Thermomix oder Wählenix
Die Volksseele kocht. Die Nachrichten berichten von Panik und Chaos an einigen Orten in Deutschland. Filialen von Aldi werden von Bürgern belagert. Das Unternehmen hatte den Bürgern einen Volks-Thermomix, ein Koch- und Backgerät, das alles kann, für nur 199 Euro versprochen, der im Original 1.100 Euro kostet. Doch Aldi hatte viel zu wenige Geräte in den Verkauf gebracht, so dass erboste Bürger leer ausgingen. In einigen Märkten kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen den wartenden Kunden um die knappen Geräte. Die Polizei musste eingreifen. Bürger hatten sich extra Urlaub genommen, um endlich das prestigeträchtige Gerät zu erstehen. Manche gingen aber leer aus, obwohl sie den ganzen Tag über alle Aldi-Geschäfte der Umgebung abgefahren hatten.
Für viele Bürger ist das Vorgehen des Aldi-Konzerns ein klarer Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. "Jeder hat das Recht auf einen Volks-Thermomix!" lautet die unmissverständliche Forderung. Es kann nicht angehen, dass Bürger im Ansehen schlechter gestellt werden, weil sie in ihrer Küche keinen Thermomix vorweisen, können, der ihnen Wort für Wort erklärt, wie das Brot im Gerät zu backen oder die Eismasse zuzubreiten ist. Bei Facebook lassen frustrierte Bürger ihrem Unmut freien Lauf, es kann ihnen nicht zugemutet werden, dass sie demnächst, wie bei bei den neusten i-Phones oder i-Pads vor den Aldi-Filialen Tage vorher campen müssen, damit sie am Morgen des ersten Verkaufstages eines der begehrten Produkte zum Schnäppchenpreis erstehen können. Politik und Justiz werden aufgefordert, einzuschreiten. Jedem Bürger sein Thermomix, sonst drohen Unruhen. Bürger sind bereit, gegenüber anderen ihren Anspruch auf den Thermomix mittels Faustrecht durchzusetzen. Öffentlich wird die Frage gestellt: Müssen die Aldi-Filialen bei der nächsten Thermomix-Verkaufsaktion unter Polizeischutz gestellt werden?
Wie weit soll das noch gehen? Wann tauchen die ersten Facebookpost auf, in denen Aldi unterstellt wird, der Thermomix wäre deshalb so knapp, weil das Unternehmen das Gerät lieber an Flüchtlingen als an deutschen Bürger gebe? Wann wird die Frage gestellt, wieso nicht erst deutsche Obdachlose einen Thermomix bekommen?
Die Thermomix-Farce zeigt, das Leben vieler Bürger dreht sich nur um sie selbst. Ohne Thermomix fühlen sie sich einige Bürger offenbar minderwertig und gesellschaftlich nicht anerkannt. Das Gemeinwohl, besonders das Wohl ihrer Stadt, interessiert die Mehrheit hingegen leider in nicht annähernd gleicher Weise. Die niedrige Wahlbeteiligung bei der Oberbürgermeisterwahl von 38% und 32% bei den beiden Wahlgängen dokumentiert das z.B. bezogen auf Bchum leider mehr als deutlich. Hätte es den Volks-Thermomix im Wahllokal nur nach Abgabe der Stimme gegeben, hätte man vermutlich die Wahlbeteiligung auf deutlich über 50% schrauben können. Hätte gar einer der OB-Kandidaten jedem Bürger einen Thermomix für 199 Euro garantiert, hätte er wohl mit deutlichem Abstand gewonnen.
Viele Bürger dürstet nach Brot und Spielen, das kann kein Produkt besser als der Thermomix, mit dem sich nach Aussage der Besitzer spielend backen lässt. Ernsthaftes Interesse darüber, warum ihre Stadt überschuldet ist, die Schulen schlecht ausgestattet oder die Straßen voller Schlaglöcher sind, besteht hingegen eher selten. Beschwert wird sich viel, über die Ursachen und die Verantwortlichen nachgedacht hingegen nur wenig bis gar nicht. Nicht wenige Bürger echauffieren sich über eine fehlende Berücksichtigung ihrer Interessen und die mangelnde Beteiligung an politischen Entscheidungen, nehmen aber nicht mal ihr Wahlrecht wahr, geschweige denn beschäftigen sich näher damit, was in ihrer Stadt politisch passiert. Versenkt die Stadt Hunderte von Millionen bei Währungsspekulationen und Energiegeschäften interessiert das kaum jemanden, bekommt man aber den Thermomix für 199 Euro nicht, fordern einige bereits lautstark das Eingreifen von Politik und Justiz.
