Opel und Bochum - Geschichte einer Berg- und Talfahrt

Opel, Werk I (Stahlkocher, Wikipedia)

Die Ära Opel wurde in diesen Tagen beendet. Damit wurde ein Schlusspunkt unter einen jahrelangen Niedergang gesetzt. Leider war der Abgang von Opel unrühmlich, man hätte vom Unternehmen mehr Souveränität und Fingerspitzengefühl erwarten können.

In vielen Nachbetrachtungen zu Opel wird behauptet, Opel wäre Bochum gewesen und Bochum Opel. Das aber wiederum stimmt so nicht. Opel war nie ein Bochumer Unternehmen. Bochum war ein Produktionsstandort, in dem ein Unternehmen aus Rüsselsheim, das zu einem Weltkonzern aus Detroit gehört, Autos fertigen ließ.

Trotzdem weist die Entwicklung von Opel viele Parallelen zu der Entwicklung der Stadt auf. Der Beginn der Produktion von Opel bedeutet für Bochum einen Aufschwung. Der Niedergang von Opel wiederum vollzog sich fast zeitgleich mit dem finanziellen Niedergang der Stadt.

Dass 1962 Opel nach Bochum kam, war in allererster Linie ein Verdienst der sozialdemokratischen Stadtregierung. Mit dieser Ansiedlung gegen den Widerstand der Kohle- und Montanlobby, gelang es, den Strukturwandel von der Zechen- zur Industriestadt zu vollziehen. Der Aufschwung von Opel bis in die frühen 80er Jahre überdeckte jedoch die strukturellen Probleme, die in Bochum weiterhin bestehen blieben. Opel expandierte, Bochum baute und baute: eine Uni, Hochhaussiedlungen, 4- bis 6-spurige Straßen, einen Autobahnring, die Innenstadt bekam gleich mehrere Parketagen, jeder Winkel der Stadt sollte "autogerecht" umgebaut werden.

In den Boomzeiten gab Opel in Bochum 20.000 Menschen eine Arbeit. Opel-Modelle fanden reißenden Absatz: Kadett, Manta u.a. trafen den Nerv der Zeit. Doch Opel ruhte sich auf diesen Erfolgen aus. Und genau das Gleiche geschah in der Stadt. Bemühungen, z.B. neben Opel andere Automobilbauer anzusiedeln, gab es nicht. So konnte sich keine Autoregion mit mehreren Standbeinen entwickeln. Der Automobilstandort Bochum hatte immer nur ein Standbein: Opel.

Selbst als der Wandel von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft in Bochum bereits tausende Arbeitsplätze kostete, konnte man sich in Bochum nicht dazu durchringen, sich aktiv auf den Strukturwandel einzustellen. Man hielt an den bewährten Strukturen fest und tat alles, um den Wandel zu vermeiden. So war die Uni 40 Jahre ein Fremdkörper in der Stadt, der nicht so recht als Bestandteil des städtischen Lebens und der Identität der Stadt wahrgenommen wurde.

Wie bei Opel hielt man an den alten Modellen und Denkweisen fest und war nicht in der Lage neue innovative Dinge zu entwickeln, die sich den geänderten Bedürfnissen der Kunden und Einwohner anpassten. Bei Opel folgten Kultautos beliebige Modelle, die niemandem zum Kauf animierten. Derweil pflasterte die Stadt in beispielloser Beliebigkeit die Stadt mit Hochbauten und Straßen zu. Der Charme von Stadtvierteln wich vielerorts gesichtslosen Einkaufszentren. Einzigartiges, Stadttypisches oder eine besondere Lebensqualität wurde so gut wie nirgens geschaffen. Für auswärtige Besucher sind Bochum und Wattenscheid von Gelsenkirchen, Essen, Oberhausen, Duisburg und den anderen Städten des Ruhrgebietes praktisch nicht zu unterscheiden. Die Fußgängerzonen sind an den meisten Stellen gleich grau, die Plätze gleich trostlos. Opel und die Stadt teilten dasselbe Schicksal, ihre Produkte sind unattraktiv und die Kunden und Ansiedlungswilligen bleiben aus.

Es folgt der wirtschaftliche Abstieg sowohl von Opel wie von Bochum. Einnahmen bzw. Erlöse konnten die Ausgaben bzw. Kosten nicht mehr annähernd decken. Doch die Reaktion ist unterschiedlich. Während bei Opel das Management zunächst die Kostenbremse zieht, was massiv zu Lasten der Qualität geht, ignorieren Politik und Verwaltung in Bochum zunächst das Problem. Sie gleichen das jedes Jahr steigende Defizit einfach durch ständig neue Schuldenaufnahmen aus. Während Opel beginnt Personal abzubauen, um auf die sinkenden Absatzzahlen zu reagieren, wächst der Personalbestand in der Stadt weiter, obwohl die Bevölkerung beginnt deutlich abzunehmen.

Die mit der radikalen Senkung der Kosten verbundenen Qualitätsmängel kosten Opel weitere Kunden. Management für Management muss gehen, das Unternehmen gerät an den Rand der Insolvenz, den die Muttergesellschaft GM schließlich auch anmelden muss. Die Stadt zieht die Kostenbremse nicht selbst, sondern wird schließlich von der Bezirksregierung dazu gezwungen, als diese den Haushalt nicht mehr genehmigt. Es kommt zum Haushaltsnotstand - Jetzt zwingt die Bezirksregierung die Stadt Einnahmen und Ausgaben wieder halbwegs in Einklang zu bringen und mit dem ungehemmten Schuldenmachen aufzuhören.

