Rettet die Gertrudisstraße - Wie kann der Niedergang der Innenstadt in Wattenscheid aufgehalten werden?
Gertrudisstraße (früher Teil der Nordstraße), einer der letzten Orte in Wattenscheid, wo man noch erahnen kann, wie der Ort vor der Industrialisierung und zu Beginn Gründerzeit ausgesehen hat. Leider aber ist die Straße auch ein Beispiel dafür, wie eine Straße über die Jahre ihren Charakter verloren hat.
In der Gertrudisstraße sieht man noch die kleinteilige Bebauung, die die Städte des Ruhrgebietes ausgemacht hat, bevor Orte wie Wattenscheid in alle Richtungen wucherten, um den in die Stadt strömenden Zechenarbeitern Wohnraum bieten zu können. Insbesondere zwei kleine Fachwerkhäuser, und ein weiteres kleines Haus mit Gründerzeitfassade prägen noch immer die schmale Straße.
In dieser kleinen Straße stehen 5 Häuser unter Denkmalschutz (Hausnummern 10, 14, 17, 18 und 20). So konzentriert, findet man nirgendwo in Wattenscheid so unterschiedliche denkmalgeschützte Gebäude an einem Ort.
Hier finden sich aber auch gesichtslose graue 50er-Jahre-Nachkriegsbauten, die die Baufluchten nicht einhalten und ehemalige Gründerzeitgebäude, denen der Krieg erst den Schmuck genommen hat und die dann die Eigentümer im Erdgeschoss verschandelt haben, als sie in den Erdgeschossen zunächst großzügige Schaufenster für Läden eingebrochen haben, die dann, als die die Geschäfte aufgegeben wurden, stillos wieder zugemauert wurden. Einige Gebäude machen zudem einen stark modernisierungsbedürftigen Eindruck.
Auch ein Gebäude aus den 60ern mit Fassade im Stil der 80er gibt es, das so gar nicht zu den anderen passen will. Dieses Haus mit Nummer 19 soll aktuell verkauft werden. Laut Gutachten aus dem Jahr 2006 soll das Haus einen Neubauwert von 591.000 Euro haben, der geforderte Preis beträgt nur noch knappe 160.000 Euro (Anzeige).
Das Pflaster der Straße ist auf. Überall sprießt das Unkraut, die Beete wurden ideenlos in den Straßenraum geschustert, gepflegte Grünanlagen sehen anders aus. Die Pflasterung passt überhaupt nicht zu den historischen Gebäuden. An Markttagen wird die Straße zum städtischen Parkplatz.
Nummer 20, eigentlich ein denkmalgeschütztes Fachwerkhaus von 1629, ist ein ständiger Fall für die Lokalpresse, da es kurz vor dem Abriss steht. Für 23.500 Euro hat es der jetzige Eigentümer ersteigert. Eigentlich wollte er das Haus sanieren, Baumaterial für die Dachsanierung hatte er bereits angeliefert. Doch stellte sich heraus, so der Eigentümer, es ist schon zu spät. Das Fachwerk ist nunmehr so morsch, dass eine Sanierung sich nicht mehr lohnen soll (WAZ vom 28.07.13). Entsprechend hat der Eigentümer den Abriss beantragt. Die Sache liegt bei Gericht. Die Stadt will den Eigentümer derweil zwingen, ein Sanierungskonzept vorzulegen. Eine Ordnungsverfügung wurde dem Eigentümer bereits zugestellt.
Der Eigentümer sagt, eine Sanierung ist unter den bestehenden Denkmalschutzauflagen unmöglich. Mittlerweile ist sogar ein Teil des Hauses zusammen gestürzt (WAZ vom 20.11.13).
Zu befürchten ist, dass wenn der Rechtstreit nun 2-3 Jahre vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen wird, von dem Haus nichts mehr übrig ist.
Viele Bürger stellen sich die Frage, in wieweit Stadt und Eigentümer wirklich am Erhalt des Gebäudes interessiert sind. Wäre die Stadt tatsächlich am Erhalt interessiert gewesen, hätte sie es wohl besser für 23.500 Euro das Haus besser selbst gekauft, hätte selbst ein Sanierungskonzept erstellen lassen und hätte es dann an einen Investor verkauft, der das Konzept umsetzen will.
Hätte die Stadt umsichtig und zeitig gehandelt, dann hätte sie am Ende dabei nicht mal einen Verlust verzeichnen müssen. Das Objekt war der Stadt aber wohl nicht wichtig genug.
