Tierquälerei - Stierkampf in Alikante 1974
Wenn man sich schon mal drei Monate in Alikante, Spanien, aufhält, ist es unablässig, auch das Sonntagsvergnügen der Spanier anzuschauen:
den Stierkampf.
So lauteten die gutgemeinten Ratschläge meiner spanischen Freunde. Mit glänzenden Augen berichteten sie von der guten Atmosphäre in der Arena, von der Spannung, die dort herrschte.
Also begab ich mich an diesem Sonntag zur Stierkampfarena.
Als ich mich etwas später als der offizielle Beginn der gewaltigen antiken Arena näherte, war der Platz davor übersät mit Autos. Menschenmassen strömten heran, Familien mit Kindern, von denen die Kleinsten noch auf dem Arm getragen wurden, ältere Männer in einfachen Anzügen, Soldaten, da ja noch unter dem Franco Regime. Jeder hatte einen erwartungsfrohen Blick in den Augen anlässlich dieses großen spanischen Volksfestes. Die Menschenmenge wogte zur Arena, ein buntes Wirrwarr, ein lautes Gebrabbel mit Wortfetzen, die ich verstand, und Worte, die ich nicht verstand.
Ich fragte einen älteren Mann mit runzeligem, magerem Gesicht, das nach langer Arbeit aussah, wie viel es kostete. Er musterte mich kurz, dann sagte er: - 125 Pesetas, todas, igual.(alles, egal).
Ich drängte zur Kasse, kramte das Geld heraus, bekam ein Billet und wurde von einem Polizisten in grauer Uniform zum Eingang gewiesen. Selbst hier war die allgegenwärtige Präsenz der Diktatur zu spüren. War es deshalb, dass die Menschen den Stierkampf brauchten?
Da ich mich nicht auskannte, verlief ich mich prompt in den unteren Regionen der Arena und kam in einen hohen dunklen Gang, von dem alte abgetretene Treppen zu den verschiedenen Rängen führten.
Die Menschen rannten aufgeregt die Treppen hinauf, begierig, nichts zu verpassen. Ohne Orientierung wanderte weiter den Gang entlang und kam zum Eingang der Arena mit einem zwei Meter hohen Holzgatter, an dem ein paar Leute und zwei geschmückte Pferde standen, dicke Kaltblüter mit roten und grünen Pompons und zottigem Fell.
Gerade, als ich das Gatter erreichte, riefen mir einige Männer in blauen Arbeitsanzügen zu, ich solle beiseite gehen. Die Pferde wurden angetrieben und begleitet von lautem Rufen, trabten sie in die Arena. Nach kurzer Zeit kamen sie zurück, einen toten Stier an zwei Lederriemen hinter sich her schleifend. Über den Boden des Ganges verteilte sich eine Blutspur. Der Stier sah entsetzlich aus. Seine Flanke war seitlich aufgerissen, aus vielen Wunden im Nacken quoll Blut. Vor allem die starren Augen… Sein letzter Blick zeigte Entsetzen, Angst und Verzweiflung.
Im großen Bogen wurde er in einen gekachelten Raum gezogen, in dem eine Wanne mit Wasser stand. Die Männer in blau stürzten sich sogleich mit scharf gewetzten Messern auf ihn, wuschen und zerlegten ihn.
Es roch nach frischem Blut.
Ein Reporter machte eine Aufnahme nach der anderen.
Im Gang stand ein alter Mann mit einfachem Holztischchen, auf dem er Erdnüsse und Sonnenblumenkerne in kleinen Tütchen feilbot. Gegenüber befand sich eine Stellage mit blauen und türkisfarbenen Plastikkissen, die ein kleiner sonnengebräunter Junge anbot.
Ich schloss mich einer Gruppe von Männern an, die die Treppe hinaufliefen, und ergatterte in der 2. Etage einen Platz auf einer Treppenstufe.
