Bitte einmal Klartext reden – Arbeitsagentur stellt sich Arbeitslosen
„Klartext 2016“ heißt ein von der Agentur für Arbeit und den Jobcentern Bochum und Herne erdachtes Experiment. Bundesweit zum ersten Mal erprobten die Arbeitsvermittler am vergangenen Freitag etwas, das eigentlich auf der Hand liegt: Sie suchten das Gespräch mit den Erwerbslosen, um nicht übereinander, sondern miteinander zu reden. Und zwar: Klartext!
200 Arbeitslose wurden aufgerufen, in der Stadion-Lounge des VfL Bochum an einem dreistündigen Dialog mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft teilzunehmen. „Über Arbeitslose reden, das machen viele. Wir wollten den Erwerbssuchenden die Möglichkeit geben, ihre Lebenssituation, Wünsche und Probleme zu beschreiben“, sagt Luidger Wolterhoff, Leiter der Agentur für Arbeit Bochum. Insgesamt 150 Bochumer und Herner folgten dem Ruf.
Positive Überraschung und angenehmes Klima
„Schon die Einladung hat mich positiv überrascht“, sagt Elif Genc, alleinerziehende Mutter, die seit sechs Jahren keine Arbeit bekommt. Sonst werde man im Jobcenter von ständig wechselnden Sachbearbeitern in zehn Minuten abgefertigt, ergänzt sie. Sie fände es besser, wenn man seltener aber dafür länger zum Gespräch gebeten werde. Auf der Suche nach solchen Aussagen habe man die Idee für „Klartext 2016“ entwickelt, erklärt der Leiter der Arbeitsagentur. Das Klima sei bei aller Kritik sehr positiv gewesen, schilderten die Teilnehmer einvernehmlich.
Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt
Durch eine solche Veranstaltung würden keine Jobs geschaffen, sagt Norbert Arndt, stellvertretender Bezirksgeschäftsführer von ver.di Bochum-Herne. Jedoch würden Verständnisprozesse angestoßen. Jeder Akteur müsse für seinen Bereich ausloten, was verbessert werden könne. Etwa für Frauen wie Elif Genc. „Mich hat erschreckt, dass das Thema Familie und Beruf immer noch so stark ein Frauenthema ist“, erklärt der Herner Sozialdezernent Johannes Chudziak. Viele alleinerziehende Frauen schilderten, dass sie sich benachteiligt fühlten. Und umgekehrt auch, dass von den Arbeitgebern nicht gesehen werde, dass Männer auch ihren Beitrag zur Familie leisten möchten. Elif Genc bestätigt dies. Sie fragt sich zudem, warum man Arbeitssuchende nicht nach ihren persönlichen Stärken weiterqualifiziere und dort einsetze, wo Bedarf sei wie etwa derzeit in der Flüchtlingshilfe.
Ein weiteres Treffen soll folgen
Die Arbeitsuchenden äußerten den Wunsch, sich in dieser Form auch mit Arbeitgebern auszutauschen. „Darauf hatten wir bei diesem ersten Treffen verzichtet, aber ein Folgetermin wird noch für dieses Jahr angesetzt", verspricht Wolterhoff. Dafür spricht sich auch Johannes Motz, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Ruhr, aus. Als Arbeitgebervertreter habe er hier viel Neues erfahren – aber auch ein gutes Stück harte Realität. Er bedauere, dass Unternehmen nicht einmal mehr Absageschreiben verfassen würden. „So etwas gebührt der Anstand“, sagt Motz.
Nicht mehr allein mit den Problemen
Eher mit gemischten Gefühlen gehe er von der Veranstaltung, sagt Thomas Sadrozinski. Für ihn sei das zentrale Problem, dass Arbeit immer weniger vernünftig entlohnt werde. Der gelernte Betriebsschlosser trete bald eine berufsfremde Stelle an und erhalte dafür weniger als durch sein Hartz-IV, so Sadrozinski. Für Elif Genc sei die Gesprächsrunde vor allem ein persönlicher Erfolg: „Ich weiß nun, ich bin nicht alleine mit diesen Problemen. Das tut gut“, sagt sie.
Autor:Harald Gerhäußer aus Bochum |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.