Flüchtlingsrat NRW und das Bleiberecht

Konferenz der Innenministerinnen: Umfassende Bleiberechtsregelungen sind erforderlich!

PRO ASYL, die Landesflüchtlingsräte und „Jugendliche ohne Grenzen“ fordern anlässlich der Innenministerkonferenz vom 1. bis 3. Dezember einen umfassenden Abschiebestopp sowie die sofortige Fortsetzung der Aufnahme Schutzsuchender aus Afghanistan.

Aufgrund der grassierenden Pandemie müssen die Innenministerinnen auf ihrer Konferenz einen generellen Abschiebestopp verhängen. Abschiebungen während der Pandemie sind unverantwortlich und gefährden Menschenleben. Insbesondere nach Syrien, Afghanistan und Äthiopien kann wegen der anhaltend katastrophalen politischen und wirtschaftlichen Lage nicht abgeschoben werden – in diesen Ländern herrschen Krieg und Terror.

Bleiberechtsregelungen umsetzen

Die Ampel-Koalition hat erfreulicherweise beschlossen, eine Bleiberechtsregelung zu schaffen. Das neue „Chancen-Aufenthaltsrecht“ will „Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen“ eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe ermöglichen, „um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen“ (Seite 138 Koalitionsvertrag). Aber: „Wir befürchten eine Abschieberitis einzelner Ausländerbehörden und Bundesländer, die ungeachtet der Pandemie und der kommenden Regelungen Fakten schaffen, wo
immer möglich. Dazu darf es nicht kommen“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. „Deshalb sollten sich die Länder auf der Innenministerkonferenz auf eine Vorgriffsregelung einigen, die dafür sorgt, dass niemand abgeschoben wird, bevor die neue Bleiberechtsregelung in Kraft tritt.“ Die Menschenrechtsorganisationen appellieren an Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und an Joachim Stamp, stellvertretender Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, ihre Kolleginnen von einer solchen Vorgriffsregelung zu überzeugen. Beide haben den Koalitionsvertrag mitausgearbeitet.
 
Abschiebestopp nach Afghanistan, Syrien und Äthiopien

Gemeinsam mit den Landesflüchtlingsräten und „Jugendliche ohne Grenzen“ appelliert PRO ASYL
anlässlich der IMK an die Länder, parteiübergreifend die Realitäten in Afghanistan, Syrien und
Äthiopien anzuerkennen. Es ist angesichts der Machtübernahme der Taliban unerlässlich, dass die
Innenministerinnen einen Abschiebestopp für Afghanistan erlassen. „Es reicht nicht aus, dass
Abschiebungen nach Afghanistan derzeit lediglich ausgesetzt sind. Es ist unabsehbar, wie lange die
Taliban an der Macht sein werden und ihre als „verwestlich“ geltenden Landsleute, die nach
Afghanistan abgeschoben werden, bei einer Rückkehr verfolgen“, betont Birgit Naujoks vom
Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen. Die Menschenrechtsorganisationen fordern einen offiziellen
Abschiebestopp im Sinne von § 60a Abs. 1 AufenthG, um Ausreisepflichtigen Sicherheit zu vermitteln.

„Die rund 30.000 afghanischen Staatsangehörigen, die hier leben und die in früheren Asylverfahren
keinen Schutz zugesprochen bekommen haben, brauchen jetzt ein gesichertes Bleiberecht“, ergänzt Jassin Akhlaqi von „Jugendliche ohne Grenzen“. „Nur mit einer langfristigen Perspektive können diese Menschen, unter denen viele junge Männer und Frauen sind, in Ruhe Arbeit finden, studieren oder eine Ausbildung absolvieren ohne die ständige Angst und Ungewissheit, die mit einer drohenden Abschiebung einhergehen.“

Auch die Lage in Syrien ist weiterhin dramatisch, wie Berichte von Menschenrechtsorganisationen
verdeutlichen. Amnesty International hat zahlreiche Fälle von Männern, Frauen und Kindern
dokumentiert, die nach einer Rückkehr nach Syrien schwerste Menschenrechtsverletzungen durch den syrischen Geheimdienst erfuhren. Auch Human Rights Watch legt dar, dass Syrerinnen, die in ihre Heimat zurückkehren (müssen), willkürlich inhaftiert, gefoltert oder vergewaltigt werden. Es
widerspricht dem Völkerrecht, in solche Staaten abzuschieben. Das zeigt eindeutig, dass das Auslaufen des Abschiebestopps für Syrien im letzten Jahr falsch war und ein solcher Stopp menschenrechtlich geboten ist.

In Äthiopien droht der Konflikt in Tigray das ganze Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen; die
Kampfhandlungen weiten sich auf immer mehr Provinzen aus, und Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Dennoch schiebt Deutschland weiterhin Menschen in das Bürgerkriegsland ab.

Allein in Bayern und Hessen leben derzeit knapp 3000 ausreisepflichtige Äthiopierinnen. Die
Innenministerinnen müssen dringend auch für Äthiopien einen Abschiebestopp beschließen.
Aufnahme aus Afghanistan fortsetzen Es ist zu begrüßen, dass die künftige Regierung Bundesaufnahmeprogramme für besonders gefährdete Afghaninnen vorsieht. In Gefahr sind auch Afghaninnen mit familiären Bindungen nach Deutschland.

Es ist unverständlich, dass bisher ein großer Teil der Bundesländer nicht bereit ist, ein
Landesaufnahmeprogramm zu realisieren, um diesen Familienangehörigen von in Deutschland
lebenden Afghaninnen Schutz zu bieten.

PRO ASYL, Landesflüchtlingsräte und Jugendliche ohne Grenzen fordern: Die im Koalitionsvertrag
beschlossenen Gesetzesänderungen müssen jetzt in einem 100 Tage-Programm gesetzlich auf den
Weg gebracht werden, ebenso eine Fortsetzung der Aufnahme besonders schutzbedürftiger
Afghaninnen und ihrer Familien.

Dieser Text stammt vom Flüchtlingsrat NRW höchstpersönlich.

Autor:

Andreas Rüdig aus Duisburg

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