Entwicklung der Stadtviertel ohne klares Konzept

Ödnis - Hochstraße, Wattenscheid | Foto: Michielverbeek
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Das Stadtentwicklungsprogramm für Wattenscheid ist einen Schritt weiter. Jetzt liegt ein Gutachten und Handlungskonzept vor, das die Lage aufzeigt und Maßnahmen vorschlägt, wie eine positive Stadtentwicklung wieder in Gang gesetzt werden kann (Gutachten und Handlungskonzept).

Ernüchternder Ist-Zustand

Die Analyse des Zustandes von Wattenscheid ist ernüchternd. Die Eigentümer investieren nicht mehr in die Wohngebäude, Leerstände in der Innenstadt prägen das Bild. Überdimensionierte Straßen, ungenügender ÖPNV und Radverkehr, fehlende Kultur- und Sozialeinrichtungen und vieles andere werden bemängelt. Alles Dinge, die einem selbst auch auffallen, wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht. Das Gutachten zeigt die Mängel auf, die jeder in der Stadt kennt und die nicht nur in Wattenscheid offensichtlich sind. Man könnte Wattenscheid gegen Langendreer oder andere Stadtviertel austauschen und das Gutachten würde die Lage ebenfalls treffend beschreiben.

Die ehemals stolze fast 71.600 Einwohner zählende Stadt hat, wie andere Stadtviertel auch, den Anschluss an eine moderne Stadtentwicklung verloren. Vergleicht man Wattenscheid mit Städten gleicher Größe (z.B. Bamberg, Dormagen, Grevenbroich, Herford, Neuwied und Rosenheim) kann man ermessen, was bei einer eigenständigen Entwicklung möglich gewesen wäre und was alles verpasst worden ist. Wattenscheid, hat mit seiner innerstädtischen Versorgungsstruktur heute Schwierigkeiten selbst mit Kleinstädten mitzuhalten. 40 Jahre Niedergang haben Folgen hinterlassen, die sich nicht mehr ohne Weiteres revidieren lassen. Bis 2030 soll die Zahl der Einwohner um weitere 6.000 Einwohner sinken.

Die Stadt handelt zu spät und leider sind die im Handlungskonzept vorgeschlagenen vielen Maßnahmen nur einen Tropfen auf den heißen Stein. Zu befürchten ist, dass sie im Ergebnis wirkungslos verpuffen, wenn sie dann ab 2017 realisiert werden. Die Renaturierung des Wattenscheider Bachs, ein paar Maßnahmen zur Aufhübschung der Parkanlagen, ein Nahmobilitätskonzept für den Rad- und Fußgängerverkehr oder ein Sicherheitsaudit zur Kriminalitätsprävention und viele andere der vorgeschlagenen Maßnahmen sind sicher richtig und wichtig, werden aber kaum die erhoffte Wende bringen.

Das Kernproblem von Wattenscheid und Langendreer ist, dass die Bevölkerung überaltert ist, die soziale Schieflage zunimmt, es an finanzkräftigen Bewohnern fehlt, die bereit sind in die städtische Substanz, wie Wohnungen und Geschäfte zu investieren. Es fehlt eine Perspektive, ein Impuls, der geeignet ist, die Stadtentwicklung wieder in eine positive Richtung umzukehren.

Leitbild "Gesunde Stadt"

Leitbild des jetzt vorgelegten Handlungskonzepts ist, dass Wattentscheid eine "Gesunde Stadt" werden soll. Das reißt einen nun nicht gerade vom Hocker. Wie will man mit diesem Leitbild neue Einwohner und Unternehmen in die Stadt locken? Dazu soll Wattenscheid familien- und generationengerecht werden. Das will jede Gemeinde. Dieses Ziel ist austauschbar und anspruchslos. Dass durch die vorgeschlagenen Maßnahmen wirklich eine Wende erreicht werden kann, dieser Anspruch besteht offenbar gar nicht.

