Wohin mit dem goldenen Herbstlaub? Lösungsmöglichkeiten meiner Nachbarn - Satire
Herbstlaub ist etwas Wundervolles. Ich liebe Herbstlaub, farbenfrohes Herbstlaub in warmen Tönen von goldorange bist rotbraun. Wie es sachte von den Bäumen segelt oder mir stürmisch um die Ohren fegt, wie es einen lustig bunten weichen Teppich bildet, zum Schutz für Pflanzen und Insekten oder geheimnisvoll raschelnd über die Straße knistert. Ich schlurfe gerne hindurch, wirbele die Blätter auf und genieße den Herbst. Wegen des Laubs.
Mein Nachbar ist davon nicht so übermäßig überzeugt. Kaum liegt das erste Laub in seiner Einfahrt und dem Bürgersteig, holt er sein Riesengerät hervor, ein Rohr von unvorstellbaren Ausmaßen, das das Laub nicht schluckt, sondern wegbläst.
So hantierte er heute Morgen schon eine ganze Weile in seiner Einfahrt und verstand es, das Laub Stück für Stück auf den Bürgersteig zu verfrachten. Dort steht ein Laubkäfig, in dem das Laub gefangen gehalten wird, bis die Müllabfuhr es abholt. Mein Nachbar, am Bürgersteig angekommen, nahm, mir schien, pro forma Schaufel und Besen in die Hand und beförderte etwas Laub in den Käfig. Wohin jetzt mit dem übrigen Laub auf dem Bürgersteig, seitlich seines Grundstücks?
Mein Vermieter betonte einmal, denn er betont mir gegenüber immer gerne, dass es Gesetze zum Schutz der bürgersteigbenutzenden Passanten gäbe und ein Hausbesitzer seine Pflichten hätte.
Mein Nachbar, im vollen Laub- und Laubbläserrausch, begann nun das Laub des Bürgersteiges auf die Straße zu blasen, zunächst vom Bürgersteig herunter, dann aus der Rinne des Bordsteins mitten auf die Straße. Genügte das?
Dummerweise war jetzt das Laub immer noch auf seiner Straßenhälfte.
Er setzte nach, blies das Laub mit dem Aufwand größter Anstrengung auf die andere Straßenhälfte. Sein Rohr war gut.
Ein Fußgänger wechselte die Straßenseite. Wenn ein Auto kam, hielt er kurz inne. Irgendwann lag das Laub auf der anderen Straßenseite. Er war zufrieden. Er hatte gut saubergemacht.
Etwas später sah der Nachbar vom Eigenheim gegenüber sich die Sache an.
Nicht, dass das Laub nur auf seiner Straßenseite deponiert war, sondern im eifrigen Gefecht war es nun auch auf seinem Bürgersteig gelandet. Mit einem noch größeren Blasrohr trieb er wutentbrannt die ganze Herrlichkeit wieder auf die Straße. Dass sie dabei rein zufällig wieder auf dem gereinigten Bürgersteig der benachbarten Seite landete, war kaum zu erwähnen.
Abends zog ein mittelmäßiger Wind auf, durchschüttelte die Bäume und goldenes Herbstlaub breitete sich wundervoll dekorativ wieder auf Straße und Bürgersteigen aus.
Autor:Ingrid Dressel aus Bochum |
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