Unbekannt Stadträtin legt Amt nieder

Wer ist die unbekannte Stadträtin?

Die Verantwortung ist für mich zu einer Last geworden und daher gebe ich hiermit bekannt, dass ich mein Amt als Stadträtin nunmehr zum neuen Jahr aufgebe. Ich gebe zu, ich habe die Aufgaben als Stadträtin unterschätzt. In der aktuellen Haushaltslage bedarf es Kenntnisse über Finanzen und Wirtschaft, die ich nicht besitze. 1,6 Mrd. Schulden drücken die Stadt und täglich werden es mehr. Diese Entwicklung macht mir Angst.

Ich besitze keine Kenntnisse hinsichtlich volkswirtschaftlicher Zusammenhänge, ich kann nicht beurteilen, ob Pensionsrückstellungen für städtische Mitarbeiter erforderlich sind und dafür notwendige Rückstellungen nicht bereits vor Jahren hätten gebildet werden müssen.

Ich weiß nicht, wie die Kosten für die Instandhaltung und die Abschreibungen für das Musikzentrum zu bilanzieren sind und wie hierfür von der Stadt Geldmittel im Haushalt ausgewiesen werden müssen. Ich habe keinerlei Ahnung wie viel die Jahrhunderthalle die nächsten Jahre und Jahrzehnte die Stadtkasse belasten wird.

Ich kann diese Dinge nicht einschätzen, ich bin Laie und musste mich jahrelang auf das verlassen, was „Finanzexperten“ mir hierzu sagten. Doch es fehlt mir immer wieder auch an dem Grundwissen beurteilen zu können, welcher Experte recht hat und welcher nicht.

Ich bin zutiefst verunsichert. Vergeblich haben wir immer wieder versucht die Schuldenentwicklung einzudämmen. Trotzdem wachsen die Schulden der Stadt über den Kopf. 1,6 Mrd. Schulden schnüren der Stadt jetzt jede Möglichkeit zum eigenen Handeln ab. Ich kann es nicht verantworten, dass die Stadt auf Kosten meiner Kinder und Enkel lebt und ihnen eine gewaltige Schuldenlast aufbürdet, weil wir Einnahmen und Ausgaben nicht in Einklang bringen. Ich kann meiner Tochter nicht in die Augen sehen, und gleichzeitig weiter die Schuldenlast für unsere Versäumnisse auf ihre Schultern laden.

Dieses Jahr haben wir wieder einmal, wie schon seit jetzt 40 Jahren, versucht den Stadthaushalt zu konsolidieren. Um 65 Mio. sollte dieser diesmal in 10 Jahren bis 2022 entlastet werden. Ich habe die Maßnahmen mitgetragen, damit wir endlich zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen. Um 6,5 Mio. sollte der Haushalt pro Jahr entlastet werden. Jetzt stellt sich heraus, allein für dieses Jahr besteht ein weiterer ungeplanter und nicht gedeckter Finanzierungsbedarf von 7,4 Mio. Euro. Neue drastische Sparmaßnahmen sind erforderlich. Ich kann diese Art mit den städtischen Finanzen umzugehen nicht verantworten.

Offensichtlich sind diejenigen, die in der Verwaltung für den Haushalt verantwortlich sind, schon lange nicht mehr Herr der Lage. Der für 2022 versprochene ausgeglichene Haushalt ist nicht erreichbar. 120-140 Mio. Euro neue Schulden jedes Jahr sind beängstigend viel. Ich vertraue der Verwaltung nicht mehr, dass sie die Finanzen der Stadt in den Griff bekommt. Immer wieder wurde behauptet, mir diesem Haushaltssicherungskonzept und dem nächsten Konsolidierungsprogramm bekommen wir die Schulden in den Griff. Kurze Zeit später musste eingeräumt werden, dass neue Sparmaßnahmen und Einnahmensteigerungen notwendig sind, damit die Schuldenaufnahme zukünftig nicht völlig ausufert.

Ich kann nicht für Konsolidierungs- und Sparprogramme stimmen, deren Nutzen und Folgen ich nicht absehen kann und die von Leuten gemacht werden, die immer wieder Dinge versprochen haben, die sich dann als utopisch oder sogar völlig falsch herausgestellt haben.

Ich hatte große Kopfschmerzen dem Cross-Border-Geschäft zuzustimmen. Ich hatte keinerlei Ahnung wie diese Art Geschäfte funktionieren und welche Art Risiken dabei für die Stadt bestehen. Fraktion und Verwaltung haben mir versichert, es bestünden keine Risiken, es könnte nichts schief gehen. Als das Geschäft scheiterte, stellte sich heraus, dass wir einen Millionenschaden angerichtet haben. Erst im Nachhinein ist mir bewusst geworden, welch großes Glück wir hatten, dass der Schaden nicht noch weiter ausgeartet ist. Wir hatten in unverantwortlicher Weise Lotterie gespielt, nur um ohne Einsparungen das Haushaltsdefizit ausgleichen zu können.

