Missbrauch verjährt zu schnell. Längere Verjährungsfristen müssen auch Patientenrechte stärken

Skulptur: Michael Borowiak

„Kinderschänder sollen grundsätzlich noch nach Jahrzehnten bestraft werden können. Alle 16 Bundesländer fordern von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) deutlich verlängerte Verjährungsfristen für Missbrauchs-Straftaten“ hieß es am 03.08.11 in der WAZ.
Die Verjährungsfrist richtet sich bislang nach der Schwere des Missbrauchs, wobei sie mit der Volljährigkeit des Opfers beginnt und zwischen fünf bis dreißig Jahren umfassen kann.
Vergewaltigung von Kindern wie Erwachsenen verjährt nach 20 Jahren.
Bayerns Justizministerin Beate Merck verlangt, eine Verjährung für alle Missbrauchs-Straftatbestände erst nach 30 Jahren eintreten zu lassen.

Angestoßen wurde die aktuelle Debatte um die Verjährungsfristen durch die in bedrückend hoher Anzahl bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in Heimen und kirchlichen Einrichtungen. Die Länder sehen den Gesetzentwurf der Bundesjustiministerin zur Stärkung der Opferrechte als unzureichend an. „Dieser Entwurf sieht lediglich eine längere Verjährung für zivilrechtliche Ansprüche wie Schadensersatz und Schmerzensgeld vor“, schreibt die WAZ.
Hamburg und Bremen geht er nicht weit genug, da das brisante Thema der strafrechtlichen Verjährung dabei nicht angetastet wird. Die strafrechtlichen Fristen führt die WAZ leider nicht an.

Soweit das Thema sexueller Missbrauch, angefacht durch eine schier unglaubliche Anzahl in der Kindheit durch Vertrauenspersonen und Würdenträger missbrauchter Menschen.
Missbrauch hat daneben jedoch noch andere Gesichter und er entsteht nicht nur unmittelbar in körperlicher bzw. sexueller Hinsicht.
Bereits der Missbrauch des Vertrauens, das man einem anderen entgegenbringt, wiegt als schweres Vergehen innerhalb eines wie auch immer gearteten zwischenmenschlichen Miteinanders und kann erhebliche Folgen nach sich ziehen.

Ohne das Leid sexuell missbrauchter Menschen aller Altersklassen antasten zu wollen, das sich ganz ohne Zweifel in sehr tiefen und nachhaltigen seelischen wie körperlichen Qualen ausdrückt, ist es mindestens ebenso wichtig, den Blick auf andere Bereiche zu richten, in denen von der Öffentlichkeit im wesentlichen unbeachtet ein nicht minder schwerer Missbrauch stattfindet, den es bei der Neuregelung gesetzlicher Verjährungsfristen gleichermaßen zu beachten gilt:

Die Verletzung der Schweigepflicht.

Gerade in ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlungen muss mit Daten und Wissen über den Patienten sehr sensibel umgegangen werden. Die Schweigepflichtverletzung stellt hier einen besonders schweren Missbrauch dar, wenn im Vertrauen auf die zugesicherte Verschwiegenheit sensibelste Informationen aus dem privatesten Lebensbereich des Patienten Dritten zur Kenntnis gelangen, die dem Betroffenen nicht selten ausgesprochen peinlich sind.
Absolute Verschwiegenheit ist oberstes Gebot in derartigen Behandlungen, weil gerade eine psychotherapeutische Behandlung ohne diese Sicherheit nicht möglich ist.

Der Missbrauch von Vertrauen stellt deshalb innerhalb der Dienstleistung ein schweres Vergehen gegen das seelische Erleben eines bedürftigen, zur Zeit der Behandlung abhängigen und anvertrauten Menschen dar, der das Opfer in Abhängigkeit von der Bedeutung der weitergegebenen Informationen schwer und nachhaltig schädigen kann.
Eine psychische Schädigung mit den entsprechenden körperlichen Ausdrucksformen muss dabei zunächst nicht einmal direkt deutlich werden, manchmal wird sie erst nach Wochen oder Monaten als belastend wahrgenommen.
Für eine Strafanzeige, die berufsrechtliche Folgen haben kann, ist es dann häufig schon zu spät.

§ 203 StGB stellt die Verletzung von Privatgeheimnissen unter Strafe. Das Strafmaß reicht von Geldstrafe bis hin zu Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Während die zivilrechtliche Verjährung zur Erhebung von Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld hier bislang nach drei Jahren eintritt, beträgt die strafrechtliche Verjährung hingegen – nur drei Monate nach Bekanntwerden der Pflichtverletzung !!!

