Viel zu wenige Autos und Räder
In Bochum besteht bei Car- und Bike-Sharing immenser Nachholbedarf

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Im Vergleich zu modernen Großstädten fehlen in Bochum mindestens 400 Car-Sharing-Autos und 5.000 öffentliche Leihfahrräder. Die Stadt hat die Sharing-Entwicklung verschlafen. Es gibt keinen Car-Sharing-Aktionsplan. Es fehlt ein Konzept zum systematischen Ausbau des Netzes von Fahrradverleihstationen. Auch mit dem Aufbau von Mobilstationen und -punkten ist die Stadt überfordert. Die STADTGESTALTER haben sich die Defizite und deren Ursachen näher angeschaut.

Noch ganze 20 Car-Sharing-Autos von 3 Anbietern an 12 Standorten gibt es zukünftig in der Stadt. Gerade erst hat der Anbieter Greenwheels seinen Rückzug aus Bochum angekündigt, davor hatte bereits Citee Cars die Segel gestrichen (WAZ: vom 28.07.22). Während in Köln 1,42 Car-Sharing-Autos pro 1.000 Einwohner*innen gezählt werden, in Freiburg 1,59 und in Karlsruhe sogar 3,23 (CarSharing-Städteranking 2019) sind es in Bochum gerade mal 0,05.

Warum funktioniert Car-Sharing in Bochum bisher nicht

Aus zwei Gründen ist Car-Sharing in Bochum und dem Ruhrgebiet bisher keine Erfolgsgeschichte. Zum einen ist das eigene Auto, das man sich leistet, für viele immer noch Statussymbol. Viele Menschen tun sich damit schwer ein Auto bei Bedarf zu leihen statt es zu besitzen und vorzuzeigen. Zweitens tut die Stadt nichts Nennenswertes um Car-Sharing zu fördern.

"In Gegenden, in denen jeden Samstag das heiß ersparte Auto poliert wird, hat es Car-Sharing schwer", so die Erfahrung der Car-Sharing-Anbieter. “Car-Sharing nutzen insbesondere moderne, aufgeschlossene Menschen um die 30, die an Innovationen interessiert sind.” Das oft niedrige Einkommensniveau im Ruhrgebiet kommt als Problem hinzu. (Das Ruhrgebiet, Problemregion für Car-Sharing-Anbieter).

Doch in Bochum gibt es eine zweite Ursache, warum Car-Sharing bisher kaum funktioniert, die Stadt besitzt anders als die Kommunen, in denen Car-Sharing erfolgreich ist, keinen Plan zur Förderung von Car-Sharing (Wie Kommunen CarSharing fördern - ein Überblick). Klimaschutz und Mobilitätswende existieren in Bochum nur auf dem Papier. Das Wort Car-Sharing wird von der Politik oft und gerne benutzt, letztlich bleibt es aber bei bloßem Aktionismus, ohne spürbare Auswirkungen auf die reale Welt..

Bochum bräuchte 400 Car-Sharing-Autos

Sind in Städten wie Freiburg, Karlsruhe oder Bremen flächendeckend Car-Sharing-Stellplätze zu sehen, sind diese in Bochum nicht wahrnehmbar. Die Stadtverwaltung behindert deren Ausweisung eher als dass sie diese fördert. Der Car-Sharing-Anbieter Stadtmobil will nach dem Rückzug von Greenwheels 11 neue Leihautos anbieten, hat diese sogar schon angeschafft, aber die Stadt steht bei der Genehmigung der Standorte auf der Bremse (WAZ vom 28.07.22). Statt mageren 20 oder vielleicht demnächst 31 Autos in Bochum finden interessierte Kunden in Bremen im Stadtgebiet 500 Car-Sharing-Autos an 130 Stationen. Das wären hochgerechnet auf Bochum: 320 Autos an 80 Stationen, In Freiburg sind es 280 Autos an 124 Standorten, das wären für Bochum: 450 Autos an 200 Standorten.

Ein Car-Sharing-Auto 16 private PKW

Bremen geht davon aus, dass ein Car-Sharing-Auto 16 private PKW ersetzt, die nicht neu angeschafft oder abgeschafft werden. Bei 400 Car-Sharing Autos für Bochum ergäben sich damit 6.400 weniger Autos (3,1% der in Bochum zugelassenen Privat-PKWs), die aktuell die Straßen zuparken und sie verstopfen (Analyse Auswirkung von Car-Sharing in Bremen).