2009/ 2010 habe ich dem Kauf der STEAG zugestimmt. Ebenfalls einem angeblich sicheren Geschäft, mit dem die Stadt gute Gewinne erwirtschaften könne, um die Einnahmenseite des Haushaltes entscheidend zu verbessern. Mir wurde erläutert, dass das Land uns zu dieser risikolosen Investition ermutigen würde. Jetzt stellt sich heraus, dass die STEAG sich insbesondere aufgrund der Energiewende in einer wirtschaftlichen Schieflage befindet, der erforderliche und versprochene Investor nicht zu gewinnen ist und ein erhebliches Risiko besteht, dass wir als Stadt für diese unkalkulierbaren Finanzrisiken letztlich einstehen müssen. Ich fühle mich hintergangen und ausgenutzt.

Immer wieder wurden mir von meiner Fraktion Entscheidungen abverlangt, die ich nicht durchschauen konnte, die ich dann aber doch getroffen habe, weil ich den Aussagen meiner Parteifreunde an der Fraktionsspitze vertraut habe. Letztlich habe ich für Dinge gestimmt, die sich statt zum Nutzen zum Schaden für die Stadt entwickelten, für den ich mich jetzt verantwortlich fühle. Das will ich zukünftig nicht mehr.

Es gibt Menschen in meiner Fraktion, die entschuldigen jede unserer Fehlentscheidungen, sie hätten ja nichts dafür gekonnt, sie seien doch nur Laien, müssten der Verwaltung vertrauen und erfüllten nur ein Ehrenamt. Das kann ich nicht mehr.

Ich wurde gewählt, damit ich die Bürger dieser Stadt im Rat vertrete. Diese erwarten, dass ich jede Entscheidung mit voller Überlegung und Verantwortung für sie treffe. Dabei darf und will ich mir keine Fehler erlauben. Dafür haben diese Entscheidungen eine zu große Tragweite für die Stadt und alle Bürger. Ja, als Stadträtin betreibe ich mein Amt ehrenamtlich. Das schmälert meine Verantwortung aber nicht. Ich werde nicht schlecht arbeiten, weil ich dafür schlecht bezahlt werde. Das wusste ich, als ich mich zur Wahl stellte und da haben wir alle den Bürgern versprochen verantwortlich für sie zu entscheiden. Daran fühle ich mich gebunden.

Ich habe mir vorgenommen keine Entscheidungen mehr zu treffen, die ich nicht verantworten kann, weil ich über die Zusammenhänge z.B. aufgrund ihrer wirtschaftlichen Natur keine Ahnung habe oder bei denen ich mir nicht zutraue das Risiko abzuschätzen. Ein anderes Vorgehen kann ich gegenüber den Bürgern nicht rechtfertigen und nur mit dieser Art zu handeln kann ich den Bürgern ehrlich gegenüber treten.

Meine Fraktion aber lässt das nicht zu. Sie verlangt, dass ich so entscheide, wie dies sich die Spitze der Partei das vorstellt. Dazu bin ich nicht mehr bereit. Ich bin dem Bürger und nicht der Fraktion für meine Entscheidungen gegenüber verantwortlich.

Deshalb lege ich hiermit mein Amt als Stadträtin nieder.

Den Kindern und Enkelkinder dieser Stadt möchte ich sagen: Es ist mir jetzt bewusst, dass es ein unverzeihlicher Fehler war und wir im Stadtrat dafür verantwortlich sind, dass die Stadt seit 40 Jahren auf Pump lebt und wir in unverantwortlicher Weise Schulden gemacht haben und auch heute noch aufhäufen, die ihr später abtragen müsst, nur weil wir lange Zeit in der Stadt nicht willens waren, nur so viel auszugeben, wie wir eingenommen haben. Denn wir waren nicht bereit unseren eigenen Lebensstandard einzuschränken.

Mittlerweile ist uns der von uns aufgetürmte Schuldenberg über den Kopf gewachsen. Damit die Stadt nicht völlig ruiniert wird, sind jetzt drastische Maßnahmen unabdingbar, die insbesondere zu euren Lasten gehen werden. Doch umso länger wir mit den notwendigen Maßnahmen warten, den Haushalt wieder auszugleichen, desto einschneidender werden diese ausfallen müssen. Die nun folgenden Sparorgien und Einnahmensteigerungen auf Kosten der zukünftigen Generationen haben wir, die wir jetzt im Rat sitzen, zu verantworten und nicht diejenigen, die diese letztlich in Kraft setzen werden.

Mehr als meine Verantwortung eingestehen und mein Amt nieder legen, kann ich nicht tun, auch wenn ich gerne den auch von mir mit verursachten Schaden für die Stadt wieder gut machen würde. Dafür ist es jetzt leider zu spät.

Ihre unbekannte Stadträtin

Volker Steude, BÄH-Bürger
(ruhrblogxpublik)

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

22 folgen diesem Profil

8 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.