer Hand sind. In einem Landkreis wären die Entscheidungswege für eine solches Modellprojekt wesentlich komplizierter und würden den Versuch erschweren“, schildert Norbert Killewald, Beauftragter der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen in Nordrhein-Westfalen. „Wir haben nach konkreten Ansätzen gesucht, auch auf der Ebene der Amtssprache und Vertragssprache zukünftig das Ziel einer inklusiven Gesellschaft zu erreichen. Schreiben der Stadt sollen für jeden verständlich werden“, erklärt Eiskirch. Häufig seien Beschwerden eingegangen, dass die Briefe und Bescheide der Stadt unverständlich seien. Oder es sei eben erst gar keine Kommunikation zu Stande gekommen, denn wer möchte schon zugeben, dass er ein Schreiben nicht verstanden hat. Häufig werde dann gar nicht geantwortet.
Deutschland, Land der Kläger
„Man muss in der Diskussion um die Amtssprache aber auch den realen Bezug sehen. Deutschland ist leider das Land der Kläger, auch das macht unsere Behördensprache so kompliziert“, gibt Bürgermeisterin Gabriela Schäfer zu bedenken und spricht damit die juristische Dimension des Vorhabens an. Besonders schwierig sei es, die Texte auch in leichter Sprache juristisch „wasserfest“ zu machen. „Der Rat der Stadt hat aber beschlossen, Inklusion wirklich in allen Lebensbereichen umzusetzen – also auch sprachlich. Das ist ein hoher Anspruch. Aber man muss es so sehen, eine einfachere Sprache ist am Ende auch eine große Hilfestellung für die Arbeit im Rathaus.“
Das Vorhaben sei nicht von heute auf morgen umzusetzen, so Eiskirch. Aber man werde gemeinsam mit dem Büro für Leichte Sprache zunächst diejenigen Bescheide angehen, von denen man wisse, dass sie oftmals Probleme beim Verstehen machten. Das seien zum Beispiel Bescheide zum Teilhabegesetz oder Erklärungen zur Übernahme von Fahrtkosten, die den Alltag von Menschen mit Lern- und Leseschwäche erschwerten, so Eiskirch. „Derzeit sind wir in Gesprächen zur Finanzierung, aber die Mittel werden nun schnell gangbar gemacht. Dann gibt es demnächst einen Workshop für Stadtangestellte, in dem das Büro für Leichte Sprache ihnen lehrt, wie man solche Texte ‚übersetzt‘. Ziel dabei ist, den Mitabeitern der Stadt die Technik einer solchen Übertragung in leichte Sprache beizubringen, sodass sie in Zukunft, selbstständig solche Schreiben formulieren können“, erzählt Thomas Eiskirch.
Mit roten Stoppkarten wird geprüft
Das Büro für Leichte Sprache wurde von der Diplom-Heilpädagogin Kirsten Nicolas ins Leben gerufen. Seit Anfang dieses Jahres ist das „Übersetzungsbüro“ gemeinsam mit den Senioren der Tagesstruktur der Lebenshilfe Bochum tätig. Die Senioren prüfen Texte auf ihre Verständlichkeit, die zuvor von den Übersetzern des Büros in die Leichte Sprache verwandelt wurden. „Das Prüfen der Texte ist besonders wichtig, deswegen müssen Menschen mit Lernschwierigkeiten prüfen. Sie sind die Experten, wenn es um die Verständlichkeit geht. Wir lesen die Texte vor, sobald sie etwas nicht verstehen, zücken sie ihre rote Stoppkarte. Dann müssen wir diese Stelle nochmals überarbeiten“, erklärt Kirsten Nicolas.
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Autor:Harald Gerhäußer aus Bochum |
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