Aktion gegen häusliche Gewalt
Allein im Stadtgebiet Bochum gab es im Jahre 2014 608 Polizeieinsätze wegen häuslicher Gewalt. – Grund genug für ein breites gesellschaftliches Bündnis, das vor allem auch den Zugang zu vorhandenen Hilfsangeboten verbessern soll.
Betrachtet man die Zahlen, wird deutlich, wie gravierend das Problem ist. In 331 Fällen wurden Täter 2014 der Wohnung verwiesen, was aber nicht zwangsläufig zu einer Verbesserungung der Situation führt. Das Rückkehrverbot gilt nämlich in der Regel zunächst nur für zehn Tage. Es kann allerdings durch einen Antrag bei Gericht verlängert werden. Auch eine dauerhafte Wohnungsverweisung ist möglich.
Um einer Fortsetzung der Gewaltspirale entgegenzuwirken, wurden die betroffenen Frauen zudem in 218 Fällen an Beratungsstellen weitervermittelt.
Kindesmisshandlungen und sexueller Missbrauch an Kindern werden in der Polizeistatistik nicht in der Rubrik „häusliche Gewalt“ verzeichnet, sondern separat gezählt. Dennoch sind Kinder von häuslicher Gewalt an Frauen indirekt mitbetroffen. In 238 Fällen wurde daher das Jugendamt eingeschaltet.
Regina Czajka, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bochum, stellt klar: „Häusliche Gewalt ist unabhängig von Status und Bildung.“ Häusliche Gewalt meint hier Gewalt in Paarbeziehungen, aber auch gegen im Haushalt lebende ältere Menschen.
Außerdem hat häusliche Gewalt viele Gesichter, wie die Expertin erläutert: „Es geht um den Missbrauch von Macht. Neben körperlicher Gewalt werden Frauen auch psychisch unter Druck gesetzt. Häufig wird eine finanzielle Abhängigkeit geschaffen: Geld wird willkürlich zugeteilt oder eben verweigert.“
Ute Würtz von der Frauenberatungsstelle Nora konkretisiert dies: „Es kommt durchaus auch zum Einsatz von Messern und anderen Waffen. Frauen werden von ihrem Partner heruntergemacht und unter Druck gesetzt. So droht der Täter für den Fall einer Trennung etwa mit dem Entzug der gemeinsamen Kinder.“
Die Folgen häuslicher Gewalt sind daher vielgestaltig. Würtz weiß aus ihrer täglichen Praxis: „Das Selbstbewusstsein der Opfer wird zerstört. Dazu kommen gesundheitliche Folgen, etwa Knochenbrüche. Auch posttraumatische Belastungsstörungen sind nicht selten Folge häuslicher Gewalt.“
Dabei ist es kein Zufall, dass meist von männlichen Tätern und weiblichen Opfern die Rede ist. Ralph Jeske vom Opferschutz der Polizei konkretisiert diesen Befund: „95 Prozent der Opfer sind weiblich. Allerdings ist die Dunkelziffer bei männlichen Opfern vermutlich besonders groß, da das vorherrschende Rollenbild es Männern schwer macht, sich als Opfer häuslicher Gewalt zu outen.“
Die zuständigen Beratungsstellen bieten daher passgenaue Hilfen für alle Opfergruppen an. „Wir beraten weibliche und männliche Opfer. Es gibt auch spezielle Angebote für Homosexuelle“, betont Corinna Leenen von der Gleichstellungsstelle der Stadt Bochum.
Ihre Kollegin Czajka kommt dabei noch auf ein anderes Themenfeld zu sprechen: „Pflegesituationen können Gewalt begünstigen. Das wissen wir sowohl aus der ambulanten Pflege als auch aus entsprechenden Einrichtungen. Die Überforderung der pflegenden Angehörigen ist eine häufige Ursache.“
Ralph Jeske sieht im Hinblick auf häusliche Gewalt ganz neue Herausforderungen auf die deutsche Gesellschaft zukommen: „In Flüchtlingswohnheimen ist eine räumliche Trennung nicht ohne Weiteres in die Tat umzusetzen. Wir brauchen spezielle Hilfsangebote für muslimische Frauen.“
Generell gilt, dass die meisten Betroffenen erst spät Hilfe suchen. Ute Würtz erläutert: „Oft kommt der Kontakt erst zustande, wenn die Polizei auf den Fall aufmerksam geworden ist. Ist das Opfer einverstanden, erhalten wir als Beratungsstelle ein Fax mit den Kontaktdaten. Wir bieten dann unsere Unterstützung an.“
„In anderen Fällen ergibt sich das Thema häusliche Gewalt im Gespräch mit Frauen, die eigentlich aus ganz anderen Gründen zu uns gekommen sind, etwa weil sie Probleme im Beruf haben. Es kommt auch vor, dass Frauen gezielt um einen Termin bitten, um über ihre Situation als Betroffene häuslicher Gewalt zu sprechen“, ergänzt Würtz.