Erfreulicher Weise wurden die Bürger im Rahmen des Gutachtens intensiv befragt, was sie in Wattenscheid gut finden und was mangelhaft. Die Rückmeldungen der Bürger waren zahlreich und finden sich entsprechend ausführlich im Gutachten wieder. Nicht befragt wurden allerdings die Bewohner, die Wattenscheid den Rücken gekehrt haben oder diejenigen, die nach Wattenscheid ziehen könnten, es aber nicht tun.

Letzteres wäre aber erforderlich, um gezielt die Dinge ausfindig zu machen, die verhindern, dass Menschen in die Stadt ziehen.

Die alles bestimmende Frage ist, wie schaffen wir es neue Bewohner in die Stadtviertel zu locken bzw. die Abwanderung zu stoppen?

Um diese Frage zu klären, ist wichtig zu wissen, welche Menschen lassen sich aus heutiger Sicht nach Bochum und Wattenscheid locken, welche ziehen überhaupt in Betracht in unserer Stadt zu wohnen? Im Gegensatz zu anderen Städten hat Bochum da ein As im Ärmel. 53.000 Studenten studieren in Bochum an 9 Hochschulen. Jedoch wohnen bisher nur 7.000 bis 10.000 davon in Bochum. Ein ungewöhnlich geringer Anteil für eine Universitätsstadt. Über 31% der Studenten halten Bochum als Stadt zum Wohnen für unattraktiv (Universitäres Wohnen in Bochum). Diese Zahl ist erschreckend hoch. Genau da aber liegt der Ansatzpunkt und das Potenzial für die Stadt.

Es muss gelingen bis zu 20.000 Studenten dazu zu zu bewegen in der Stadt zu wohnen, anstatt hierher zu pendeln. Das gleiche gilt für die wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter der Hochschulen. Auch diese wohnen nur zu einem geringen Teil in Bochum. In Wattenscheid wohnen nur 3,9% der in Bochum wohnenden Studenten und 2,8% der wissenschaftlichen Mitarbeiter, in Langendreer nur 4,3% bzw. 5% (Universitäres Wohnen in Bochum). Warum aber ist das so?

Was muss eine Stadt bieten, damit dort Studenten und Hochschulmitarbeiter wohnen wollen?

Die Bedürfnisse von Studenten und den Mitarbeitern unterscheiden sich ganz grundsätzlich von dem was unsere Stadt bietet. Für diese Bevölkerungsgruppe sind die Nähe zum Arbeitsort, eine gute ÖPNV-Anbindung und gute Einkaufsmöglichkeiten im direkten Wohnumfeld die mit Abstand wichtigsten Faktoren bei der Wohnortwahl. Bei den Studenten kommt eine günstige Miete hinzu (Universitäres Wohnen in Bochum).

Auch das Angebot an Kneipen, Cafes, Restaurants und Kultureinrichtungen in ihrem direktem Wohnumfeld ist wichtig. Über 40% der in Bochum wohnenden Studierenden schätzen es als eher schlecht bis sehr schlecht ein.

Studenten und Hochschulmitarbeiter wollen in funktionierenden Stadtvierteln leben, sie wollen in ihren täglichen Bedarf in direkter Nachbarschaft, gerne zu Fuß oder mit dem Rad, decken. Auch die Stammkneipe soll um die Ecke liegen. 70% der Studenten erreichen die RUB bereits heute mit Bus oder Bahn (Mobilität an der RUB). Das Auto spielt bei den Bedürfnissen eine untergeordnete Rolle. Schaut man in funktionierende Universitätsstädte, dann kann man auch genau das im Stadtbild beobachten. Lebensqualität, Attraktivität der Stadtviertel und kurze Wege liegen in der Bedeutung weit vor der individuellen Mobilität.

Das alles können Wattenscheid und Langendreer bisher nicht bieten. Die ÖPNV-Anbindung an die RUB ist von hier aus schlecht. Es fehlt an attraktiven - zu Fuß oder mit dem Rad erreichbaren - Einkaufsmöglichkeiten, Kneipen und Cafes. Die Versorgung findet großenteils über anonyme, nur mit dem Auto erreichbare, nicht in die Stadtviertel integrierte Einkaufszentren statt. Es mangelt an attraktiven Plätzen und Orten, stattdessen dominieren überdimensionierte Straßen und hässliche Parkplatzwüsten. Die Folge: Studenten und Hochschulmitarbeiter ziehen nicht hin, da ihre Wohnbedürfnisse und Ansprüche an die Attraktivität und Lebensqualität ihres Wohnumfeldes hier aktuell nicht ansatzweise erfüllt werden.

