Unterricht im 2. Lockdown
Droht Bochumer Schulen beim Distanzunterricht eine Blamage?
Der befürchtete strenge Lockdown kommt und mit ihm auch das weitgehende Ende des Präsenzunterrichts. Werden die Bochumer Schulen problemlos zum digitalen Distanzunterricht wechseln können? Konnten die Schulen die vergangenen acht Monate nutzen sich auf diese Situation vorzubereiten? Haben Schulverwaltung und alle sonst beteiligten Behörden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen?
Ab Montag wird NRW aller Voraussicht nach in den zweiten Lockdown in der Corona-Krise gehen. Nicht unbedingt überraschend werden dabei auch weitgehend die Schulen geschlossen. Bis Klasse 8 entfällt für die Schüler die Präsenzpflicht, die Schüler ab der 8. Klasse wechseln alle vom Präsenz- in den Distanzunterricht.
Was bedeutet Distanzunterricht?
“Distanzunterricht ist eine Form des Schulunterrichtes, die sich juristisch aus der Beschulungspflicht des Staates und damit zur Aufrechterhaltung des Unterrichtes bei Auftreten einer Pandemie ergibt. Zum Distanzunterricht werden die vorhandenen technischen Möglichkeiten genutzt, um eine räumliche Distanz aller am Unterricht beteiligten Menschen herzustellen. Der Distanzunterricht ersetzt damit zeitweilig den Präsenzunterricht. Die Lernprozesse sind bewusst so zu gestalten, dass sie didaktisch und methodisch nicht einseitig von der Präsenz im Klassenzimmer abhängig sind. Es ist unzulässig die Beschulung auf die Eltern abzuwälzen. Es ist auch sachlich falsch den Distanzunterricht nur als „häusliches Lernen“ zu bezeichnen Der Schwerpunkt des Begriffes liegt auf Unterricht. Selbständiges häusliches Lernen ist nur ein geringer Teil des Distanzunterrichtes und wird somit dem Auftrag des Gesetzgebers nicht gerecht. Das Ziel ist eine dem Präsenzunterricht gleichwertige Unterrichtsform des Schulunterrichtes (Distanzunterricht Wikipedia).” Dazu hat das Land NRW zum neuen Schuljahr 2020/21 eine Handreichung herausgegeben, wie Distanzunterricht organisiert werden sollte (Handreichung zur lernförderlichen Verknüpfung von Präsenz- und Distanzunterricht).
Sind die Schulen ausreichend auf Distanzunterricht vorbereitet?
Sämtliche weiterführenden Schulen wurden von der Stadt zum neuen Schuljahr mit Microsoft-Teams ausgestattet. Eigentlich sollten die Lehrer also jetzt die Schüler zu den offline geplanten Unterrichtsstunden per Teams einladen und schon könnten diese online stattfinden. Doch der Teams-Kalender vieler Schüler ist weiterhin leer. Manche haben nicht mal einen Teams-Zugang, andere haben noch nie mit der Software gearbeitet. Bei den Lehrern ergibt sich ein ähnliches Bild, viele haben Teams noch nie im realen Unterricht benutzt. Die wenigsten haben ihr Unterrichtskonzept so umgestellt, dass es bei Bedarf gelingen kann, die Lerninhalte auch digital zu vermitteln. Manche verzichten im Unterricht seit jeher konsequent auf digitale Hilfsmittel oder lehnen diese gar grundsätzlich ab.
Nur wenige Lehrer in Bochum haben ein Dienst-Gerät, das ihnen die Stadt zur Verfügung stellt, damit sie damit datenschutzkonform und digital unterrichten können. Denn die Stadt hat es versäumt rechtzeitig die entsprechenden Endgeräte zu bestellen. Zwar wurde die Anschaffung bereits mit dem Medienentwicklungsplan im Juli 2019 vom Stadtrat beschlossen, doch die ersten Laptops für die Lehrer sollen erst Ende Januar 2021 kommen. Die Lehrergewerkschaft stellte dazu am 11.09. fest, dass Bochum in Sachen Digitalisierung eine lange Leitung hat, an 82 von rund 100 Schulen der Stadt fehle es an technischer Ausstattung und Betreuung, an Leitungskapazität und an Kompetenz beim Umgang mit Geräten und Programmen (WAZ vom 11.09.20).
Während in anderen Städten die Laptops und Tablets an Lehrer und bedürftige Schüler schon spätestens nach den Herbstferien ausgeteilt wurden, sollen in Bochum die ersten 3.617 Geräte erst Ende Januar 2021 kommen, weitere 9.000 dann im Frühjahr. Nach einer Abfrage der Stadt werden rund 13.000 Tablets und Laptops benötigt, 9.500 für bedürftige Schüler und 3.600 für die Lehrer. Für noch nicht bestellten Geräte prüft die Stadt derzeit, wie eine mögliche Finanzierung aussehen kann. Erst danach wird sie eine weitere Vergabe auf den Weg bringen (WAZ vom 09.12.20). Bedürftige Schüler werden in Bochum also mangels der notwenigen Tablets nur eingeschränkt oder gar nicht am Distanzunterricht teilnehmen können. In einer Stadt, die immer wieder stolz auf ihre soziale Haltung verweist, ein in jeder Hinsicht unakzeptabler Zustand.