Bochum fehlen Car-Sharing-Stellplätze und Mobilitätsstationen

Es würde sich also auch in Bochum lohnen Car-Sharing zu fördern. Das hieße zunächst, im Stadtgebiet flächendeckend Mobilpunkte und Mobilstationen aufzubauen, an denen Car-Sharing-Stellplätze ausgewiesen werden.

Bereits 2013 hat der Umweltausschuss des Stadtrats beschlossen (Beschluss 20132502), dass die Stadt ein Konzept zur Einrichtung von Mobilpunkten aufstellt. (Maßnahme Mob 12: Konzept zur Einrichtung von Mobilpunkten: Räumliche Verknüpfungspunkte schaffen, Klimaschutzteilkonzept - Klimafreundlicher Verkehr Bochum) Diese Konzept, liegt bis heute, 2022, nicht vor. Dabei hatte der VRR zwischenzeitlich sogar schon 21 Standorte für Mobilitätsstandorte für Bochum vorgeschlagen und eine grobe Vorplanung hinsichtlich Standorten, Ausstattung und Kosten ausarbeiten lassen (Steckbrief-Bochum (21 Mobilstationen)). Zudem wurde die Ausarbeitung des Konzeptes auf Antrag von SPD und Grünen 2021 pressewirksam erneut beschlossen (Antrag 20210638). Die Verwaltung zeigte sich jedoch in nunmehr fast 9 Jahren unwillig bzw. unfähig das Konzept auszuarbeiten und vorzulegen.

Andere Städte sind viel weiter als Bochum

Andere Städte wie Bremen verfügen derweil über ein vorbildliches, mehrfach ausgezeichnetes flächendeckendes Netz an Mobilstationen und Mobilpunkten (Mobilpunkte Bremen). Auch Essen hat bereits 5 Mobilstationen in Betrieb genommen (Mobilstationen Essen). In Bochum dagegen gibt es bisher nur zwei kleine Mobilpunkte, die die VBW in ihren Wohnsiedlungen Hustadt und Flüssesiedlung eingerichtet hat (Mobilpunkte Bochum).

Was sind Mobilstationen?


Mobilstationen sind nicht mehr als Parkplatze, die idealer Weise an Umsteigepunkten des ÖPNV eingerichtet werden, auf denen spezielle Stellplätze für Car-Sharing-Fahrzeuge ausgewiesen werden und ein Teil der Stellplätze mit E-Ladesäulen ausgerüstet wird. Für Fahrräder kommen, herkömmliche Abstellanlagen hinzu sowie gesonderte Abstellplätze für Fahrradverleihsysteme, für (Leih-)Lastenräder und Abstellflächen für E-Roller und E-Scooter. Dazu kommen Informations- und Hinweistafeln sowie Automaten zur Nutzung der verschiedensten Verkehrsangebote sowie ein mit Sitzmöbeln ausgestatteter mindestens teilweise überdachter Wartebereich. Bei größeren  Stationen kann je nach Bedarf auch ein Taxistand, eine Paketstation, ein Geldautomat sowie ein Café oder Kiosk zum Angebot gehören.

Visualisierung Mobilitätsstation

In Abhängigkeit von ihrer Größe unterscheidet man Mobilstationen, Mobilpunkte und Mobilpünktchen. In allen Fällen dienen die Mobilpunkte der Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsmittel und dem schnellen Umstieg zwischen diesen. Trotzdem es die unterschiedlichsten Ausarbeitungen von VRR, Land und verschiedensten Städten gibt wie Mobilitätsstationen aufzubauen sind (Handbuch Mobilstationen NRW, Verbundweites Konzept für die Errichtung von Mobilstationen), erweist sich die Bochumer Verwaltung bisher nicht in der Lage ein Konzept für die Stadt auszuarbeiten, wo im Stadtgebiet welche Stationen aufgebaut werden sollen.

Ohne ein flächendeckendes Netz an Mobilpunkten kann Car-Sharing in Bochum jedoch nicht funktionieren. Car-Sharing-Fahrzeuge müssen sichtbar überall in der Stadt verfügbar sein. Städte, die keine Car-Sharing-Parkplätze ausweisen, gewinnen auch keine Car-Sharing-Anbieter. Mit einem Angebot mit nur wenigen Standorten können die Car-Sharing-Anbieter nicht die zum wirtschaftlich erfolgreichen Betrieb erforderlichen Zahlen an Kunden gewinnen.