In der Folge wird die Instandhaltung der städtischen Infrastruktur auf ein kaum vertretbares Minimum zurückgefahren. Der Sanierungsstau bei Straßen, Brücken und Gebäuden wächst unaufhaltsam, die (Lebens-)Qualität der Stadt sinkt im gleichen Maße. Kaputte Straßen, marode Schulen und verwahrloste Straßenzüge schrecken neue Einwohner ab. Anders als bei Opel wurde das verantwortliche Stadtmanagement jedoch nicht gewechselt, sondern blieb trotz weiterem Abstieg der Stadt im Amt.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends steht Opel am Scheideweg. Neue Modelle müssen her und Überkapazitäten abgebaut werden, sonst geht das ganze Unternehmen zu Grunde. Das neue Management muss die Konsequenzen für die Fehler seiner Vorgänger tragen. Es trifft die Schwächsten im Werksverbund von Opel, so u.a. Bochum. Ab 2004 ist klar, wenn nicht ein Wunder passiert, ist der Produktionsstandort nicht mehr zu retten. Trotz eines anerkennenswerten Kampfes der Belegschaft bis zuletzt und großer Solidarität in der Stadt, lässt sich die Schließung nicht verhindern, aber immerhin 10 Jahre hinauszögern. Und obwohl die neuen Modelle von Opel letztlich für eine Kehrtwende im Unternehmen sorgen, reicht der Aufschwung bis heute nicht, um die Kapazitäten auch ohne Bochum halbwegs auszulasten.

In der Stadt werden derweil, anders als bei Opel, harte Maßnahmen zur Ausgabenreduzierungen nicht ergriffen. Um die Überschuldung zu vermeiden, wird stattdessen in erster Linie versucht durch Steuer- und Gebührenerhöhungen die Einnahmen zu steigern. Dagegen können sich die Bürger nicht wehren, außer sie ziehen in eine andere Stadt. Opel stand diese Option nicht offen, hätte man die Autopreise erhöht, hätten noch mehr Kunden die Automarke gewechselt.

Auch fehlt es der Stadt an innovativen Ideen. Es gelingt ihr nicht neue attraktive (Denk-)Modelle zu entwickeln. Immer neue Gewerbe- und Büroflächen werden ausgewiesen, doch neue Unternehmen bleiben an vielen Orten aus und viele Flächen leer. Die städtische Wirtschaftsförderung verpasst es über Jahrzehnte ihre Strategien an die Anforderungen von ansiedlungswilligen Unternehmen anzupassen. Auch fehlt es immer noch an realen Projekten, die zeigen, dass man sich erfolgreich auf den Weg in die Zukunft gemacht hat. Die Vorzeigeprojekte der Verwaltung - Justizzentrum, Musikzentrum, Hochschule für Gesundheit oder Pop-Akademie - hängen allesamt am Tropf öffentlicher Gelder und finanzieren sich nicht selbst. Die meisten von ihnen schaffen direkt noch nicht einmal neue Arbeitsplätze.

Opel scheint sich insbesondere auch durch seine radikalen Sparmaßnahmen voerst gerettet zu haben, dies ist bei der Stadt aber längst nicht der Fall. Die Wirtschaftsdaten geben nur geringen Anlass zu Hoffnung. Die städtische Finanzsituation verschlechtert sich beständig. Steuern und Gebühren steigen. Die Ansiedlung von neuen Unternehmen gelingt weiterhin kaum. Die Einwohnerzahl nimmt unverändert ab. Von dem seit Jahrzehnten zuständigen "Stadtmanagement" sind keine neuen Impulse zu erwarten, während sich die nächsten massiven Arbeitsplatzverluste bei der Stahlsparte von Thyssen längst abzeichnen.

Der Vergleich der Entwicklung von Opel und der Stadt zeigt, dass Unternehmen und Kommunen ganz unterschiedlich handeln und auch ganz anderen Zwängen unterliegen. Hätte sich Opel nicht den geänderten Kundenbedürfnissen angepasst und die andauernden Verluste in den Griff bekommen, gäbe es das Unternehmen heute nicht mehr. Letztlich war es unausweichlich, die bestehenden Strukturen den sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Die Stadt hingegen tut sich nach wie vor mit jeder Anpassung an sich verändernde Strukturen schwer. Das Beharrungsvermögen von Verwaltung und Politik ist groß. Die harten, aber notwendigen Schritte einzuleiten, um den Strukturwandel endlich zu bewältigen und die städtischen Finanzen zu sanieren, traut sich niemand durchzusetzen. Ein wirklicher Zwang, die Probleme grundlegend anzugehen, besteht nicht. Daher ist zu befürchten, dass die Abwärtsentwicklung, in der sich die Stadt befindet, erst dann gestoppt wird, wenn die Auswirkungen für jeden einzelnen Bewohner der Stadt so einschneidend spürbar werden, dass die Bürger Veränderungen lautstark auf der Straße einfordern.

Wir dürfen nicht nur darauf schauen, dass es in Duisburg, Oberhausen, Waltrop oder sonst wo noch schlimmer ist, sonst ändert sich weiterhin nichts. Woanders mag es auch scheiße sein, das darf aber nicht unser Maßstab sein. Wir müssen den Anspruch haben, genau so gut zu sein wie andere Städte, insbesondere Universitätsstädte, denn die prosperieren und wachsen alle, außer sie liegen im Ruhrgebiet...

Hier noch ein sehenswerter Filmbeitrag zum Thema:
http://www.bochumschau.de/schliessung-opelwerk-bochum-2014.htm

Volker Steude
Die STADTGESTALTER - politisch aber parteilos

BoWäH - Bochum und Wattenscheid ändern mit Herz

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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