Nicht attraktiv genug
Lehrkräftemangel in Bochum hat auch lokalpolitische Gründe

An 11 Universitäten in NRW werden Lehrer und Lehrerinnen ausgebildet. Unter anderem an der Ruhr-Universität in Bochum. Eigentlich sollten sich genug Absolventen entscheiden in Bochum zu bleiben, um an den Schulen dort zu unterrichten. Doch die Stadt und die städtischen Schulen sind nicht attraktiv genug. Also herrscht auch in Bochum Lehrkräftemangel.

Laut Bezirksregierung Arnsberg fehlen an den Bochumer Schulen aktuell fast 60 Lehrerinnen und Lehrer (Radio Bochum 26.09.22). Um Ausfälle durch Krankheit, Schwangerschaft und anderen Gründen jederzeit ausgleichen zu können, sollte die Lehrerversorgung an den Schulen bei 105% liegen. An Bochumer Grund-, Förder- und Berufsschulen liegt das Versorgungsdefizit im Moment bei 7 Prozentpunkten, bei Gesamt- und Realschulen sind es 6%P. Etwas entspannter stellt sich die Lage bei Hauptschulen, Sekundarschulen, Berufsschulen und Weiterbildungskollegen dar, dort sind es bis zu 5%P (WAZ vom 20.07.22). An den Gymnasien in Bochum wie in NRW gibt es dagegen – mit Ausnahme von Mangelfächern wie Mathematik, Naturwissenschaften, Informatik, Technik, Kunst und Musik – ein Überangebot an Lehrer*innen (Lehrermangel! Allein in NRW sind schon 4.400 Stellen an Schulen unbesetzt).

Lehrerkräftemangel hat besonders in prekären Stadtteilen fatale Auswirkungen

Besonders schlimm ist die Lage derzeit an den Grundschulen. Dabei ist an einigen Schulen das Problem erheblich größer als bei anderen. Bei manchen Grundschulen fehlt jede vierte Lehrkraft. Das liegt oft am Ruf der Schulen. Liegen die Schulen in prekären Stadtteilen mit sehr heterogener Schülerschaft, in Schulgebäuden deren Zustand und Ausstattung deutlich zu wünschen übriglässt, bewerben sich auf Lehramtsstellen dort noch deutlich weniger Lehrer und Lehrerinnen als sonst schon.

Es kommt zu einem Teufelskreis. In Stadtteilen, die von Verelendung und Verwahrlosung bedroht sind, ist der Lehrkräftemangel besonders groß, und damit das Risiko hoch, dass die Kinder ganz oder teilweise gar nicht mehr ordnungsgemäß beschult werden können. Da, wo gute Schulen und Bildung am nötigsten wären, ist der Mangel am größten. Keine Lehrer*innen, keine guten Schulen und Bildung und damit für die Kinder keine Chancen, Perspektiven und soziale Teilhabe. An Schulen, in denen Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit den Alltag prägen, wollen aber wiederum keine Lehrer und Lehrerinnen unterrichten. Und so verschärft sich die Lage immer weiter.

Bochum schafft es nicht Lehramtsstudierende in der Stadt zu halten

Grundübel des Lehrkräftemangels ist sicher, dass das Land über Jahrzehnte nicht genug Lehrer und Lehrerinnen ausgebildet hat, da der Bedarf an Lehrkräften dramatisch unterschätzt wurde. Doch eigentlich sollte Bochum der Mangel weniger betreffen als andere Städte, denn die Stadt ist eine der Orte in NRW, an dem die zukünftigen Pädagogen ausgebildet werden. 5 Jahre dauert ein Lehramtsstudium bis zum Masterabschluss, 18 Monate Vorbereitungszeit schließen sich an. Eine lange Zeit, die die Studierenden einen großen Teil ihrer Zeit zum Studium und Referendariat in Bochum verbringen oder im Idealfall sogar in der Stadt wohnen. Anzunehmen wäre, wenn den Studierenden die Stadt und die Arbeitsbedingungen in den Schulen der Stadt gut gefallen, setzen sie alles daran in Bochum zu bleiben. Doch das sehen viele offenbar anders und verlassen Bochum nach dem Staatsexamen nur zu gerne. Entsprechend ist der Mangel an Lehrkräften auch in Bochum kritisch und nur wenig dramatischer als in den anderen Städten des Ruhgebiets.

Zu schlechte Arbeitsbedingungen

Das hat besonders zwei Gründe, die Lebensqualität in der Stadt ist nicht hoch genug und die Arbeitsbedingungen sind an vielen Bochumer Schulen auch nicht die besten. Baulicher Zustand, Ausstattung, Digitalisierung sowie Schulorganisation sind oft schlecht. Dazu ist die Lernsituation an manchen Schulen sehr herausfordernd. Das gilt besonders für solche in Stadteilen, in denen den Schüler*innen grundlegende deutsche Sprachkenntnisse fehlen und die Eltern den Kindern mangels eigener Schulbildung kaum helfen können.