Mobilitäts-Smartcard

Car-Sharing ist weiterhin nur dann attraktiv, wenn der Umstieg von anderen Verkehrsmitteln auf das Leihauto möglichst einfach ist. Insbesondere das einfache in Betrieb nehmen des Fahrzeugs spielt dabei eine große Rolle. Mit der gleichen Smartcard mit dem ÖPNV fahren, das Car-Sharing-Auto oder das Leihfahrrad freischalten, gehört heute zum Standard erfolgreicher Sharing-Systeme u. a. in Hannover, Frankfurt RheinMain, Düsseldorf und Münster. Bereits 2013 hat der Umweltausschuss des Stadtrates die Einführung einer entsprechenden Karte beschlossen, doch umgesetzt wurde auch dieser Beschluss von der Verwaltung nicht (Maßnahme Mob 11: Smartcard: Mobilität aus einer Hand gestalten, eine Karte für alles, Klimaschutzteilkonzept - Klimafreundlicher Verkehr Bochum).

Im Klimaschutzteilkonzept Verkehr heißt es zur Mobilitäts-Smartcard: “Vernetzte Mobilität ist nur dann komfortabel nutzbar, wenn zur Ausleihe bzw. Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel neben der räumlich gebündelten Infrastruktur ein gemeinsames Abrechnungssystem verfügbar ist, d.h. dass man nur eine Karte für die Benutzung des ÖV sowie für die Ausleihe von CarSharing-Fahrzeugen und Leihfahrrädern oder Pedelecs usw. benutzen muss.” Die Erkenntnis, dass eine solche Karte oder eine App-Version der Karte, für attraktiven Nahverkehr in Verbindung mit Sharing-Systemen erforderlich ist, sollte also bei Verwaltung und Bogestra angekommen sein. Geben tut es diese Karte trotzdem bis heute nicht. Verwaltung, Bogestra und VRR erweisen sich auch hier als unfähig, erfolgreiche Angebote, die es bereits seit Jahren in anderen Städten gibt, auch den Menschen in Bochum und dem Ruhrgebiet anzubieten.

Fahrradverleihsystem ist stadtweit unattraktiv

Auch beim Bike-Sharing hinkt Bochum hinterher. Zwar gibt es mit Metropolradruhr ein qualitativ hochwertiges Radverleihsystem in der Stadt doch mit 550 Fahrrädern sowie Leihstationen, die sich im Wesentlichen auf das Gebiet der Innenstadt und den Campus von Ruhr-Universität und Hochschule konzentrieren, ist das System viel zu begrenzt um stadtweit attraktiv zu sein.

Das Institute for Transportation and Development Policy (ITDP) hat errechnet, dass für ein erfolgreiches Radverleihsystem in dicht besiedelten, urbanen Gebieten 10-30 Räder pro 1.000 Einwohner*innen erforderlich sind und 10-16 Verleihstationen pro Quadratkilometer (Bike Share Planungsleitfaden). Hochgerechnet auf Bochum benötigt die Stadt also ein Angebot von 3.700 - 11.100 Rädern und mindestens 1.400 Leihstationen. Für ein attraktives flächendeckendes Radverleihangebot wäre also fast die zehnfache Anzahl an Leihrädern anzustreben (5.000 Leihräder). Trotz steigender Ausleihzahlen stagniert jedoch die Zahl der Leihräder (WAZ vom 02.09.19). In den meisten Bochumer Stadtteilen fehlen bis heute Leihstationen. In den meisten Vierteln gibt es kaum mehr als eine Station, vielleicht mal bis zu fünf, selten mehr.

Ausdehnungen des Radverleihsystems wurde 2013 beschlossen, aber nicht umgesetzt

Dabei hat die Stadt auch in Sachen Radverleihsystem bereits 2013 eine weitere Ausdehnung des Verleihnetzes auf alle Stadtteile beschlossen (Maßnahme Mob 14: metropolradruhr-Stationen in die Stadtteile ausweiten Klimaschutzteilkonzept - Klimafreundlicher Verkehr Bochum). Ambitionierte Bemühungen den Beschluss umzusetzen sind, nachdem nunmehr fast 9 Jahre vergangen sind, jedoch nicht zu verzeichnen.