Welches ist die richtige Stadtentwicklungsstrategie für Wattenscheid und Langendreer?

Um die genannten Bedürfnisse jedoch ad hoc erfüllen zu wollen, müsste man die halbe Stadt umbauen. Dafür fehlen natürlich die finanziellen Mittel. Es stehen nur jeweils 50-60 Mio für Wattenscheid und Langendreer zur Verfügung. Diese müssen also so eingesetzt werden, dass sie eine Entwicklung anstoßen, die dann durch weitere private Investitionen zum Selbstläufer wird. Die Stadt bezahlt das Samenkorn für die Stadtentwicklung. Für eine fertige blühende Pflanze fehlt das Geld.

Damit Studenten und Hochschulmitarbeiter nach Wattenscheid oder Langendreer ziehen, ist die wichtigste Voraussetzung eine schnelle direkte ÖPNV-Anbindung. Die Verbindung Wattenscheid - RUB darf nicht mehr als 20-30 Minuten in Anspruch nehmen, die Verbindung RUB - Langendreer darf nicht länger sein als 10-15 Minuten.

Der nächste Schritt sollte sein, die Studenten zum Wohnen in den Stadtvierteln mit speziellen Wohnangeboten zu animieren. Das können neue Wohnheime sein oder eine spezielle Wohnungsbörse, über die Wohnraum für Studenten gesucht und angeboten wird. Dazu müssen Vermieter angesprochen und motiviert werden, speziellen Wohnraum für Studenten bereit zu stellen. Sanierungen von Gebäuden und deren Umwandlung in Studentenwohnungen könnten gefördert werden. Auch wäre zu überlegen, ob es nicht gelingt, Fakultäten in den Stadtvierteln anzusiedeln.

Gelänge es auf diese Weise in Wattenscheid und Langendreer jeweils mindestens 1.000 Studenten anzusiedeln, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich in den Stadtvierteln eine eigene studentische Kultur entwickelt. Entsprechend werden Läden und Kneipen für den studentischen Bedarf entstehen. Das Leben der Fußgängerzonen wird durch die Studenten neu belebt. Durch die neuen studentischen Angebote werden wiederum weitere Studenten angelockt ebenfalls nach Wattenscheid oder Langendreer zu ziehen, so dass die Entwicklung weiter positiv voran getrieben wird und sich verstetigt.

Damit Wattenscheid und Langendreer die Wende schaffen und sich wieder positiv entwickeln, müssen sie Kult werden. Das Leitbild einer gesunden Stadt kann dagegen niemandem hinter dem Ofen hervor locken, es bringt die Stadt nicht den entscheidenden Schritt nach vorne und keine neuen Bewohner.

Das für Wattenscheid vorgeschlagene Handlungskonzept sehen die STADTGESTALTER daher eher kritisch. Die vielfältigen Ansätze werden nicht reichen, den Niedergang zu stoppen. Die für die Stadtentwicklung vorgesehenen Mittel müssen gezielt in wenige Maßnahmen gesteckt werden, die geeignet sind, eine dauerhafte, selbsttragende positive Entwicklung anzustoßen. Das kann nicht gelingen, wenn die Mittel wahllos gestreut werden.

Bochum hat eine echte Chance. Wir müssen eine echte Universitätsstadt werden. Darauf muss unser Fokus liegen. Schauen wir, was Studenten und Hochschulmitarbeiter hindert, hier zu wohnen und räumen wir die Hindernisse aus dem Weg.

Weiterer Beitrag zum Thema: Die Herausforderung für die Bochumer Lokalpolitik

Volker Steude
Die STADTGESTALTER - politisch aber parteilos

BoWäH - Bochum und Wattenscheid ändern mit Herz

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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