Nun erst hatte ich einen Blick auf die gesamte Arena, ein altes Steingemäuer mit schmalen Holzbänken, überdacht von einem etwas maroden Ziegeldach. Der Boden des Inneren war mit Sand aufgeschüttet, umrandet von einem hohen Holzgatter, hinter das sich die Matadore flüchten konnten, wenn sie den Stier zur Wut gebracht hatten.
Das Stadion war ausverkauft bis zum letzten Platz und die Lautstärke der Rufe und Schreie, des Gemurmels dröhnten in meinen Ohren.
Direkt hinter mir stand eine Gruppe von Polizisten, grün gekleidet, mit den schwarzen glänzenden Lackhüten, deren rückwärtiger Rand seltsam aufrecht hochgeklappt war.
Gegenüber spielte eine kleine Kapelle einen Tusch und ein Stier stürmte in die Arena. Nachdem er in der Mitte des Platzes zunächst orientierungslos stand, verwirrt und irritiert, liefen die Gehilfen des Matadors, wendige Kerle in kurzen Jäckchen und engen Hosen in leichten Schritten, ihr rosa Tuch schwenkend, dem Stier entgegen. Das Tuch hielten sie gespreizt ausgestreckt weit ab vom Körper und tänzelten auf den Stier zu. Der Stier nahm das zunächst gelassen zur Kenntnis, aber sie reizten ihn weiter. Wenn das Tier auf sie zuschritt, zogen sie blitzschnell das Tuch zur Seite und machten eine leichte Drehung. Das Volk johlte bei jeder ihrer Bewegungen angesichts ihres Mutes, den sie anscheinend aufzubringen vermochten.
Der Stier blieb verwirrt stehen.
So lange sprangen sie um den Stier herum, so lange johlte das Volk, so lange untermalte die Kapelle mit kräftigem Tusch das Geschehen, bis das Tier in Angriffsstimmung gebracht war.
Jetzt wurde es für das Tier ernst. Zwei Männer auf gepanzerten Pferden ritten in die Arena und trieben den Stier in einer Ecke in die Enge. Sie stachen schmale Lanzen in seine Seite, in seinen Rücken und Nacken. Bei jedem Hieb heulte das Publikum vor Vergnügen: „Ole!“ wurde von der Menge gerufen, und wiederum „Ole!“
Das Tier war jetzt schon erheblich geschwächt.
Sie hatten den Stier so weit gebracht, Todesangst zu empfinden – und jetzt erschien der Matadore, brausend applaudiert vom Publikum. Er verbeugte sich gockelartig und näherte sich dem Tier mit graziösen Bewegungen. Bei jeder plötzlichen Drehung des Stieres, wenn dieser auf ihn zuraste, rammte er ihm Pfeile mit bunten Wimpeln in den Nacken. Jedes Mal ertönte der Tusch der Kapelle und das Publikum schrie, pfiff, johlte und klatschte. Schwer schnaubend stand das Tier nun da, Blut rann ihm aus der Seite, den Nacken entlang.
Damit solch ein Tier überhaupt kämpfen will, wird es Tage zuvor in einem dunklen Verschlag gehalten, plötzlich dann in der Arena befreit – und steht im gleißenden Sonnenlicht mit dem fürchterlichen Lärm. Es wird gereizt, es hat Wunden, es hat Schmerzen und letztlich Todesangst.
Langsam, ganz langsam wird es abgeschlachtet, ein völlig ungerechter Kampf, denn es hatte nie eine Chance. Beim letzten Degenstoß taumelt es noch eine Weile, Blut stürzt aus dem Maul, es fällt auf die Knie, auf den Bauch – und bekommt den Genickstoß.
Die Menge brüllte, tobte und feuerte den Matador an. Die Gesichter der Polizisten hinter mir entsetzten mich, strahlend aggressiv, voller Freude bei dem grausamen Spiel.
Hinter mir auf der Bank saß ein kleines Mädchen mit Silberblick und Brille. Es sagte zu seiner Mutter:
- NO ME GUSTA, Mama, NO ME GUSTA! – ( Gefällt mir nicht )
Sie gefiel mir.
Autor:Ingrid Dressel aus Bochum |
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