Neues Leitbild der Bochumer Verkehrsplanung - sichere Schulwege werden zum Maß der Dinge

Schulweg - Hoffnungen und Besorgnis einer beobachtenden Mutter | Foto: Margret Hofheinz-Döring
  • Schulweg - Hoffnungen und Besorgnis einer beobachtenden Mutter
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Aberwitzig, zur Fahrradprüfung bekommen die Eltern ein Schreiben der Schulleitung, dass die Schüler das Rad auf dem Weg zur Schule und wieder zurück lieber schieben sollen, da der Schulweg für die Kinder auf dem Rad zu risikoreich sei!

Doch vielen Eltern ist nicht nur der Weg mit dem Rad in die Schule zu gefährlich. Mehr als ein Drittel der Kinder kommt weder mit dem Rad noch zu Fuß zur Schule, sondern mit dem Eltern-Taxi (Viele Kinder kennen ihren Schulweg nicht, 1998). Zu schmale Fußwege, unberechenbare Linksabbieger, auch wenn die Fußgängerampeln grün zeigen, dass sind typische Gefahrenstellen in Bochum und Wattenscheid, die Eltern ihren Kindern nicht zumuten wollen.

Selbst wenn die Kinder bereits in weiterführende Schule gehen, wollen viele Eltern den Nachwuchs nicht mit dem Rad in die Schule fahren lassen. Fehlende Radwege und Querungsmöglichkeiten an verkehrsreichen Kreuzungen für Radfahrer machen die Schulwege selbst für Jugendliche zum unkalkulierbaren Risiko und machen den Eltern Angst. So kommt es vor, dass Kinder und Jugendliche noch in der 7-ten Klasse gezwungen werden, den Schulweg statt mit dem Rad langwierig zu Fuß oder umständlich mit Bus und Bahn zurück zu legen. Kinder weichen aufgrund fehlender Radwege auch noch mit 13 Jahren auf Bürgersteige aus und umkurven dort erschreckte Fußgänger.

Wissenschaftler der RUB, Verkehrswacht und der Lehrerverband (VBE-NRW) sehen den Taxi-Dienst der Eltern sehr kritisch (WAZ vom 07.04.13). Eine Studie der RUB kommt zu dem Schluss, dass die aus dem Taxidienst folgende reduzierte Selbstständigkeit der Kinder zu einer schlechteren physischen Konstitution, mangelnder Raumkenntnis und dem Fehlen von realen Übungsmöglichkeiten, wie sich Kinder sicher im Verkehr verhalten sollen, führt. Der zunehmende Eltern-Taxidienst führt zwar auch in Bochum zu weniger Unfällen auf Schulwegen, doch die Kinder bewegen sich jeden Tag rund 30% weniger und beginnen den Schultag schlechter konzentriert.

Nicht nur so genannte „Helikopter-Eltern“ bringen ihre Sprösslinge jeden Tag mit dem Auto zur Schule und holen sie wieder ab. Viele Mütter und Väter sehen einfach keine andere Möglichkeit ihren Nachwuchs sicher zur Schule zu bringen. Der Schulweg sei zu weit, bedingt auch durch die abnehmende Zahl der Schulen, und er sei zu unsicher, so wird der Taxi-Dienst in der Regel gerechtfertigt.

An den Schulen wiederum gefährden zu Schulbeginn Schlangen von Autos die Schüler, die trotz aller Widrigkeiten zu Fuß oder mit dem Rad in die Schule kommen, Zebrastreifen werden zugeparkt, im Halteverbot wird kurz angehalten, nur um kurz Sohn oder Tochter raus zu lassen. Lehrer und die örtliche Polizei tun ihr Bestes, aber raufen sich gerade nach den Sommerferien verzweifelt die Haare.

Zum Glück kommt es trotz allem nur sehr selten zu ernsten Unfällen.

Dies kann jedoch kein Entschuldigung sein, die unhaltbaren Zustände auf vielen Schulwegen noch länger zu tolerieren, wie nicht nur das Beispiel Leithe zeigt. Die Forderung an die städtische Politik ist einfach. Die Verkehrswege sind so einzurichten, dass jedes Kind gefahrlos und selbständig in die Schule kommen kann. Grundschüler müssen spätestens ab der 3. Klasse die Schule alleine zu Fuß erreichen können. Ab der 5. Klasse muss ein selbständiges Erreichen der Wohnort nächsten Schule auf dem Rad möglich sein, ohne dass sich die Eltern sorgen müssen, dass das Kind die Schule nicht unfallfrei erreichen könnte.

Dazu jedoch muss sich das Leitbild der Bochumer Verkehrspolitik grundlegend wandeln. Nicht mehr die Autofahrer müssen zukünftig im Mittelpunkt der städtischen Verkehrsplanung stehen, sondern die schwächsten Verkehrsteilnehmer, insbesondere Kinder und Jugendliche. Die Bedürfnisse nach guten Parkmöglichkeiten und der schnellsten Möglichkeit für Autofahrer in die Stadt zu kommen, müssen zukünftig dort hinten anstehen, wo diese den Interessen von Kindern und Jugendliche auf sichere Verkehrswege im Weg stehen. Auf Schulwegen haben damit z.B. Radstreifen Vorrang vor Parkstreifen. Stehen sichere Querungsmöglichkeiten für Kinder an beampelten Kreuzungen Linksabbiegern über grüne Fußgängerampeln entgegen, so ist das Linksabbiegen für die Autofahrer auf die Zeiten zu beschränken, zu denen die Fußgängerampeln rot zeigen.