Auch das Beispiel Gertrudisstraße zeigt leider, wie die Potenziale Wattenscheids verschenkt wurden und werden und dass die Stadt an der Entwicklung in WAT bisher nicht wirklich ein Interesse hatte.
Durchaus verleiht der vergleichsweise hohe Anteil an gründerzeitlicher Bausubstanz der Innenstadt Wattenscheid auch heute noch ein urbanes Flair, das durchaus auch zahlungskräftige Kunden der Mittelschicht anspricht (Kommunales Handlungskonzept Wohnen).
Tatsächlich aber wurde bei der Stadtgestaltung in Wattenscheid bisher nie darauf geachtet, dass diese sich an diese Gegebenheiten anpasst. Allein die Pflasterung ist ein Sündenfall. Vielfach fehlt es an der Vorgabe von einheitlichen Baufluchten. Die Wiederbebauung von Baulücken wurde nicht gezielt gefördert. Auf eine sich in das Stadtbild einpassende Gestaltung von Neubauten wurde nie ernstlich geachtet.
Die Innenstadt ist nicht mehr attraktiv, teilweise schäbig und herunter gekommen. Niemand kommt nach Wattenscheid, um sich die ursprünglich schönen gründerzeitlichen Gebäude Innenstadt anzusehen. In Konkurrenz zu den nicht integrierten Einkaufszentren hat die Innenstadt keine Chance. Die Mieten für Ladenlokale und Gewerbeflächen im Quartier entwickeln sich seit geraumer Zeit tendenziell negativ (Kommunales Handlungskonzept Wohnen), Leerstände prägen das Bild.
Das Kommunales Handlungskonzept Wohnen von 2011 zeigt die Probleme gut auf. Geschehen ist seitdem leider nichts wirklich.
Die Fehler, die in den letzten 40 Jahren bei der Innenstadtentwicklung gemacht wurden, lassen sich jetzt nur noch mit viel Geld wieder gut machen. Die finanzielle Handlungsfähigkeit einer steigenden Zahl von Eigentümern in der Innenstadt ist aufgrund des fortschreitenden Niedergangs mittlerweile eingeschränkt. Die Immobilienpreise verfallen, siehe Gertrudisstraße 19 und 20, private Investoren sind aufgrund der mangelnden Renditeausichten nicht in Sicht. Die Stadt aber ist pleite, hat kein Geld um zumindest ihre eigenen Bausünden zu korrigieren.
Immerhin liegt jetzt eine Vorstudie für ein Fördergebiet Wattenscheid Innenstadt vor, dass die Probleme von ganz Wattenscheid nochmals anschaulich zusammenstellt (Präsentationin den politischen Gremien). Aus dieser Vorstudie soll jetzt ein integriertes Handlungskonzept entwickelt und ein Förderantrag beim Land gestellt werden, denn ohne Landesmittel geht nichts. Das ganze Prozedere wird weitere Jahre in Anspruch nehmen. Aber immerhin die Stadt handelt, wenn auch viel zu spät.
Bis die Förderanträge gestellt werden, ist es jetzt an den Wattenscheider Bürgern sich in den Prozess einzuschalten, Was wollen die Bürger, was lehnen sie ab. Wie wollen sich die Bürger, insbesondere auch die, denen Immobilien in der Innenstadt gehören an den bevor stehenden Maßnahmen beteiligen. Was können die Bürger selbst tun, um den bevorstehenden Entwicklungsprozess zu befördern. Gehen die Planungen wieder an den Bürgern vorbei, wird auch diesmal der Erfolg ausbleiben.
Zurück zur Gertrudisstraße. Eigentümer, Anwohner sollten schon heute überlegen, wie diese Straße wieder belebt werden kann. Sie kann zu einem Schmuckstück in Wattenscheid werden, wenn alle Betroffenen an einem Strang ziehen. Wie sollte der Straßenraum umgestaltet werden? Was kann an den Fassaden gemacht werden? Das sind nur 2 Fragen, die sich nicht nur die Planer in Bochum, sondern auch die Bürger in Wattenscheid stellen sollten.
An dem Bild, das die Gertrudisstraße 2020 zeigt, wird sich ablesen lassen, ob sich bis dahin in Wattenscheid etwas positiv verändert hat.
Volker Steude,
BÄH - Bochum ändern mit Herz
(ruhrblogxpublik)
Autor:Dr. Volker Steude aus Bochum |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.