Amateure bei der Stadtplanung
Es sollte der große Wurf für die Stadt werden. Doch am Ende kam eine Einkaufsstraße heraus, die in ihrer Gestaltung erschreckend beliebig und gesichtslos ist. Jochen Malmsheimer ätzte zu recht: Bongard- und Massenbergstraße sind zu einer „aseptischen und marmorgekachelten Sturmschneise verkommen, die dann in der immer gleichen, miefigen Bochumer Großmannssucht „Boulevard“ getauft wird.“ (Eröffnungsrede Zeltfestival 2010).
In der Tat, wenn ein Auswärtiger das Wort „Boulevard“ hört, denkt er an Champs-Élysées in Paris, La Rambla in Barcelona oder Königsallee in Düsseldorf. Wenn er dann die „längs halbierte Schuttrutsche“ (Malmsheimer) sieht, die in Bochum Boulevard genannt wird, fragt er sich völlig verwundert wie es zu dieser absurden Anmaßung bei der Benennung kommen konnte.
Ähnliches kann man im Bochumer U-Bahnhof "Rathaus Süd" erleben. Kommt man unter die Erde, bleibt einem die Luft weg. Eine riesige preisgekrönte Halle mit der einzigen unterirdischen Brücke Deutschlands, über die die Straßenbahnlinie 306 kreuzt. Doch dann wird es skuril: Minitrix-gleich fährt ein Straßenbähnchen in den total überdimensionierten Straßenbahn-Tempel ein. Nach kurzem Erstaunen bricht aus den unbedarften Bochum-Besuchern lautes Lachen hervor und den Bochumern, die dieses einzigartige architektonische Objekt ihren Gästen stolz zeigen wollen, tritt die Schamesröte ins Gesicht.
Hunderte Millionen Euro wurden hier ohne Sinn und Verstand im wahrsten Sinne des Wortes in der Bochumer Erde versenkt. Das Ergebnis, am Bochumer Rathaus gibt es nicht nur einen, nein, gleich drei unterirdische Bahnhöfe ("Nord", "Süd" und weder "Nord" noch "Süd") auf drei verschiedenen unterirdischen Ebenen, von denen aus man nach Süden durch drei unterschiedliche Tunnel auf drei verschiedenen Wegen doch immer nur zum Hauptbahnhof fahren kann. Dies ist das grandioseste Beispiel nutzloser, ja hirnloser Geldverbrennung, die man in Bochum Stadtplanung nennt.
Das einzige reale Ergebnis der Stadtplanung: Das Geld ist futsch. Wenn man auf dem „Bongard-Boulevard“ steht, weiß man aufgrund der 08/15-Optik nicht, stehe ich in Dortmund, Essen, Wanne-Eickel oder Castop-Rauxel. Traurig.
Aber man kann die Auflistung der Fehlplanung noch etwas fortsetzen. Entlang der Ostseite des Rathauses erhebt sich auf der Hans-Böckler-Straße nur 200m(!) nach der Haltetstelle „Brückstraße“ jetzt die Haltestelle der Linie 306, genannt "Rathaus“ (ohne Nord oder Süd). Vor dieser Haltestelle können Fußgänger von der City-Passage jetzt nicht mehr gefahrlos die Hans-Böckler-Straße zu Stadtbücherei, Rathaus oder Volkshochschule kreuzen. Die Verkehrssituation vor dem BVZ ist chaotisch. Radfahrer kämpfen beim Fahren in Richtung Rathaus damit nicht in den Straßenbahnschienen einzufädeln. Autofahrer verwechseln die Haltestelle immer wieder mit einer Parkplatzeinfahrt. Überhaupt fragt man sich, warum es auf dieser Straße noch Autoverkehr und Parkplätze gibt, bei hunderten von Parkplätzen unter der Innenstadt. Für die Parkplätze musste an einem Fußgängerweg entlang der Haltestelle gespart werden. Auf der anderen Seite in Richtung Ring wurde der bei den Planungen vergessene Radweg kurz nach Fertigstellung notdürftig auf die Parkplätze gepinselt, die Parkplätze daneben dafür halb auf den Fußweg geschoben. Das ganze Ensemble stellt sich jetzt als hochnotpeinliches Mahnmal der Gedankenlosigkeit bei der Stadtplanung dar.
Auch fragt man sich, wofür ist die große quadratisch geteerte Fläche auf der Rathauskreuzung gut? Zum Parken jedenfalls nicht, obwohl es so aussieht. Warum mussten die Straßenbahnen unter die Erde, obwohl die Busse weiter auf dem Boulevard fahren? Was hätte dagegen gesprochen auch die Straßenbahnen weiter oben fahren zu lassen und mehrere hundert Millionen zu sparen? Weshalb ist die geteerte Straße bei der Einfahrt in die Viktoriastraße völlig überdimensioniert und wird dann zylindrisch schmaler.
Zum Abschluss der Auflistung noch etwas Erfreuliches. Der städtische Markt ist mit dem „Boulevard“ zurückgekehrt in die Innenstadt, auf den Rathausplatz. Beinahe hätte man ihn durch die jahrzehntelange Verbannung hinter den Bahnhof auf das Dach des dortigen Parkhauses(!) völlig zugrunde gerichtet. Einzigartig dabei für das Ruhrgebiet: Bochum hat wohl (noch) den einzigen "Stadtmarkt" auf dem neben Gemüse und Obst nur 20m weiter auch fast jede Art von Drogen gehandelt wurde bzw. wird.
Was in Bochum als "Rathausmarkt" bezeichnet wird, ist daher leider auch heute noch kaum größer als ein Markt in einer Vorstadt mit kaum 30.000 Einwohnern. Aber es ist zu hoffen, dass sich auf Dauer wenigstens der Markt von den haarsträubenden städtebaulichen Fehlplanungen erholen kann.
Nach 40 Jahren Stadtplanung hat Bochum eine gesichtslose und beliebige Innenstadt, kaum unterscheidbar von den anderen Städte in der Nachbarschaft. Für aberzig Millionen hat man die gesamte Innenstadt mit Parkhäusern und U-Bahnen untertunnelt. Hätte man dieses Geld stattdessen in die Stadtgestaltung gesteckt, Bochum könnte heute die attraktivste, einzigartigste Innenstadt im weiten Umkreis besitzen. Die Besucher kämen in Scharen. OK, sie könnten nicht unter dem Bongard-Boulevard, dem Husemann- oder dem Dr.-Ruer-Platz parken, sondern nur vor der Innenstadt. Sinnvoller wäre es vermutlich unter diesen Umständen die Stadt mit dem ÖPNV anzufahren. Aber es würde sich lohnen nach Bochum zu kommen. Dafür würden die Besucher auch das sicher gerne in Kauf nehmen.
Heute setzen sich die Ruhrgebietsmenschen ins Auto und fahren im Zweifel nicht in die Innenstadt nach Bochum, sondern nach Essen oder Dortmund, wo es zwar auch nicht anders aussieht, aber die Innenstädte und Läden größer sind.
Geht man durch unserer Innenstadt, fragt man sich immer wieder: Wer hat das geplant? Wer ist dafür verantwortlich? Bei den leidvollen Erfahrungen, die man in Bochum täglich mit Folgen von Fehlplanungen machen muss, ist es wohl besser die Stadtplanung zukünftig in professionelle Hände zu geben und auf die Beschäftigung von Amateuren zu verzichten.
Volker Steude (Ruhrblogxpublik)
Autor:Dr. Volker Steude aus Bochum |
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