Historische Stunde im Landtag - Carina Gödecke leitete die Debatte in Düsseldorf am Tag der Parlamentsauflösung
Nicht jeder Politiker kann von sich behaupten, direkt und hautnah an historischen Ereignissen beteiligt gewesen zu sein. Carina Gödecke, Bochumer Landtagsabgeordnete in Düsseldorf, kann es. Denn sie leitete als 1. Vizepräsidentin des NRW-Landtages die entscheidende Sitzung am 14. März in Düsseldorf, die nicht nur das Aus der Rot-Grünen Minderheitsregierung bedeutete, sondern auch die Selbstauflösung des Parlaments nach sich zog. Als sie um 12.47 Uhr das Ergebnis der namentlichen Abstimmung von 90:91 Ja-zu- Nein-Stimmen bekanntgab, war klar: der Haushalt war durchgefallen. Wie Carina Gödecke den Tag erlebt hat, berichtete sie dem Stadtspiegel in einem Exklusiv-Interview:
In der Antike wurden die Überbringer schlechter Nachrichten gerne mal geköpft. Ein Unsitte, von der man heutzutage dann doch eher abgekommen ist, und so hatte Carina Gödecke auch keine üblen Sanktionen zu befürchten, als sie am 14. März im Düsseldorfer Landtag das negative Abstimmungsergebnis über den Einzelplan 03 des Innenministeriums und damit das Aus der Minderheitsregierung in NRW verkündete. Ganz kurz huschte sogar ein Lächeln über ihr Gesicht.
„Ich hab in diesem Moment Erleichterung verspürt“, so die Landtagsabgeordnete. „Nicht, weil ich die Minderheitsregierung als Belastung empfunden habe – wir haben schließlich bewiesen, dass auch in Deutschland eine Minderheitsregierung funktioniert – sondern, weil wir jetzt vor die Wähler treten und für klare Verhältnisse sorgen können.“
Doch selbst für die erfahrene Politikerin war der 14. März alles andere als „business as usual“. Dabei deutete zu Wochenbeginn noch nichts daraufhin, dass sich kurz darauf die Ereignisse überschlagen würden. „Wir hatten am Montagnachmittag noch ein Gespräch mit der Linksfraktion zum Landeshaushalt und wollten uns am Donnerstag erneut zusammensetzen. Und auch die Gespräche mit der FDP waren terminiert“, so Carina Gödecke. „Parallel tauchte aber die Frage auf, was denn passiert, wenn Einzelpläne keine Mehrheit finden.“ Die Rechtsauskunft der Landtagsverwaltung war eindeutig: Fehlt die Zustimmung zu einem der Einzelpläne, ist damit der gesamte Haushalt abgelehnt.
Und so geriet die parlamentarische Welt, die bis dahin noch in Ordnung schien, einen Tag später aus den Fugen. „Wir hatten für Dienstagmittag eine Präsidiumssitzung anberaumt, um gut auf mögliche Szenarien der Abstimmung vorbereitet zu sein und Verhaltensgleichheit herzustellen.“ Als nach den morgendlich stattgefundenen Fraktionssitzungen durchsickerte, dass CDU, FDP und Linksfraktion alle Einzelpläne ablehnen würden, wurde es hektisch. Denn aus dem zuvor theoretisch diskutierten Problem würde ein praktisches. „Die Brisanz wurde sofort klar“ – und der Tag lang: Fraktionsvorsitzende und parlamentarische Geschäftsführer wurden durch das Präsidium informiert. „Damit wusste auch jeder um die politischen Konsequenzen.“
Was folgte, waren Gespräche und Besprechungen bis weit nach Mitternacht, ehe es am Mittwoch, 14. März, zum Showdown im Landtag kam. Und als hätte ein Drehbuchautor an der Inszenierung gedreht, stand der passenderweise auch noch um „High Noon“ ab 12 Uhr an. Damit war auch klar, dass Carina Gödecke die letzte Debatte der 15. Wahlperiode mit der namentlichen Abstimmung zu Haushalt des Innenministers leiten würde. Das tat sie, im Wissen um die Bedeutung dieser historischen Stunde, mit leichter Nervosität, aber mit all ihrer Erfahrung aus der langjährigen Arbeit als Parlamentarische Geschäftsführerin völlig ruhig und souverän.
