Klinik für aktive Sterbehilfe in Den Haag öffnet – psychisch Kranke außen vor

3Bilder

In den Niederlanden, so war am 07.02.12 aus der WAZ zu erfahren, wird am 1. März diesen Jahres unter dem Namen „Lebensendeklinik“ die erste Klinik für aktive Sterbehilfe eröffnet.
Sie kann von Patienten aufgesucht werden, deren Arzt den dringenden Wunsch nach aktiver Sterbehilfe nicht erfüllt und damit der Selbstbestimmung des Patienten am Ende des Lebens nicht entspricht. Jedes Ersuchen würde geprüft, die Hilfe entweder in der Klinik oder zu Hause geleistet.

Während aktive Sterbehilfe in Deutschland noch immer strafbar ist, sei sie in den Niederlanden seit 2002 unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich erlaubt. Der Patient müsse unerträglich leiden, aussichtslos krank sein und ausdrücklich um Sterbehilfe gebeten haben, heißt es.
Hilfe zur Selbsttötung von psychiatrischen Patienten und nicht todkranken Menschen mit Todeswunsch bliebe hingegen strafbar.

Man mag zu aktiver Sterbehilfe stehen, wie man will. Die Einrichtung einer solchen Klinik und die Bestimmungen, unter denen Hilfe zur Tötung erlaubt ist, führen jedoch erneut an ein Thema heran, mit dem man sich offenbar nicht nur in Deutschland nicht ausreichend auseinandersetzen mag:
das Leiden des psychisch kranken Menschen unter einer Erkrankung, deren Heftigkeit, Schwere und Nachhaltigkeit noch immer völlig unterschätzt wird.
Wer unerträglich, anhaltend oder ständig wiederkehrend z.B. an einer Depression erkrankt ist, die Auswirkungen auf die Funktionen des Körpers mit sich bringt, hat irgendwann unter Umständen nur noch den Wunsch zu sterben, weil er einfach nicht mehr kann. Ihm aber spricht man im Gegensatz zu anderen Erkrankungen das Recht auf ein würdiges und selbstbestimmtes Ende ab.

Wer nie erlebt hat, wie sich Depressionen anfühlen, wie sich der Körper zusehends unter der Erkrankung erschöpft, weil die Seele als Motor des Lebens immer wieder ausfällt, wer nie erlebt hat, wie sich durch die Erkrankung und die Änderung des Wesens ein Leben in einer Gemeinschaft schmerzhaft verändert und ein Miteinander in der Gesellschaft zusehends erschwert oder nicht mehr möglich werden lässt, kann sich kaum anmaßen, über die „Erträglichkeit oder Unerträglichkeit des Leidens“ Betroffener zu urteilen.

Wer nach langer und sehr schwerer Leidenszeit wirklich nicht mehr kann und gehen möchte, den sollte man auch gehen lassen können. Psychisch erkrankt sind schließlich nicht nur junge Menschen, die noch viel Leben vor sich haben könnten. Es trifft auch ältere und alte Menschen, die aufgrund ihrer Erfahrungen den Wert und die Bedeutung des Lebens ausreichend beurteilen können, um ihre Entscheidung zu treffen.
Sie grundsätzlich von der Möglichkeit begleiteten Sterbens in behüteter oder vertrauter Atmosphäre auszusperren, nur weil ihr Leiden nicht in die Kategorie "sterbenswürdiger Erkrankungen" eingruppiert wird, ist eine Form der Stigmatisierung, da noch immer die Meinung vorherrscht, es handele sich nur um eine vorübergehende „Laune“ und der psychisch Kranke sei nicht wirklich krank.

„Wir Ärzte sind für das Leben“ ist ein Satz, der sich, einmal gehört, für immer eingebrannt hat. Natürlich gibt es für psychisch kranke Menschen Hilfe und natürlich sollte es immer erst einmal um Hilfe gehen. Natürlich ist es Wunsch und Aufgabe des Arztes, dem leidenden Menschen in ein lebenswertes Leben zurück zu helfen, da eine psychische Erkrankung nicht grundsätzlich eine Erkrankung auf Dauer sein muss.

