Gemeinsam- Gastkommentar von Sevim Dagdelen erschienen in der Tageszeitung "junge welt" am 15.02.2014

Linke-Liste für Europawahl. Gastkommentar

Von Sevim Dagdelen

Das Märchen »Des Kaisers neue Kleider« von Hans Christian Andersen ist ein Lehrstück, wie aus Sorge um Stellung und Ruf niemand die offensichtliche Wahrheit ausspricht. In Europa wird dieses Lehrstück nur allzu oft aufgeführt. Aus Anlaß der Europawahlen kommt es gar zu einem wundersamen Maskenball. Da wird aus EU-Kommissar Michel Barnier, der sich um die Wasserprivatisierung bemühte, der aufrechte Kämpfer für Regulierung. Da mutiert der Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz, vom bedingungslosen Unterstützer der verheerenden Europapolitik Angela Merkels zum Vorkämpfer für ein soziales Europa. Da wird eine EU, die vertraglich auf Aufrüstung und weltweite Militäreinsätze orientiert ist, im Programm der SPD zur globalen »Friedensmacht«. Die EU verwandelt sich also in eine Wunschmaschine für ein besseres Europa.

Allein, die Wirklichkeit sieht anders aus. Wie anders als »wenig demokratisch« ließe sich eine EU bezeichnen, die sich in Gestalt der EU-Kommission an einer autoritären Krisenpolitik im Süden Europas beteiligt? Sollte man die EU etwa nicht »neoliberal« nennen, wo doch eine Privatisierungsinitiative nach der anderen von ihr ausgeht, genannt seien nur einmal Wasser, Häfen und Eisenbahnen? Und kann man eine EU denn mit dem Zeichen des Friedens versehen, die alles tut, um weltweit das Geschäft mit dem Tod voranzutreiben, französische Militärmissionen in Afrika unterstützt und Flüchtlinge zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken läßt?

Die Linke muß sagen, was ist, und mit einer klaren linken EU-Kritik Flagge zeigen, um ihre Alternativen für ein soziales, friedliches und demokratisches Europa deutlich zu machen. Angesichts der neoliberalen Übermacht in der EU kann dies nur gemeinsam gelingen. 2009 gab es eine ausgewogene linke Ost-West-Liste für die Europawahlen mit Lothar Bisky und der engagierten Gewerkschafterin Sabine Wils an der Spitze. 2014 gibt es Pläne, dies radikal zu ändern. Auf den ersten aussichtsreichen acht Plätzen sollen sich allein sechs Kandidaten aus dem Osten befinden.

Man stelle sich vor, 2019 würden westliche Landesverbände aufgrund ihrer Mitgliederstärke eine Liste durchsetzen, auf der sich sechs Kandidaten aus den alten Bundesländern, die dem linken Flügel zuzurechnen sind, und noch zwei Mitglieder der Kommunistischen Plattform befinden. Es würde ein Aufschrei durch die Partei gehen. Zu Recht. Denn wer meint, hier einem neuen Zentralismus das Wort reden zu müssen, mit dem Argument, Regionen dürften keine Rolle spielen, der verkennt die Bedeutung föderaler Strukturen in Deutschland. Die Linke braucht eine ausgewogene Liste – und gerade angesichts der rassistischen Attacken auf die Freizügigkeit in Europa sollte sie einen Kandidaten mit Migrationshintergrund auf einem aussichtsreichen Platz berücksichtigen. Um Zeichen zu setzen.

Sevim Dagdelen ist Sprecherin der Fraktion Die Linke für Internationale Beziehungen im Bundesta
gQuelle: junge welt

Autor:

Christoph Nitsch aus Bochum

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