Auch ist in Bochum nicht absehbar, wann endlich alle Schulen an das Glasfasernetz angeschlossen sein werden. Provisorisch sollen bis Ende 2021 alle Bochumer Schulen zumindest an das Kabelnetz von Vodafone angeschlossen werden. Das erlaubt aber selbst bei Gigabit-Anschlüssen nur schmale 50 Mbit/s Upload. Seit 2017 dauert es jetzt schon, die Schulen anzuschließen. Auch über ein leistungsfähiges WLAN, das im Rahmen des Distanzunterrichts für die Übertragung von Videokonferenzen aus der Schule zu den Schülern nach Hause erforderlich ist, verfügen viele Schulen immer noch nicht.
Es ist zu befürchten, dass an den meisten Bochumer Schulen kaum mehr passieren wird als während des ersten Lockdowns, statt Distanzunterricht werden die Lehrer, den Schülern auf den gewohnten Wegen (Haus-)Aufgaben übermitteln, die dann die Schüler mit Hilfe ihrer Eltern zu Hause lösen sollen. Dieses Vorgehen hat aber nicht mal im Ansatz etwas mit Unterricht zu tun. Das Lernen und Betreuen der Kinder wird auf die Eltern abgeschoben. Kinder, deren Eltern das Wissen nicht besitzen den Nachwuchs selbst zu unterrichten, werden erneut gegenüber Kindern benachteiligt, deren Eltern das leisten können.
So läuft es zum Beispiel am Märkischen Gymnasium in Wattenscheid, Distanzunterricht wird als rauf- und runterladen von (Haus-)Aufgaben und deren Lösungen über die Lernplattform Moodle missverstanden. Unterricht bzw. die Verwendung von Teams wird gar nicht erst vorgesehen (Kurzanleitung zum Lernen auf Distanz 2020-11-04). Ein Konzept für Distanzunterricht hat die Schule offensichtlich nicht. Nach acht Monaten ist die Schule keinen Schritt weiter als beim ersten Lockdown.
Acht Monate Streit statt echter Kraftanstrengung
Acht Monate hatten Landesregierung, Behörden, Stadt und Schulen Zeit sich auf Distanzunterricht vorzubereiten und die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Doch nur wenige Schulen sind so aufgestellt, dass dort echter Distanzunterricht stattfinden kann. Obwohl bereits während des ersten Lockdowns, einige Lehrer gezeigt haben, wie digitaler Unterricht funktioniert und sich schnell umsetzen lässt, ist es in acht Monaten nicht gelungen, diese Blaupausen flächendeckend auf den Schulunterricht zu übertragen.
Die Beteiligten standen sich viel zu häufig selbst im Weg, ein echter Wille zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung, die digitalen Defizite möglichst schnell beseitigen zu wollen, war nur selten zu erkennen. Monate von gegenseitigen Schuldzuweisungen liegen hinter uns, Forderungen an Andere Dinge zu tun oder anzuweisen, gab es viele, eigene Initiativen die Misere anzugehen viel zu wenige. Schüler und Schulen, die sich schon seit einiger Zeit für Hybrid-Unterricht eingesetzt und sogar teilweise dafür gestreikt haben, wurden von der Landesregierung ignoriert, die Bezirksregierung zeigte sich hilflos, die Behörden versuchten jeden Ansatz für Online-Unterricht selbst von kranken Kindern zu verhindern (WDR vom 03.12.20).
Was in Solingen geleistet wurde, wäre auch in Bochum möglich gewesen
Auch die Stadtpolitik sah sich nicht bemüßigt zu handeln. Ein städtischer Notfallplan, wie ihn die STADTGESTALTER bereits am 10. Mai zur Schaffung der Voraussetzungen für Distanzunterricht vorgeschlagen hatten (Notfallplan für digitalen Schulunterricht), wurde abgelehnt.
Derweil hat Solingen vorgemacht wie es auch in Bochum hätte laufen müssen. Schulen und Stadt haben in Solingen an einem Strang gezogen, ein Modellkonzept für Distanzunterricht entwickelt und die Voraussetzungen für die Umsetzung geschaffen. Ab Anfang November hätten in allen weiterführenden Schulen die Hälfte der Schüler präsent in der Schule und die andere digital unterrichtet werden können, hätte das die Landesregierung nicht zunächst untersagt (Stadt Solingen stellt den Schulbetrieb zur Hälfte auf digitalen Unterricht um, 30.10.20).
In Solingen sind alle 55 Schulstandorte an das Glasfasernetz angeschlossen. Dazu verfügen alle Schulen über ein leistungsfähiges WLAN, um den Lehrern Videoübertragungen aus der Schule zu ermöglichen. Bereits Anfang September hat Solingen 3.500 Tablets an bedürftige Schüler ausgegeben (3500 iPads an bedürftige Kinder in Schulen verteilt, 09.09.20), die letzten Endgeräte sollen die Schulen in diesen Tagen erreichen.
Solingen zeigt, was möglich ist, wenn Schulen und Bildung in der Stadtpolitik eine hohe Priorität haben. Hätten es denn alle Beteiligten gewollt und sich entsprechend engagiert, wäre in Bochum das Gleiche möglich gewesen wie in Solingen. So ist leider zu befürchten, dass der Distanzunterricht für viele Schulen in Bochum zu einer Blamage wird.
Autor:Dr. Volker Steude aus Bochum |
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