Das Schweigen der Presse
Seit 40 Jahren steigen die Schulden der Stadt Jahr für Jahr, unaufhörlich. Der Schuldenstand der Stadt erreicht astronomische Höhen. Die Stadt ist jahrlang im Nothaushalt. Eine Fehlplanung jagt die andere. Doch wenn man die örtlichen Gazetten liest, erfährt man davon wenig, von manchem gar nichts. Wenn man nur die lokalen Zeitungen liest, muss man fast denken, dass es ein Zufall und unglücklicher Umstand gewesen sein muss, wie es zum Ruin der städtischen Finanzen gekommen ist. Die Gründe für die massiven Probleme der Stadt werden hier, wenn überhaupt, häufig nur ganz am Rande behandelt.
Manche Fehlplanungen kommen als solche gar nicht in der Presse vor. Beispiel Biomedizinpark: Die Stadt baut trotz Gutachten, das deutlich ausweist, dass es in Bochum keinen Bedarf für die Ansiedlung von Biomedizinunternehmen gibt, 2007 einen Biomedizinpark. Bis heute, 5 Jahre später, hat sich kein einziges Biomedizinunternehmen dort angesiedelt. Statt geplanten 20-25 Gebäuden stehen auf dem Gelände heute 3 Gebäude, eins davon von der städtischen Entwicklungsgesellschaft (EGR). Die örtliche Presse hat zwar immer wieder die vollmundigen Ankündigungen von Verwaltung und Politik wiedergegeben in denen neue Ansiedlungen versprochen werden, das Scheitern des Projektes aber im Wesentlichen unkommentiert gelassen.
Immer wieder hat man den Eindruck Verlautbarungen der Verwaltungen werden von der Presse einfach nur unkritisch abgeschrieben. So berichtete die Presse erst vor kurzem, die Stadt hätte neue Handlungsspielräume, statt 160 Mio. Schulden müssten 2012 nur 140 Mio. aufgenommen werden. Wie man zu mehr Handlungsspielräumen kommen soll, wenn man weniger Schulden macht, entbehrt jeder Logik. Volkswirte raufen sich bei solchen Aussagen ungläubig die Haare. Eine kritische Berichterstattung. Fehlanzeige.
Oder es wird (bewusst?) am Thema vorbei geschrieben. Da will die Stadt ein erst 10 Jahre altes Bad zu machen, dessen Bau sie dem Investor nach intensivstem Bürgerprotest zuvor aufgezwungen hat. Die WAZ (anders RN) rollt nicht etwa die politische Diskussion, um das Bad von vor 10 Jahren auf und stellt dar, dass genau der Fall eingetreten ist, den die Kritiker (insbes. Jörg Drinnhausen) prophezeit haben. Nein, sie schreibt darüber, dass die Schwimmbadbesucher nicht das Geld für ihre Dauerkarten so zurückbekommen, wie das eigentlich zu erwarten wäre. Bewegt die Schwimmbadbesucher nicht zu allererst, dass sie im Stadtbad nicht mehr schwimmen können und erst danach wie schnell sie ihr Geld erstattet bekommen? Bei diesem Thema befänden sich in anderen Städten die Bürger aufgrund der Berichterstattung längst in heller Aufregung, nicht so in Bochum.
Noch ein Beispiel: Das Bürgerbegehren „Musikzentrum“ stellt der Presse ausführlich dar, dass von den im Nutzungskonzept groß angekündigten Seminar- und Workshopräumen sowie dem Education-Center kein einziger Raum in den vorliegenden Planungen des Musikzentrums mehr vorkommt. Es passiert erstmal nichts. Es wird Strafanzeige gestellt. Jetzt wird berichtet, in der WAZ aber erst nachdem die Stadt mit einer Pressemitteilung reagiert hat und alle anderen berichtet haben. Auch bleibt dort unerwähnt, weshalb überhaupt die Strafanzeige gestellt wurde. Warum nicht? Mit Absicht?
Während der Unterschriftensammlung des Bürgerbegehrens wird der Bürgerinitiative zu verstehen gegeben, kritische Berichterstattung zum Musikzentrum sei, solange gesammelt wird, nicht vorgesehen, man plane erst wieder in der 42./ 43. KW zu berichten, wenn die Sammlung so gut wie beendet ist. Dementsprechend wird über den Eintrag des Musikzentrums in das Schwarzbuch 2012 dann auch nur groß im überregionalen Teil der Tageszeitungen berichtet. Im lokalen Teil nur verschämt ganz am Rand. Um das Begehren nicht zu befeuern?
Es ist nicht so, das gänzlich unkritisch berichtet, Thomas Schmitt und Rolf Hartmann von der WAZ und Benedikt Reichel von der RN, berichten durchaus zu manchen Themen kritisch und detailliert, auch z.B. zum Musikzentrum. Manchmal beschleicht einen allerdings der Eindruck, dass man erst so richtig kritisch wird, wenn die politische Entscheidung längst gefallen ist. Wochenlang wurde den Lesern vorenthalten, dass das Vorhaben Musikzentrum nicht nur die von der Verwaltung verlautbarten 650.000 Euro/ Jahr kosten wird, sondern ein Mehrfaches. Erst nach Wochen kurz vor dem entscheidenden Ratsbeschluss, als die Würfel längst gefallen waren, begann die ausführliche und kritische Berichterstattung, insbesondere nach dem bereits die Lokalzeit im WDR berichtet hatte.