Fünf Anforderungen an ein gut genutztes Radverleihsystem nennt das IDTP (Top-5-Bike-Share-Elements), nur zwei kann das Radverleihsystem in Bochum erfüllen, die Qualität der Leihräder ist hoch und die Leihstationen sind einfach zu nutzen. Drei Kriterien werden hingegen nicht erfüllt: Die Dichte der Leihstationen ist ungenügend, es gibt zu wenige Leihräder pro Einwohner*innen und das Stadtgebiet ist weit von einer flächendeckenden Abdeckung mit Leihstationen entfernt. Eine sechste Anforderung wird ebenfalls nicht erfüllt, die Radverkehrsinfrastruktur ist mangelhaft, da der Ausbau über Jahrzehnte von Verwaltung und Stadtpolitik boykottiert wurde.

Bochum kommt beim Ausbau des Radverleihsystems seit Jahren kaum voran, so gibt es auch keine ergänzende städtische Finanzierung zum Ausbau des Netzes an Verleihstationen. Dabei ist der Nutzen von attraktiven Radverleihssystemen hoch, wie die STADTGESTALTER bereits 2013 anhand von Beispielen aus anderen Städten dargestellt haben (Bochum als Radfahrmetropole?). Fahrradverleihsysteme helfen PKW-Verkehr zu verlagern und zusätzliche Personen auch über die Verleihsysteme hinaus an eine Fahrradnutzung im Alltag heranzuführen (Position ADFC - öffentliche Leihfahrräder). “Leihfahrräder bieten viele Vorteile: Sie geben denjenigen, die kein eigenes Fahrrad besitzen, die Chance trotzdem in die Pedale zu treten. Sie helfen, den Autoverkehr zu reduzieren und motivieren die Menschen dazu, Sport zu treiben. Ein breites Angebot an Leihfahrrädern kann außerdem den ÖPNV oder das Carhsharing ergänzen und sorgt für einen umweltfreundlichen Verkehr in den Städten” (Leihfahrräder: Wie Städte das Angebot richtig steuern!).

Mobilitätswende scheitert insbesondere an Unwillig- bzw. Unfähigkeit der Verwaltung

Car- wie Bike-Sharing könnte also auch in Bochum einen wichtigen Beitrag zur Mobiliätswende und zum Klimaschutz leisten und Menschen, die sich lieber ein entsprechendes Fahrzeug je nach Bedarf leihen möchten, statt sich ein eigenes Auto oder Rad anzuschaffen, dies ermöglichen. Zudem ließe  sich insbesondere durch Bike-Sharing das ÖPNV-Angebot hinsichtlich des Weges zwischen Startpunkt und Haltestelle sowie Haltestelle und Ziel sinnvoll ergänzen und verbessern.

Die Stadtpolitik hat dies durchaus erkannt und bereits 2013 die für einen Ausbau der Car- und Bike-Sharing-Infrastruktur erforderlichen Beschlüsse getroffen. Verwaltung und Bogestra haben diese jedoch bis heute nicht umgesetzt. Ob die Stadt unfähig oder unwillig ist, die getroffenen Beschlüsse umzusetzen, mag dahinstehen. Wichtiger ist, dass die Politik endlich dafür sorgt, dass die Verwaltung, die ihr vom Stadtrat übertragenen Aufgaben fristgerecht erfüllt. Die demonstrative Langsamkeit mit der die Verwaltung Maßnahmen zur Mobilitätswende und zum Klimaschutz umsetzt, ist unakzeptabel. Diese Gemächlichkeit zeigt sich nicht nur beim Ausbau der Sharing-Infrastruktur, sondern ebenso bei der Aufstellung des neuen Klimaschutzkonzeptes wie des Radverkehrskonzeptes und den Planungen zum Radschnellweg (RS1).

Die Verwaltung ist aufgefordert unverzüglich das bereits 2013 beschlossene Konzept zum Aufbau eines Netzes von Mobilstationen bzw. -punkten vorzulegen und umzusetzen. Ebenso ist die ebenfalls 2013 beschlossene Mobilitäts-Smartcard umgehend einzuführen. In spätestens 3 Jahren sollte Bochum über ein flächendeckendes stadtweites Angebot von Car-Sharing-Stellplätzen und Radverleihstationen verfügen.

Die STADTGESTALTER

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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