Über Jahrzehnte vernachlässigten Stadt und Politik die städtischen Schulen und trafen eklatante Fehlentscheidungen. So schloss man 2012/2013 noch Grundschulen (Falsche Grundschulschließungen kosten die Stadt 50 Mio. Euro), die heute fehlen. Jetzt will die Stadt in jedem Stadtbezirk eine neue Grundschule bauen. Die Pläne kommen aber nicht voran. Derweil kämpfen die bestehenden Grundschulen mit zu vielen Kindern und zu vollen Klassen.

Ebenfalls fehlen an vielen Schulen Sporthallen, die Lehrschwimmbecken sind häufig marode, an manchen Schulen unbenutzbar. Immer noch verfügen nicht alle Schulen über einen Glasfaseranschluss, nur wenige über ein flächendeckendes schnelles WLAN-Netz. Dass Schule und Bildung bei den regierenden Parteien SPD und Grüne nie eine Lobby hatten, sieht man vielen Schulen in Bochum an.

Fehlende Lebensqualität

Hinzu kommen die Mängel bei der Entwicklung der Stadt. Das ÖPNV-Netz im Ruhrgebiet ist schlecht. Ein flächendeckendes Netz sicherer Radwege gibt es in Bochum immer noch nicht. Die Straßen und Plätze stellen sich überwiegend grau und trostlos dar. Viele Stadtteilzentren sind ausgestorben, statt lebendigen Stadtteilplätzen findet man nur öde Parkplätze vor. Der Niedergang der Innenstädte von Wattenscheid und Bochum ist unübersehbar. Die City sieht beliebig aus. Attraktivität, Flair und Ambiente sucht man vergeblich. Nur das Bermuda3Eck ist beliebt und zieht jeden Abend Menschen aus dem ganzen Ruhrgebiet in das Stadtzentrum. Mangelnde Instandhaltung, Fehlplanungen, Sauberkeit und Ordnung trüben das Stadtbild zusätzlich.

In Konkurrenz zu anderen deutschen Großstädten hat Bochum in Sachen Stadtentwicklung und Lebensqualität den Anschluss verpasst. Winkt den in Bochum frisch ausgebildeten Lehrern und Lehrerinnen eine Stelle außerhalb des Ruhgebiets, so schmerzt es sie regelmäßig wenig Bochum zu verlassen. Der Wegzug wird oft als Verbesserung empfunden.

Der Lehrkräftemangel in Bochum hat also ebenfalls lokalpolitische Ursachen. Der Stadt fehlt es an der erforderlichen Attraktivität um die Menschen zu halten. Gesuchte hochqualifizierte Menschen wie Lehrer und Lehrerinnen wollen in modernen Städten mit höchster Lebensqualität wohnen und an Schulen arbeiten, die sich im Topzustand befinden und bestens ausgestattet sind. Zu diesen Städten gehört Bochum bisher nicht.

Nur mit hochmodernen Schulen mit bester Ausstattung und hoher Lebensqualität kann die Stadt Lehrkräfte gewinnen

Den über Jahrzehnte entstandenen Rückstand bei der Stadtentwicklung aufzuholen wird kurz- und mittelfristig kaum möglich sein. Die Stadt kann in kürzerer Frist allerdings deutlich mehr für ihre Schulen tun. Das Ziel muss die Schaffung hochmoderner Schulen mit bester Ausstattung sein. Dies ließe sich schneller erreichen und würde auch den Schülern und Schülerinnen sehr zu Gute kommen. Um die Lehrer*innen von Verwaltungstätigkeiten zu entlasten, könnte, wie von den STADTGESTALTERn bereist 2019 vorgeschlagen, die Stadt die Schulen zudem mit Schulmanagern ausstatten, die unter anderem die Beschaffung von Ausstattung, den Betrieb der Schulgebäude, die Digitalisierung sowie das schulische Berichtswesen organisieren (Modellprojekt für bessere Grundschulen).

Lokalpolitische Maßnahmen, die geeignet sind kurz- bis mittelfristige Lehrkräfte zu gewinnen, gibt es sonst nur wenige. Einige Kommunen zahlen Prämien, andere bieten Lehramtsstudenten Stipendien an, deren Annahme dazu verpflichtet einige Jahre vor Ort als Lehrkraft zu arbeiten. Wieder andere Gemeinden versuchen Lehrkräfte mit vergünstigtem Wohnraum in guten Wohnlagen zu locken. Der Aufwand für solche Maßnahmen ist jedoch hoch. Fraglich ist, wie viele Lehrkräfte sich damit wirklich zusätzlich gewonnen lassen und wie viele diese Angebote annehmen, aber auch ohne Anreize in die Stadt gekommen bzw. dort geblieben wären.

Kurzfristig wird die Stadt die Mangellage also nicht  beseitigen können. Trotzdem muss sie jetzt aktiv werden und alles tun, um die Attraktivität von Schulen und Stadt deutlich zu erhöhen, damit sich zumindest auf lange Sicht genug Lehrkräfte für die Bochumer Schulen gewinnen lassen..

Die STADTGESTALTER

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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