Das geschehe aber oft erst nach mehreren Jahren. „Viele Frauen wissen zwar, dass Gewalt Unrecht ist, beziehen dies aber nicht auf das Verhalten des eigenen Partners, den sie oft trotz allem noch lieben. Manche Frauen geben sich auch selbst die Schuld an der Situation“, weiß Ute Würtz.
Grund genug, einen Bewusstseinswandel anzustoßen. Das Netzwerk gegen häusliche Gewalt, koordiniert von der Gleichstellungsstelle der Stadt Bochum und dem Opferschutz der Polizei, hat daher am 1. Oktober eine besondere Kampagne gestartet, die das Thema in den Fokus rücken und den Zugang zu Hilfsangeboten erleichtern soll. Grund für den Kampagnenstart zum Monatsanfang ist auch der „Internationale Tag der Gewaltlosigkeit“ am 2. Oktober.
Dazu wurden mit den VfL-Spielern Andreas Luthe und Patrick Fabian spezielle Plakate mit den Slogans „Rote Karte bei Häuslicher Gewalt!“ und „Echte Kerle schlagen nicht!“ erstellt.
Andreas Luthe begründet sein Engagement für die Aktion so: „Als Fußballprofis stehen wir im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Es liegt in unserer Verantwortung, dieses öffentliche Interesse zu nutzen, um sinnvolle Aktivitäten wie diese zu unterstützen.“
Noch bis zum 25. November, dem „Internationalen Tag Nein zu Gewalt an Frauen“ werden diese Motive auf Großflächenplakaten im ganzen Stadtgebiet zu sehen sein. Auch Seitenscheibenplakate in der U35 und auf der Heckfläche eines Boge
stra-Busses rücken das Thema ins Blickfeld.
In Institutionen und Kneipen werden die entsprechenden Plakate wohl auch über den 25. November hinaus zu sehen sein.
Wer selbst ein Statement gegen häusliche Gewalt abgeben möchte, kann Postkarten verschicken, die an vielen öffentlich zugänglichen Orten kostenlos ausliegen.
Plakate und Postkarten weisen auf das bundesweite „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ hin, das das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben eingerichtet hat. Die geschulten Beraterinnen vermitteln auf Wunsch auch an wohnortnahe Beratungsangebote weiter.
Das Hilfetelefon bietet einen umfassenden Dolmetscher-Service, wie ihn vergleichbare Angebote sonst kaum leisten können. Beim Chatten steht stets ein Notausstieg zur Verfügung. Wer anruft, muss nicht befürchten, dass die Nummer im Einzelnachweis der Telefongesellschaft auftaucht.
Wie wichtig das ist, weiß Ute Würtz: „Männer kontrollieren häufig den Computer oder das Handy der Partnerin. Auch ein in der Handtasche verstauter Zettel kann Frauen in Gefahr bringen.“
Noch einen Vorteil hat das Angebot des Bundesamtes: Das Hilfetelefon ist täglich – auch an Wochenenden und Feiertagen – 24 Stunden lang besetzt. Das können die örtlichen Beratungsstellen nicht bieten. Vertraulichkeit ist beim Hilfetelefon oberstes Gebot.
Ralph Jeske ist noch ein anderer Punkt wichtig: „Wir müssen auch Tätern, die bereit sind, sich zu ändern, wirksame Hilfen anbieten.“
Der Polizist sieht dabei durchaus Erfolge der in der Vergangenheit durchgeführten Aufklärungsarbeit. Dieses positive Fazit verwundert zunächst, da die Anzahl der angezeigten Fälle in den letzten Jahren gestiegen ist. Jeske ist jedoch überzeugt, dass dies auf eine Verringerung der Dunkelziffer zurückzuführen sei. Die Fallzahlen seien insgesamt wohl eher gesunken. „Statistisch belegen lässt sich das allerdings nicht“, räumt er ein.
In jedem Fall soll die derzeitige Kampagne die Situation verbessern helfen. Ute Würtz zeigt sich zuversichtlich: „Als ich gestern in Langendreer aus der S-Bahn stieg, sah ich eins der Plakate. Da sagt so ein Riesenkerl: ´Gewalt geht gar nicht.´ Das ist schon beeindruckend .“
Beratung
Das bundesweite „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ ist unter der Nummer 08000 116 016 zu erreichen.
Das „Netzwerk gegen Häusliche Gewalt Bochum“ ist zu erreichen über die Gleichstellungsstelle der Stadt Bochum. Telefon 910-1155.
Der Opferschutz der Polizei Bochum steht Betroffenen unter 909-4059 zur Verfügung.
Autor:Nathalie Memmer aus Bochum |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.