Hier geht es zu allererst nicht darum, wie berichtet wird, sondern, dass über vieles Wichtige nicht berichtet wird, oder ganz ohne kritische Würdigung oder dass für die Berichterstattung wohl ganz bewusst bestimmte Zeitpunkte gewählt werden.
Das bringt den Printmedien in Bochum immer wieder den Vorwurf der Hofberichterstattung ein. Dieser bestätigt sich, wenn von der Stadt hoch umstrittene Zahlen an die Presse gegeben werden, diese dann in der Zeitung ungeprüft abgedruckt, mit einem Kasten umrahmt und als Fakten dargestellt werden. So geschehen mit den angeblichen Kosten für den Bau von neuen Probenräumen für die BoSy, obwohl es diesbezüglich nie irgendeine Baukostenschätzung gegeben hat.
Eigentlich könnte man erwarten, das Informationen, Kostenschätzungen und Aussagen zu städtischen Finanzen die von denjenigen verbreitet werden, die seit Jahren für die städtischen Finanzen zuständig sind und unter deren Verantwortung die Stadt finanziell abgewirtschaftet wurde, von der Presse besonders skeptisch aufgenommen und kritisch hinterfragt werden. In Bochum lässt man solcherlei Angelegenheiten in der Regel lieber unkommentiert, ehe man kritisch berichtet. Dies ist auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass es unter den lokalen Journalisten z.B. keine Fachleute für städtische Finanzen gibt. Es sollte möglich sein unabhängige Fachleute etwa aus anderen Städten zu Rate zu ziehen, um komplizierte Sachverhalte hinterfragen zu können. Selten versuchen sich Journalisten auch selbst als Fachleute, obwohl ihnen das nötige Fachwissen fehlt. Dann gerät die Kritik schief. Doch es ist zumindest der Versuch anzuerkennen, die Dinge nicht unkommentiert abschreiben und veröffentlichen zu wollen.
Noch ein Ärgernis: Auch mag es mittlerweile fast gewohnheitsmäßig vorkommen, dass städtische Projekte viel teurer werden als ursprünglich von Politik und Verwaltung versprochen. Diese Tatsache aber als selbstverständlich abzuhaken und daher nicht mehr darüber berichten zu wollen, zeigt, welche Gewohnheit auch bei der Presse für gewisses politisches Verhalten bereits eingetreten ist, rechtfertigt aber nicht dieses kritiklos hinzunehmen und nicht darüber zu schreiben.
Gerade in der jetzigen schwierigen Lage braucht Bochum eine breite Diskussion darüber, wie die Stadt die Schuldenmisere bewältigen, in welche Richtung es weiter gehen soll. Das bedeutet, alle anstehenden Maßnahmen, Vorschläge, Alternativen müssen breit und kritisch diskutiert werden. Da ist es wichtig, dass die Presse für die Bürger über alle Themen ausführlich berichtet, diese verständlich aufbereitet und deren Hintergrund unabhängig beleuchtet oder beleuchten lässt. Außer den Verlautbarungen der Stadt müssen auch die Meinungen der Politik zu den Themen eingefordert und umfänglich dargestellt werden. Für ein funktionsfähiges Gemeinwesen ist es erforderlich, dass die Bürger besser unabhängig informiert werden, damit sie sich mehr in die politischen Entscheidungsprozesse einschalten und in politischen Fragen besser mitbestimmen können.
Aktuell schwimmt die Politik im eigenen Saft. Es ist nicht zu erwarten, dass diejenigen Lösungen für die anstehenden Probleme finden, die diese in den letzten 40 Jahren nicht gefunden haben. Bei der aktuellen politischen Entscheidungsfindung erarbeitet die Verwaltung die entscheidenden Beschlussvorlagen an deren Entstehung allenfalls wenige Politiker beteiligt sind* und lässt sich diese von der Mehrheit unbedarfter Kommunalpolitiker abnicken. Die Politik wird selbst fast nicht politisch gestalterisch tätig (siehe auch Gesucht: Mutige Politik im Ruhrgebiet). Es wird konsequent vermieden die Bürger an den politischen Entscheidungen zu beteiligen, wie leider die Vorgänge Cross-Border-Leasing, Stadtbad und Musikzentrum zeigen. Die Presse lässt die handelnden Akteure dabei weitgehend unkritisch schalten und walten.
Dieses eingefahrene politische System lässt kaum öffentliche Kontrolle zu und hat die Stadt in die jetzige Sackgasse geführt. Es hat in 40 Jahren nicht die erforderlichen Lösungen für die drängenden Probleme finden können. Es hat schlicht versagt.
Um für die Zukunft die erforderlichen Lösungen zu finden, bedarf es eines breiten Konsens unter allen Politikern wie Bürgern. Deshalb ist es wichtig, dass die Presse endlich nicht mehr zu wichtigen Themen schweigt, sondern über alles ausführlich, unabhängig und kritisch berichtet. Zu berichten, heißt nicht Partei zu ergreifen, sondern vielmehr allen Meinungen ein Forum bzw. eine unabhängige Plattform zu geben und die Dinge zu hinterfragen.
Volker Steude (Ruhrblogxpublik)
*im Volksmund werden diese Verflechtungen auch Filz oder Klüngel genannt
Autor:Dr. Volker Steude aus Bochum |
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