Eine Stadt kann die Bürger aber nur erfolgreich an politischen Entscheidungen und der Stadtentwicklung beteiligen, wenn die Bürger bereits sind sich mit den Themen, die die Stadt bewegen, zu beschäftigen und sich einzumischen. Für die Stadtpoltik gibt es keinen Thermomix, in den man alles reinfüllt, der alle Zutaten und Ansprüche mischt und der einem dann sagt, wen man zu wählen hat, damit das Ergebnis gut schmeckt. Wahlentscheidungen erfordern von den Wählern viel Hand- bzw. noch mehr Kopfarbeit. Es ist nicht damit getan, den zu wählen, der auf dem Plakat am nettesten aussieht, dessen Partei schon Vater, Mutter, Oma und Opa gewählt haben oder der die tollsten Wahlgeschenke verteilt. Die Wahlentscheidung sollte darauf beruhen, wen man für am geeignetesten hält die beste Politik für die Stadt zu machen. Die Mühe, das herauszufinden, machen sich viele leider nicht. Einer Reihe von Bürgern ist es offenbar wichtiger einen Thermomix in der Küche zu haben, um Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen stolz berichten zu können, was man sich denn (auch) leisten kann, als z.B. darüber mitzuentscheiden, ob die Stadt für die Bildung ihrer Kinder und Enkel mehr Geld bereit stellen soll. So nehmen sich, um einen Volks-Thermomix zu erstehen, manche sogar extra Urlaub, zum Wahllokal schaffen sie es aber schon nicht mehr, wenn es am Wahlsonntrag regnet.
Der Anspruch an Thermomix wie Politik ist hingegen ganz ähnlich. Man will wenig Arbeit haben, alles soll einem bis ins Kleinste erklärt werden und das Ergebnis muss zu 100% nach seinem Geschmack gebacken werden. Sonst ist das Gerät schlecht und man tauscht es um. Das geht bei der Politik jedoch nicht. Hat man die falsche Politik gewählt, ist für 5 Jahre kein Umtausch mehr möglich. Auch beschweren bringt wenig, nur beim nächsten Mal anders zu wählen oder sich selbst politisch aktiv einzumischen, kann etwas ändern. Eine Wahlentscheidung ist eben keine Kaufentscheidung. In der Politik gibt es keine Garantie und keine Gewährleistung und auch keinen Anspruch darauf, dass der Gewählte genau das macht, was man selbst will. Der Politiker dient anders als der Thermomix nicht nur dem Käufer bzw. dem einzelnen Wähler, sondern dem Wohl der ganzen Stadt und das kann auch schon mal von den Interessen des einzelnen Käufers bzw. Wählers abweichen. Auch wird kein Politiker zu 100% die Meinungen aller seiner Wähler teilen. Diejenigen, die man gewählt hat, werden also bei ihren Entscheidungen auch mal Meinungen vertreten, die einige ihrer Wähler nicht teilen.
Es gilt mehr Verständnis dafür zu wecken, dass Stadtpolitik eben nicht funktioniert wie der Kauf eines Thermomixes. Aber auch dafür, dass wir in einer Stadtgesellschaft leben, in der es erstrebenswert ist, dass jeder seinen Beitrag zum Gelingen der Stadtentwicklung leisten sollte. In der sich daher jeder für die Entwicklung der Stadt und die zu treffenden Entscheidungen interessieren sollte. Der Thermomix auf dem Küchentisch ist nicht das Maß aller Dinge, ebensowenig gibt es irgendein Recht auf einen Thermomix, schon gar keines, das mit Faustrecht durchzusetzen ist. Es sollte viel eher unser aller Ziel sein, sich dafür einzusetzen, dass wir und unserer Kinder und Enkel in einer möglichst lebenswerten und attraktiven Stadt leben.
Volker Steude
Die STADTGESTALTER - politisch aber parteilos
Autor:Dr. Volker Steude aus Bochum |
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