Aber nicht jeder kann oder möchte diese Hilfe in Anspruch nehmen, vielen hat sie nicht helfen können, obwohl sie sie in Anspruch nahmen. Medikamente sind oft mit Nebenwirkungen verbunden, die zu neuen gesundheitlichen Problemen führen. Psychotherapien überschätzen sich oft selbst bei der Behandlung kranker Menschen. Sie können helfen oder lindern, sind aber leider auch nicht immer wirksam. Sie können zu neuen Schwierigkeiten führen und durchaus auch Schäden hinterlassen.

Eine psychotherapeutische Behandlung bedeutet außerdem, in einer Phase an sich selber arbeiten zu müssen, in der dazu die Kraft fehlt. Es macht sich kaum jemand bewusst, was es bedeutet, sich auf die Behandlung einzulassen. Es kommt durchaus vor, dass sich Menschen töten, obwohl sie Psychopharmaka einnehmen und es kommt vor, dass sich Menschen töten, obwohl sie in Behandlung sind – oder weil ! sie in Behandlung waren oder sind. Es ist die Unkalkulierbarkeit seelischen Erlebens und Verarbeitens, die eine Behandlung schwer macht.

Die Botschaft, die die Klinik in den Niederlanden eigentlich nur randständig vermittelt, macht also auch jenseits des Oberthemas Sterbehilfe sehr betroffen. Der Todeswunsch als Folge einer psychischen Erkrankung ist nicht zu unterschätzen. Er besteht. Den von ihm Betroffenen den Zugang zu aktiver Sterbehilfe grundsätzlich zu verwehren, ist neben der Tatsache, dass der Erkrankte sich in der Ernsthaftigkeit des Leidens nicht wahrgenommen fühlt, aus zweierlei Gründen ein unglücklicher Weg, der ein ungutes Gefühl erzeugt.

Zum einen wird er die Zahl der Selbsttötungen nicht reduzieren, die weiter im Verborgenen erfolgen müssen, ohne dass ein Abschiednehmen oder eine Begleitung durch nahestehende Menschen möglich ist. Wem das Sterben dürfen verweigert wird, der wird sich weiterhin aufhängen, sich aus Fenstern oder vor die Züge stürzen und auf diese Weise Unbeteiligte traumatisieren.
Es bleibt dadurch ein unwürdiges Sterben, verdrängt an den Rand des Bewusstseins einer Gesellschaft, in der, selbst wenn man alt ist, nicht gestorben werden darf, weil der medizinische Fortschritt im Idealfall ein immer längeres Leben ermöglicht, so dass die Auseinandersetzung mit dem Tod verdrängt wird. In einer Gesellschaft, die immer älter wird, wird dem Menschen verordnet, am Leben zu bleiben. Es darf möglichst nicht gestorben werden und zu früh schon gar nicht.

Zum anderen aber macht es sehr betroffen, weil durch die grundsätzliche Ablehnung aktiver Sterbehilfe für psychisch kranke Menschen die Chance vertan wird, mit denen ins Gespräch zu kommen, für die oft überhaupt erst einmal wichtig ist, ganz offen über die Sehnsucht nach dem Tod zu sprechen. Der dringende Wunsch, zu sterben, verknüpft sich in oft fataler Weise mit dem Wissen, niemanden zu haben, mit dem man ernsthaft sprechen kann, ohne zu verstören, oder er verknüpft sich mit der Angst, in eine geschlossene Psychiatrie gesperrt zu werden, die dem seelischen Erleben nicht selten den Todesstoß versetzt. Beides zusammen verstärkt erst recht den Drang, endlich zu gehen und damit den inneren Konflikt, der den Betroffenen umklammert, noch um ein Vielfaches.

Warum ihn also nicht den Weg der Bitte um aktive Sterbehilfe gehen lassen, um ihm auf diesem Weg bewusst entgegen gehen zu können? Nicht um ihm die Tötung auch tatsächlich anzubieten, sondern um ihm zumindest noch einmal den Weg abschneiden, den er sonst alternativ vielleicht bereits gegangen wäre. Eine Klinik, die Hilfe zur Selbsttötung anbietet, prüft den Wunsch. Es gibt Ansprechpartner.

An einem Gleis wird jedoch in der Regel niemand stehen, mit dem sich über den unbändigen Drang zu sterben dann doch noch einmal sprechen lässt.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

12 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.