Der Plenarsaal war in dieser entscheidenden Sitzung bis auf den letzten Platz gefüllt, kein Abgeordneter hatte sich entschuldigt. „Es herrschte eine kribbelige, aber nicht unangenehme Atmosphäre“, erinnert sich die Bochumer Landtagsabgeordnete, die sich innerlich schon auf eine hitzige Debatte vorbereitet hatte. Doch tumultartige Szenen blieben aus, und als es nach den Reden an die namentliche Abstimmung der 181 Abgeordneten zum ersten Einzelplan des Gesamthaushalts ging, war das Ergebnis keine große Überraschung mehr. Um 12.47 Uhr gab Carina Gödecke das Resultat bekannt: 91 Abgeordnete, und somit die gesamte Opposition aus CDU, FDP und Linken, stimmten geschlossen gegen den Haushalt. Die 90 Abgeordneten von Rot-Grün stimmten geschlossen dafür. Der Haushalt war damit durchgefallen, die Sitzung wurde unterbrochen, der Antrag auf Selbstauflösung beraten und beschlossen, und um 17.17 Uhr war die 15. Wahlperiode des NRW-Landtags vorzeitig beendet.
Abgeordnete ist Carina Gödecke damit nicht mehr, arbeitslos allerdings auch nicht, denn Vizepräsidentin ist sie weiterhin - und seit Donnerstag auch wieder Landtagskandidatin der SPD. Gewählt mit imposanten 97 Prozent. Im neuen Landtag wird sie mit ziemlicher Sicherheit wieder einen Platz nehmen – vielleicht sogar als neue Präsidentin.
Drei Fragen an: Carina Gödecke
Carina Gödecke, 1. Vizepräsidentin des NRW-Landtages
Thema: Auflösung des NRW-Landtages
1. Was war das für ein Gefühl, am 14. März in Düsseldorf zum entscheidenden Zeitpunkt die Sitzung zu leiten?
Ich war seit meiner Wahl zur Vizepräsidentin des Landtages nur vor zwei Sitzungen einige Minuten nervös: bei meiner ersten und jetzt bei dieser. Das war schon ein komisches Gefühl. Schließlich entscheidet man die Selbstauflösung eines Parlaments nicht mal eben in fünf Minuten. Und es war klar, dass etwas Historisches passieren würde, als ich die Sitzung um 12 Uhr übernommen hatte.
2. War die Entwicklung abzusehen?
Nein, das Scheitern der Haushaltsberatungen mit der anschließenden Konsequenz der Parlamentsauflösung kam definitiv überraschend. Wir haben die Tür nicht zugeschlagen. Wir haben mehrfach die Einladung an die Fraktionen von FDP und Linken ausgesprochen, gemeinsam mit uns einen zukunftsfähigen und verantwortungsvollen Haushalt 2012 für unser Land zu beschließen.
3. Wer regiert uns eigentlich momentan in NRW?
Die Regierung mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und den Ministern ist weiterhin im Amt. Kontrolliert wird sie vom Ständigen Ausschuss. Er wahrt die Rechte der Volksvertretung bis zum Zusammenschluss des neuen Landtages. Dem Ausschuss gehören die Mitglieder des Ältestenrates an. Vorsitzender ist Landtagspräsident Eckhard Uhlenberg, vertreten wird er durch mich als 1. Vizepräsidentin. Wichtig für die Bürger ist, dass Petitionen weiterhin gestellt werden sollen und können.
Autor:Andrea Schröder aus Bochum |
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