SPD, CDU und Grüne wollen 18.500 Bürgern in Bochum und Wattenscheid das Wahlrecht nehmen
Immer mehr Bürger sind mit den Entscheidungen der großen Parteien unzufrieden und wählen kleine und unabhängige Wählergemeinschaften oder Parteien. Diese stellen in den städtischen Räten häufig unbequeme Fragen, setzen sich für Transparenz ein und decken immer wieder den Klüngel von Verwaltung und Politik auf. Das ist den großen Parteien offenbar unangenehm, also versuchen sie diesen Stimmen die Wirkung zu nehmen.
Die Idee von SPD, CDU und Grünen im Land: bei der nächsten Kommunalwahl soll es eine 3 oder 2,5%-Hürde geben, so dass kleine politische Gruppierungen aus den Stadträten raus gehalten werden und die genannten Parteien wieder schalten und walten können, wie sie wollen. Erwähnt werden muss, dass die Bochumer und Wattenscheider Grünen, anders als ihr Landesverband, die Einführung einer solchen Hürde bisher kategorisch ablehnen.
In Bochum würde eine 3%-Hürde bezogen auf das Wahlergebnis von 2014 bedeuten, 18.500 Bürger hätten einer Gruppierung ihre Stimme gegeben, die dann nicht im Rat vertreten ist. Ihre Stimme würde damit nichts zählen. Ihr Wahlrecht bestünde nur auf dem Papier, wäre aber nichts wert. Wählern kleiner Gruppierungen - und das sind immerhin 13% aller Wähler - würde also das Recht entzogen, sich im Rat durch die Gruppierung vertreten zu lassen, die sie gewählt haben. Statt freier Wahl, bestünde faktisch nur noch eine Wahlmöglichkeit zwischen den großen Parteien, sonst wäre die Stimme nichts wert.
Die Begründung der großen Parteien für die Einführung einer solchen Hürde ist, aufgrund von vielen Gruppierungen im Stadtrat, könnten die ehrenamtlichen Mitglieder des Rates nicht mehr vernünftig arbeiten. Bochum zeigt, dass das Unsinn ist. Hier läuft die Arbeit im Stadtrat reibungslos, trotz 13 Gruppierungen, die im Rat vertreten sind.
Die kleinen Gruppierungen fallen eher durch konstruktive Anträge und Anfragen auf. So haben die STADTGESTALTER im letzten Jahr u.a. gemeinsam mit FDP/UWG den Bau des Spieldrachens, das freie WLAN für die Stadt, das Rats-TV und die Radstreifen auf der Schützenstraße auf den Weg gebracht. Die Ratsmitglieder der großen Parteien fallen hingegen viel weniger mit eigenen Ideen und Beiträgen auf, nicht wenige gar nicht. Auch die im Bochumer Rat regelmäßig sehr konstruktiven und sachlichen Diskussionen werden nicht unwesentlich von den kleinen Gruppierungen mitbestimmt, man denke an die Diskussionen im Rat zur STEAG, dem Haushalt, der Personalentwicklung in der Verwaltung oder zu den Seniorenwohnheimen.
Die Vielfalt der Gruppierungen im Rat spiegelt die Vielfalt der Meinungen bei den Bochumer und Wattenscheider Bürgern gut wieder. Unnötige zeitliche Verzögerungen hat es im Rat nur gegeben als die Ausschüsse besetzt wurden und sich die großen Fraktionen gegenseitig austricksen wollten oder etwa als die großen Parteien den Rat als Bühne zur Darstellung ihrer Positionen zu den Freihandelsabkommen nutzten, die eigentlich nicht auf kommunaler Ebene zu entscheiden sind. Nie waren hingegen die kleinen Gruppierung Ursache für lange Sitzungen.
Wollte man die Arbeitsfähigkeit des Rates verbessern, gäb es andere und bessere Wege dies zu tun. Professioneller arbeiten könnten die Ratsmitglieder, wenn sie zumindest für eine signifikante Zeit von ihrem Beruf freigestellt würden (z.B. für 2,5 Tage die Woche) und ihnen der dadurch entstehende Gehaltsausfall von der Stadtkasse ersetzt würde. Dazu müsste natürlich das Land den Städten, die entsprechenden Gelder zur Verfügung stellen.
Auch die finanzielle Benachteiligung von unabhängigen Wählergemeinschaften bei Wahlkämpfen gegenüber Parteien sollte beseitigt werden. Bei Kommunalwahlen gibt es - anders als bei Landtags- oder Bundestagswahlen - keine Wahlkampfgelder für die erreichten Stimmen. Der gesamte kommunale Wahlkampf muss von den Wählergemeinschaften privat gestemmt werden, während die Parteien Gelder aus den Landes- und Bundeswahlkampfmitteln oder Spenden ihrer Abgeordneten in die kommunalen Wahlkämpfe umleiten. Was die großen Parteien an Geld in die Wahlkämpfe stecken, müssen die unabhängigen Wählergruppierungen durch Kreativität ausgleichen, mehrere 10.000 Euro für einen Wahlkampf können sie nicht aufbringen.
Auch die Größe der Räte könnte man reduzieren. Ehe man eine Sperrklausel einführt, um aktive und engagierte Ratsmitglieder kleiner Gruppierungen aus den Sitzungen raus zu halten, könnte man sich ebenso fragen, ob die Ratsmitglieder großer Fraktionen, die sich ohnehin an den Diskussionen im Rat nicht beteiligen, dort überhaupt sitzen müssen. Nur im Rat zu sitzen, um dort mal den Arm zu heben, wenn der Fraktionsvorsitzende das Zeichen gibt, dafür muss man seine Zeit nicht bei Ratssitzungen absitzen. Die Stimme solcher Ratsmitglieder könnte man ohne Verlust auf die Fraktion übertragen. Die Aufwandsentschädigung für Ratsmitglieder, die nur mit der Fraktion abstimmen, aber eigentlich nicht an der politischen Arbeit beteiligt sind, könnte man so sparen.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2008 entschieden (BVerfG, 2 BvK 1/07 vom 13. Februar 2008, Absatz-Nr. 125), nur die konkrete, durch tatsächliche Anhaltspunkte gestützte und mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Möglichkeit der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit einer Volksvertretung (hier Stadtrat) könne eine Sperrklausel legitimieren. Selbst eine bloße „Erleichterung" oder „Vereinfachung" der Beschlussfassung im Rat würde also nicht ausreichen.
Das Beispiel Bochum zeigt, die kleinen Gruppierungen beeinträchtigen die Arbeit des Rates nicht. Im Gegenteil, sie bereichern sie. Jede Sperrklausel auf kommunaler Ebene dürfte damit verfassungswidrig sein (Wahlrecht.de, 30.10.14)
Volker Steude
Die STADTGESTALTER - politisch aber parteilos
Autor:Dr. Volker Steude aus Bochum |
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