Eine Frist, die der strafbaren Handlung ebenso wenig gerecht wird, wie dem Opfer, das darunter nicht selten schwer zu leiden hat, und die sich selbst nicht wirklich ernst zu nehmen scheint.
Sie ist ein Hohn für jeden Geschädigten und begünstigt den Täter, der sich in seinem Handeln eher noch bestätigt fühlen mag und oft nicht einmal weiß, wem gegenüber er tatsächlich Verschwiegenheit zu wahren hat.
Sie verharmlost die Tat und benachteiligt das Opfer, das noch zusätzlich unter der Unglaublichkeit einer Verjährungsfrist zu leiden hat, die kaum eine zu sein scheint.

Innerhalb von drei Monate Strafanzeige zu erstatten, ist kaum möglich. Auch das Opfer eines Vertrauensmissbrauchs hat aus seiner angeschlagenen seelischen Verfassung heraus oft weder Kraft noch Mut, zur Polizei zu gehen, geschweige denn in dieser kurzen Zeit einen geeigneten Anwalt zu ermitteln. Hinzu kommt, dass das Erlebte nachvollziehbar geschildert werden muss, bei Klage auf Schmerzensgeld die erlittene Verletzung nachvollziehbar zu belegen ist und das Offenbarte, das man nur in geschützter Atmosphäre angesprochen wissen wollte, erneut vor Dritten ausgebreitet werden muss. Das ist mehr als erniedrigend und führt erneut in die Verletzung.

Im seelischen Erleben eines Menschen macht es letztlich kaum einen Unterschied, ob er Opfer unsittlicher Annäherungsversuche, versuchter Vergewaltigung oder Opfer unbefugter Weitergabe vertraulich geäußerter Informationen aus seinem unter Umständen intimsten Lebensbereich geworden ist. Der verletzte Bereich menschlichen Empfindens, das Schamgefühl, ist exakt derselbe.
Die den Fällen vergleichbare Handlung gegen den Willen des Opfers stellt ein unzulässiges Eindringen in die Privat- und Intimsphäre des Menschen dar, das deshalb als so schlimmer Missbrauch wiegt, weil er durch eine enge Vertrauens- und Bezugsperson erfolgt und sich der Betroffene in zunehmendem Erschrecken seiner eigenen Wehrlosigkeit bewusst wird.

Eine Verletzung der Schweigepflicht entblößt das Opfer vor Dritten. Es zieht sich dabei sinnbildlich nicht selbst vor Dritten aus, es wird gegen seinen Willen ausgezogen, wobei die Anzahl Dritter für den Leidtragenden nicht immer überschaubar ist. Informationsstreuung kann man nicht sehen, sie wird zum Selbstläufer, zu einer unsichtbaren Bedrohung, der der Betroffene machtlos gegenüber steht. Er geht psychisch unter, wenn er nicht ausreichend stabil ist.
Die Weitergabe sensibelster Mitteilungen an Dritte ist körperlicher Nacktheit gleichzusetzen, weshalb der Begriff der seelischen Vergewaltigung aus Sicht eines Betroffenen angemessen scheint.

Die Schweigepflicht nicht einzuhalten bedeutet im übertragenen Sinne, die Seele seines Patienten mit voller Wucht frontal gegen eine Wand zu fahren. Der Schaden kann für den Betroffenen erheblich sein. Angefangen vom Erleben tiefer Trauer, der Erkrankung an einer Depression, dem Zufügen von Selbstverletzungen und möglicher Suizidalität bis hin zum Zerbrechen von Lebenspartnerschaften ist vieles möglich.

Weitere Folge erfahrenen Missbrauchs kann der Vertrauensverlust einer ganzen Berufsgruppe gegenüber sein. Wessen Zutrauen in einer Therapie verletzt wurde, der wird sich kaum so schnell erneut behandeln lassen; mit fatalen Folgen für die eigene Gesundheit.

Aus diesem Grund heraus erscheint es mehr als nötig, sich auch mit den strafrechtlichen und zivilrechtlichen Verjährungsfristen der Verletzung von Privatgeheimnissen zu befassen. Auch das ist überfällig, um eine Behandlung und die Vertrauensstellung des Behandelnden glaubwürdig und ausreichend sicher erscheinen zu lassen.

Verjährungsfristen bedeuten nicht nur Opferschutz, sie stärken auch Patientenrechte.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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