Dies bedeutet Einschränkungen für Autofahrer, die Wege werden länger. Auch die Parkplatzsuche wird noch länger dauern. Aber um die Sicherheit der Kinder zu erhöhen, sollten alle bereit sein, diese Abstriche hin zu nehmen. Dafür fällt die Notwendigkeit weg, die Kinder zur Schule zu bringen und wieder abzuholen. Auch regen die besseren und sichereren Fuß- und Radwege ggf. auch die Erwachsenen an, das Auto mal stehen zu lassen und auf das Rad oder die eigenen Füße umzusteigen.

Bochum will eine familienfreundliche Stadt sein, also müssen alle Verkehrswege der Stadt (außer natürlich Autobahnen und ähnliche Straßen) auch von Kindern und Jugendlichen gefahrlos benutzbar sein. An diesem Erfordernis ist nicht zu rütteln. Besteht die Bereitschaft zu diesem Umdenken in Bochum und Wattenscheid nicht, bleiben die Bekenntnisse der Politik zum Leitbild der kinderfreundlichen Stadt nichts weiter als hohles Gerede.

Für Kinder und Jugendliche ist das Erlernen und Erleben von Selbständigkeit eine der wichtigsten Erfahrungen auf ihrem Weg erwachsen zu werden. Dazu gehört, dass die Kinder und Jugendlichen den Weg zur Schule alleine bewältigen. Das macht sie zu selbstbewussten und unabhängigen Menschen, die sich im Leben etwas zu trauen. Das stärkt das Vertrauen zwischen Kinder und Eltern. „Meine Eltern trauen wir was zu“, das macht Kinder stolz auf ihre eigenen Fähigkeiten.

Familien wollen in einer Stadt leben, in der ihre Kinder gefahrlos aufwachsen. Die mögliche Sorge um die Sicherheit der Kinder und Jugendlichen, wenn sie die Schule oder ihre Freunde besuchen, schreckt Familien ab, nach Bochum zu ziehen oder hier wohnen zu bleiben. Ein wesentlicher Faktor von Wohn- und Lebensqualität besteht darin, dass sich Eltern darauf verlassen können, dass, wenn ihre Kinder das Heim verlassen, sie jederzeit sicher durch die Stadt kommen.

Entsprechend ist die ganze Stadt auf den Prüfstand zu stellen. Welche Wege werden von Kindern und Jugendlichen benutzt? Wo liegen dort Gefahrenstellen? Wie lassen sich diese Ausräumen?

Ausgangspunkt einer systematischen Analyse sind die Schulen. Wie gestaltet sich die Verkehrssituation um die Schulen? Sind die Straßenquerungen vor den Schulen gefahrlos für Kinder benutzbar? Sind die Schulen auch mit dem Rad zu erreichen? Stehen genug sichere Radparkplätze für Schüler bereit? Resultieren aus dem Autoverkehr vor der Schule Gefahren?

Sobald die Schulen sicher erreichbar ist, müssen die Eltern überzeugt werden, die Kinder nicht mehr zu den Schulen zu fahren. Konsequent muss das „Drop off“ der Kinder direkt vor Schulen unmöglich gemacht werden, wenn es die zu Fuß oder mit dem Rad kommenden Schüler behindert oder gar gefährdet.

An jeder Schule muss zusammen mit Eltern, Schülern und Lehrern ein Verkehrskonzept entwickelt werden, wie erreicht werden kann, dass nahezu alle Schüler selbständig zu Fuß oder auf dem Rad die Schule erreichen. Eltern, Schülern und Lehrern müssen zunächst die Möglichkeiten zeitgemäßer Verkehrsplanung bezogen auf ihre Schule nahe gebracht werden. Alternativen müssen erarbeitet werden, wie die Verkehrssituation auf den Schulwegen und rund um die Schule sicherer gemacht werden kann. Letztlich müssen alle Beteiligten entscheiden, welche Planungen umgesetzt werden, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Dabei muss allen klar sein, dass bei den Planungen die Bedürfnisse aller anderen Verkehrsteilnehmer der Sicherheit der Kinder und Jugendlichen untergeordnet wird.

Das Resultat dieser Bemühungen wird nachhaltig und überzeugend sein. Steigt die Sicherheit der jüngsten Bewohner der Stadt, steigt auch die Lebensqualität. Lebens- und Wohnwert in der Stadt steigen, Bochum und Wattenscheid werden attraktiver. Das Bedürfnis der Menschen, insbesondere von Familien mit Kindern, steigt, in Bochum und Wattenscheid leben und Arbeiten zu wollen. Sicherere Schulwege sind somit eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Einwohnerzahl in unserer Stadt wieder wächst.

Nutzen wir diese Chancen, Bochum lebenswerter und jünger zu machen.

Volker Steude,
BoWäH - Bochum und Wattenscheid ändern mit Herz
(ruhrblogxpublik)

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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